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Handyproduktion von BenQ in Deutschland vor dem Aus?

Der Mobiltelefonhersteller BenQ Deutschland ist nach eigenen Angaben insolvent. Durch den völlig überraschenden Schritt seien 3.000 Arbeitsplätze in Deutschland in akuter Gefahr, erklärte das Unter-
nehmen am 29.09.2006 in München. Die taiwanesische Konzernmutter habe am Morgen in Taipeh mitgeteilt, ihre Zahlungen an die deutsche Tochtergesellschaft mit sofortiger Wirkung einzustellen. Die Produktion und Entwicklung von Handys der Marke BenQ-Siemens soll künftig ausschließlich in Asien erfolgen, erklärte die Deutschlandtochter.

"Deutlich hinter den Zahlen"

Grund sei die in Deutschland enttäuschende Umsatz- und Margenentwicklung des im vergangenen Jahr übernommenen Siemens-Handygeschäfts, sagte der BenQ-Mobile-Manager Marco Stülpner auf einer überraschend in München angesetzten Pressekonferenz. "Wir sind deutlich hinter den uns ursprünglich uns selbst gesetzten Zahlen", fügte er hinzu. Auch das kommende Weihnachtsgeschäft werde deutlich unter den Erwartungen liegen. Der BenQ-Marktanteil im deutschen Markt war binnen eines Jahres von 20 auf 14% im Juli eingebrochen. Zu Siemens-Zeiten 2004 hatten die Handys noch 29% Marktanteil. International spielt BenQ mit 3,2% Marktanteil allenfalls in der 2., eher noch in der 3. Liga der Handyproduzenten.

"Wir sind total überrascht"

Wegen der Einstellung weiterer Finanzhilfen durch den Mutterkonzern und dem daraus entstehenden Liquiditätsmangel hat BenQ Mobile Insolvenz beim Amtsgericht München beantragt. "Welche Folgen die Insolvenz für die Standorte hat, können wir noch nicht beurteilen", sagte Unternehmenssprecher Stefan Müller. "Wir sind total überrascht und müssen erst mal abwarten", fügte er hinzu. Die Produktion soll jedoch vorerst weiter laufen.

"Ein Schlag ins Gesicht"

MitarbeiterInnen von BenQ reagierten entsetzt: "Das ist der Vollschock", so eine Kollegin über die Insolvenz ihres Arbeitgebers. Zusammen mit ihrem Mann arbeitet sie seit Jahren im Kamp-Lintforter Handy-Werk. "Ich hab einen Schlag ins Gesicht gespürt", beschreibt ihr Mann den Moment, als er die Hiobsbotschaft erfuhr. Beim Verlassen des Werkes in Kamp-Lintfort haben manche Tränen in den Augen. Auch ein ehemaliger Bergmann ist unter ihnen. Er erzählt: "Ich bin vor sechs Jahren vom Bergbau gekommen und dachte ich hätte hier meine Zukunft." Die BenQ-MitarbeiterInnen müssen zudem befürchten, dass sie auch kein anderer Mobiltelefonhersteller übernehmen wird. "Wir haben keinerlei Interesse an den Produktionsstätten von BenQ, auch nicht an Kamp-Lintfort", sagte Motorola-Deutschland-Chef Norbert Quinkert. Motorola betreibt in Flensburg selbst ein Handy-Werk mit 1200 Beschäftigten.

Vor einem Jahr von Siemens übernommen

Am Unternehmenssitz in München sind 1.400 Arbeitsplätze in Gefahr, in den Werken Kamp-Lintfort und Bocholt in  Nordrhein- Westfalen weitere 1.600 Stellen. BenQ hatte das hohe Verluste schreibende Handy-Geschäft mit rund 6.000 Beschäftigten im Juni 2005 von Siemens übernommen und dafür von dem Unternehmen noch zusätzlich 250 Millionen Euro gezahlt bekommen. BenQ kann den Markennamen Siemens noch fünf Jahre lang benutzen, will ihn aber schon ab Frühjahr 2007 schrittweise durch ein eigenes Logo ersetzen.

