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Neonazis - in der Mitte angekommen?

Noch immer fürchtet sich die große Politik nicht wirklich vor der NPD. Dafür kommen die Anti-Rechts-
Appelle stets ein bisschen zu spät, die Schuldzuweisungen zu schnell. Was wäre eigentlich, wenn die NPD die Fünfprozenthürde nicht übersprungen hätte? Wäre die erstarkende ‚Volksfront’ aus militanten ost-
deutschen Kameradschaften und westdeutsch dominierter Rechtspartei dann kein Problem? Die zielstrebige ‚nationale’ Propaganda-Arbeit kein Thema? Seit mehr als zehn Jahren betreiben Rechtsradikale, mit und ohne  Partei- auftrag, im wirtschaftlichen Krisengebiet der neuen Bundesländer die planvolle Faschisierung der Jugend. Sie lenken den Frust junger Arbeitsloser auf die vor Ort nur als Chimäre vorhandenen aus-
ländischen Job-Konkurrenten. Sie kanalisieren die Abstiegsangst junger MittelständlerInnen durch sozial-
revolutionäre Agitation im Namen eines ‚gerechten’ Machtstaates. Sie veranstalten längst nicht mehr nur Wehrsportlager, sondern helfen bei der Lehrstellensuche, organisieren Kinderbetreuung, intervenieren gegen Schulschließungen. Dass die NPD vergangenes Jahr bei Testwahlen in der Altersgruppe der unter 18-Jährigen in manchen Orten Sachsens über zwanzig Prozent der Stimmen holte, war kein Zufall, sondern Vorbote jener ‚völkischen Graswurzelrevolution’, die angesichts der jüngsten NPD-Erfolge schon halb gewonnen scheint. Der Rechtsextremismus ist keine Kinderkrankheit, die von selbst vergeht.

Noch darf, wer will, sich damit trösten, dass die NPD ‚nur’ 7,3 Prozent errang. Weil das Ergebnis, anders als in Tagen vor der Wahl befürchtet, kein zweistelliges war, schwingt nun in den „Wir sind entsetzt“-Reden der BundespolitikerInnen auch Erleichterung mit. Und weil die Wahlbeteiligung doch über 50 Prozent lag, scheint die Politikverdrossenheit der BürgerInnen fast überwunden. Denn es hätte schlimmer kommen können. Hätte es? Mit dem blassen, rhetorisch eher ungeschickten Uhrmacher Udo Pastörs besaß die NPD keinen charismatischen Spitzenkandidaten. Und die Abneigung vieler gewaltbereiter Neonazis gegen die zahmeren Parteinationalisten besteht trotz demonstrativer Einheitsfrontpolitik fort. Wie viele Rechte in Mecklenburg-Vorpommern leben, lässt sich an der absoluten NPD-Wählerzahl von 60.000 nicht ablesen, und dass darunter auch ‚reine’ ProtestwählerInnen sind, kann kaum beruhigen. Manches spricht dafür, dass rechtsradikale Überzeugungen in Ostdeutschland stärker verbreitet sind, als die nackte Prozentzahl 7,3 nahe legt.

Fest steht: Die Skepsis gegenüber dem Parlamentarismus wächst bundesweit, wobei die Fieberkurve des Frusts im Osten auf eklatant höherem Niveau als im Westen steigt. Nur 38 Prozent der Ostdeutschen (im Vergleich zu 64 Prozent der Westdeutschen) hielt im vergangenen Jahr die Demokratie für die beste Staats-
form. Die soziale Misere in Mecklenburg-Vorpommern mit seinen offiziellen 18,2 Prozent Arbeitslosen wird sich noch verschärfen, wenn die Abfindungen der Alten verzehrt sind. Außerdem verdankt die Rechte ihr Wahlergebnis nicht nur Hartz IV und Schulhof-CDs, flächendeckender Plakatierung und Hüpfburgen. Ihr Erfolg hat ideologische Gründe. So ist die aggressive Heimatverbundenheit durchaus anschlussfähig an die Gemütslage der bürgerlichen Mitte, deren neues deutsches Selbstbewusstsein allenthalben beschworen wird. Der Fahnen schwenkende Patriotismus während der Fußball-WM war keineswegs immer so friedlich wie gern behauptet. Die ausländerfeindlichen Fan-Gesänge in einigen Rostocker Kneipen sprechen jeder  Sportbegeisterung Hohn. Spitzenpolitiker-Sprüche wie „Die Zeit der Gastfreundschaft geht zu Ende“ (Jörg Schönbohm 1998) oder „Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten“ (Otto Schily 1998) befördern ein gesamtgesellschaftliches Abdriften nach rechts.

Natürlich hat NPD-Chef Udo Voigt nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern triumphierend mitgeteilt, seine Partei sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wahrscheinlicher ist, dass die Mitte sich auf die NPD zu bewegt. Indem die NPD nun unisono mit den Konservativen den deutschen Geburtenrückgang beklagt, schürt sie die wachsende Sehnsucht nach Geborgenheit in Zeiten der  Entsolidarisierung. Dabei verstärken antiglobalistische und vordergründig antikapitalistische Argumente sich gegenseitig, die dann in die verschiedenen Opferdiskurse einfließen, die die NPD derzeit führt: die Deutschen als Opfer der Aus-
länder im Kampf um Arbeitsplätze, das EU-Mitglied Deutschland als Opfer ausländischer Misswirt-
schaft und die Deutschen als Opfer des 2. Weltkriegs. Inwiefern die rechte Geschichtspolitik sich mit einem sich ausbreitenden gutbürgerlichen Revisionismus deckt (Vertriebenendebatte), ist für die gegenwärtige Tagespolitik der NPD in Ostdeutschland weniger wichtig. Attraktiv an der Ideologie der ‚nationalen Opposition’ erscheint den WählerInnen vor allem das geschlossene Weltbild. Den Widerspruch zwischen neoliberaler Flexibilitätsforderung und  familienfreund- lichem Wertkonservatismus nämlich, der die Regierungsparteien zerreißt, überwindet die NPD durch ihren drastischen Nationalismus. Sie suggeriert, wenn sie erst an der Macht wäre, würden die Fleißigen nach den Regeln der guten alten Leistungsethik automatisch belohnt, und die Lebensläufe der Arbeitnehmer verliefen kohärent, statt von Zufällen der Marktentwicklung abzuhängen.

Solche Lügen zu widerlegen wäre Aufgabe der anderen Parteien. Dazu müssten sie aber zuerst ihre eigenen Glaubwürdigkeitsdefizite beheben: etwa die Verharmlosung der Globalisierungsfolgen für den Arbeitsmarkt beenden. Denn solange die etablierten Parteien in Selbstgefälligkeit erstarrt sind, kann die NPD sich als letzte Repräsentantin politischer Ehrlichkeit aufspielen. Das Verteilen  anti- faschistischer Aufklärungszettel an rechte Jugendliche jedenfalls reicht nicht. Und es nützt auch nichts, dem Kandidaten Udo Pastörs, wie am Wahlsonntag geschehen, in der ARD-Runde einfach das Wort abzuschneiden. Umso begieriger werden seine braunen SympathisantInnen ihm draußen lauschen. Der ‚Kampf um die Köpfe’ wird nicht mit abschalten gewonnen. SozialistInnen haben ihn längst aufgenommen. Er findet täglich statt. In den Schulen, in den Jugendclubs, in den Betrieben, auf den Strassen.

csk