Siemens zahlte mehr als bekannt an BenQ

Nach einem Zeitungsbericht hat Siemens-Chef Klaus Kleinfeld BenQ bei der Übernahme sogar noch deutlich mehr Geld bezahlt als bisher angenommen. Als er im Juni vorigen Jahres BenQ öffentlich als Partner präsentiert habe, seien noch nicht alle vertraglichen Einzelheiten unterschrieben gewesen, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" unter Berufung auf Unternehmenskreise. Daraufhin hätten die Taiwaner Siemens förmlich erpresst und einen kräftigen Aufschlag gefordert. Um sein Gesicht zu wahren und das Geschäft nicht platzen zu lassen, habe Kleinfeld "Geld nachschießen" müssen. Im Konzernabschluss 2005 ist dies dem Blatt zufolge im Kleingedruckten nachzulesen. Den Verlust aus dem Verkauf der Handy-Sparte beziffere Siemens dort auf 546 Millionen Euro; "hiervon sind 413 Millionen Euro direkt BenQ zuzuordnen", zitiert die "FAS". Zudem sei im Jahr 2006 mit weiteren  "Nettozahlungsmittelab- flüssen von etwa 500 Millionen Euro" zu rechnen. Bisher war stets von einer Mitgift von etwa 300 Millionen Euro an BenQ die Rede. Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer bezifferte den Betrag zuletzt auf 350 Millionen Euro.

Standortgarantie läuft 2006 aus

Bei der Übernahme hatte BenQ zugesichert, die rund 3.000 Arbeitsplätze in Deutschland vorerst zu erhalten, und hatte auch die von Siemens gegebene Standortgarantie bis 2006 für das nordrhein-westfälische Werk Kamp-Lintfort gehalten. Anschließend wollte BenQ eine Firma gründen, die die Mitarbeiter zumindest für ein Jahr weiter beschäftigt. Was danach mit den Jobs in Deutschland passiert, hatte BenQ schon damals offen gelassen.

Versprechen erfüllt sich nicht

„Wir werden auch noch in fünf Jahren in Deutschland Handys herstellen“, hatte BenQ-Vizepräsident Jerry Wang sogar vor einem Jahr zum offiziellen Start den MitarbeiterInnen des neuen Tochterunternehmens versprochen. Was nun aus den deutschen Beschäftigten werden soll, weiß die deutsche Unternehmensleitung noch nicht. „Es ist wichtig, dass wir versuchen werden, dass laufende Geschäft aufrecht zu erhalten“, sagte Stülpner. „Ich glaube, dass sind wir unseren Mitarbeitern schuldig.“

Unfähigkeit des Managements

Die IG Metall reagierte empört auf das drohende Aus für die Arbeitsplätze: „Die bevorstehende Insolvenz von BenQ ist Folge des eklatanten Versagens des Managements“, erklärte Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer. Der Gewerkschafter übte harte Kritik am Siemens-Management um Konzernchef Kleinfeld: „Damit ist zum wiederholten Mal traurig bewiesen, dass die Probleme in einzelnen Teilen von Siemens nicht an den angeblich zu hohen Gehältern der Beschäftigten, sondern an der Unfähigkeit des Managements liegen.“

"Siemens in der moralischen Verantwortung"

Neugebauer forderte den Konzern zum Eingreifen auf: „Siemens ist und bleibt jetzt in der moralischen Verantwortung!“ Der  Gewerk- schafter erklärte, der Vorgang bestätige Kritiker von damals, dass sich Siemens nach eigenem Missmanagement nicht nur der Sparte entledigt habe, sondern vor allem auch der Verantwortung für seine Beschäftigten. Siemens selbst äußerte sich nur in knappen Worten zu dem überraschenden Aus seiner Ex-Sparte: „Wir bedauern das sehr“, teilte eine Sprecherin mit. In Taipeh erklärte BenQ-Chef K.Y. Lee, sein Konzern habe mit dem Schritt, der deutschen Tochter den Geldhahn abzudrehen, unaufhörliche Verluste eindämmen müssen. Bei einer Protestkundgebung vor den Werkstoren von BenQ Mobile im nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort haben Beschäftigte,Gewerk- schafterInnen und PolitikerInnen ihrer Wut über das drohende Aus für die frühere Siemens-Handysparte Luft gemacht. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der zusammen mit seiner Wirtschaftsministerin Christa Thoben (beide CDU) angereist war, bezeichnete den  Insolvenz- antrag als "große Sauerei". Er appellierte an Siemens, seiner Verantwortung für die Rettung des Handy-Herstellers gerecht zu werden.

MitarbeiterInnen wollen Schadenersatz von Siemens

Rüttgers und Thoben kamen danach zu einer Krisensitzung mit der Unternehmensleitung, dem Betriebsrat, der IG Metall sowie KommunalpolitikerInnen zusammen. Als Teil der Proteste verteilte der Betriebsrat ein vorgefertigtes Schreiben an die Beschäftigten, mit dem sie individuellen Schadenersatz bei Siemens anfordern sollen. Dem Konzern wird darin vorgeworfen, bei der Abgabe der Handysparte die Mitarbeiter "arglistig getäuscht" zu haben. Von vornherein hätten Siemens und BenQ die "Entsorgung" der deutschen Mitarbeiter geplant, statt sich um die Sanierung der Sparte zu kümmern.

Kapital der BenQ Mobile nur 25.000 Euro

Dies belege die Aufsplittung der Siemens-Handysparte in eine Management GmbH, in der die Abfindungen der  BenQ-Mobile- Chefmanager "gesichert sind", in eine Asset GmbH, in der die Vermögenswerte der Siemens Handysparte wie Know-how gebündelt wurden und die von der Insolvenz bedrohte BenQ Mobile GmbH & Co OHG, in der "ausschließlich die rund 3.400 deutschen Mitarbeiter zusammengefasst wurden". Das Kapital der BenQ Mobile habe 25.000 Euro betragen - zu wenig, um "die Gehälter der deutschen Angestellten für einen Tag zu sichern".

Know-how im Wert von einer Milliarde Euro abgezogen?

Beim Insolvenzverwalter sei nichts zu holen, sagte der Betriebsrat. Dagegen habe BenQ Know-how "im Wert von knapp einer Milliarde Euro" aus Deutschland abgezogen. Nach Ansicht des Betriebsrats liegt ein "vorsätzlicher gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmissbrauch" vor: Die Arbeitnehmer seien "vom Kapital getrennt" worden, "damit sich die Arbeitgeber der arbeitsrechtlichen Verpflichtungen und Insolvenz-
forderungen entledigen können". Den Begriff "Gestaltungsmissbrauch" gibt es jedoch nur im Steuerrecht, nicht im Arbeitsrecht. KeinE ArbeitnehmerIn hat Anspruch darauf, dass ein Unternehmen für Abfindungs- und Sozialplanforderungen hinreichend kapitalisiert ist.

Massive Kritik am Siemensvorstand zeigt ersten Erfolg

Nach massiver öffentlicher Kritik verzichtet der Siemens-Vorstand für ein Jahr auf die geplante 30-prozentige Gehaltserhöhung. Konzernchef Klaus Kleinfeld sagte in einem Interview, nach der Pleite des Handyherstellers BenQ gebe es eine neue Situation und man wolle den Menschen ein Zeichen der Solidarität geben. Kleinfeld kündigte gleichzeitig an, dass Siemens mit einem 30-Millionen-Euro-Fonds Härten bei Entlassungen in der ehemaligen Handysparte des Münchner Technologiekonzerns abmildern wolle. Darben muss der Siemens-Boss nicht. Auch ohne die nun vorerst verschobene Erhöhung bleiben ihm etwa 3,3 Millionen Euro jährlich. Dagegen ist das Angebot von 30 Millionen Euro für 3.000 KollegInnen sehr bescheiden. Eine Beschäftigungsgesellschaft, die unlängst 600 MitarbeiterInnen eines geschlossenen Infineon-Werks vor der Arbeitslosigkeit bewahren sollte, hatte weit mehr als 30 Millionen Euro benötigt!

Drecksarbeit für Siemens erledigt?

Fast alles spricht dafür, dass die Taiwanesen nur die Drecksarbeit für Siemens erledigen sollten, vor der sich der rendite-geile Vorstands-Chef Klaus Kleinfeld gedrückt hat. Und deshalb ist der Fall BenQ in Wahrheit ein Skandal Siemens. Offenbar war nicht die Sanierung der Handy-Sparte Ziel, sondern die relativ geräuschlose Entsorgung von 3.000 Arbeitsplätzen. Dass nahezu zeitgleich die Vorstandsbezüge bei Siemens um 30% erhöht werden sollten, passt ins Bild.

csk