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Bundessozialgericht:

Die ersten Hartz-IV-Verfahren

Knapp zwei Jahre nach Inkrafttreten von Hartz IV verhandelte am 7. November erstmals das Bundes-
sozialgericht in Kassel über  Streitfragen der Reform. Schwerpunkt der ersten Hartz-Sitzung sind die Unterkunftskosten. Rund zwei Wochen später, am 23. November, verhandelt das oberste deutsche Sozialgericht dann über die Höhe des Regelsatzes und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für ältere Arbeitslose.

Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und ihre Zusammenlegung mit der Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II Anfang des Jahres 2005 hatte bundesweit zu einer Klagewelle geführt. Allein beim größten deutschen Sozialgericht, dem Sozialgericht Berlin, überstieg im August die Zahl neuer Klagen und Anträge erstmals die Tausender-Grenze. Der Anteil von Hartz IV an allen neuen Verfahren liegt in Berlin bei 44 Prozent. Nicht nur in der Hauptstadt mussten die Sozialgerichte daher Stellen umschichten, was teilweise zu Verzögerungen bei anderen Verfahren etwa zur Kranken- oder Rentenversicherung führt.

Keine klare Linie bei Unterkunftskosten

Einer der wichtigsten Streitpunkte bei Hartz IV sind inzwischen die Unterkunftskosten. "Es geht kunterbunt durcheinander. Hier fehlt eine klare Linie", sagte der Sprecher des Deutschen Mieterbundes, Ulrich Ropertz. Umstritten seien die zulässige Größe, der Preis und häufig auch die Betriebskosten. Einer der beiden für Fragen der Arbeitslosigkeit zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) hat nun entschieden, ob die bundesweit einheitlichen Wohngeldtabellen zur Bestimmung der "angemessenen Unterkunftskosten" herangezogen werden können.

Hierbei stritt eine arbeitslose Mutter mit vier Kindern aus Niedersachsen über die Kosten ihrer Wohnung. Mit 580 Euro bewilligte die Arbeitsgemeinschaft nur einen Teil der Miete. Dabei stützte sie sich auf die bundesweit einheitlichen Wohngeldtabellen. Doch das ist nicht zulässig, urteilte das BSG. Es folgte damit der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe. Den Kommunen gaben die Kasseler Richter auf, eigene Maßstäbe für die Angemessenheit einer Wohnung zu entwickeln, die den örtlichen Gegebenheiten besser entsprechen.

Dabei müsse nur "das Produkt" aus Größe und Quadratmeterpreis stimmen, betonte das BSG. Es gab damit den Arbeitslosen einen gewissen Spielraum bei der Wohnungssuche. So können Arbeitslose beispielsweise auch eine Wohnung mit leicht gehobener Ausstattung wählen, wenn sie sich dafür bei der Größe entsprechend einschränken. Weiter entschied das BSG, dass Arbeitslose in der Regel nicht in einen anderen Ort umziehen müssen, um die Wohnungskosten zu senken.

Es ist nicht zu erwarten, dass dieses Urteil im Bereich des Jobcenters Kiel zwangsläufig zu einer Verbesserung der Situation arbeitsloser Menschen führen wird. Die Befürchtung, dass sich die “eigenen Maßstäbe für die Angemessenheit von Wohnungen” in Kiel zu einer Absenkung der anzuerkennenden Unterkunftskosten am unteren Ende von Mietspiegel oder neu entwickelten Kriterien orientieren werden, ist durchaus real.

Um eine ganz andere Frage stritt in einem weiteren Fall ein arbeitsloser geschiedener Vater: Er will, dass die Arbeitsgemeinschaft ihm Geld für Fahrkarten und weitere Unkosten gibt, damit er den Kontakt zu seinen minderjährigen Kindern aufrechterhalten kann. Nach Ansicht des obersten deutschen Sozialgerichts sind Hilfen für getrennt lebende Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen "aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich".

Das BSG gab dem Kläger unter Hinweis auf das Grundgesetz recht. Weil das Gesetz einen Zuschlag zum Regelsatz von monatlich 345 Euro nicht zulasse, müsse in solchen Fällen eine "Bedarfsgemeinschaft auf Zeit" möglich sein. Danach werden die minderjährigen Kinder für ihre Besuchstage dem Haushalt des Vaters zugerechnet. Vertreter verschiedener Arbeitsgemeinschaften verwiesen am Rande der Verhandlung auf den hohen Verwaltungsaufwand einer solchen Regelung. Der Gesetzgeber habe dies aber offenbar "so gewollt",  er. klärten die Kasseler Richter. Über die weit höheren Fahrtkosten soll nun das Sozialgericht Duisburg neu verhandeln.

In einem weiteren Fall ging es um die Frage, ob Arbeitslose eine Eigentumswohnung verkaufen müssen, die die zuständige  Arbeitsge- meinschaft aus Arbeitsagentur und Kommunen für zu groß erachtet. Das BSG erschwerte den Zugriff der Arbeitsgemeinschaften auf Eigentumswohnungen und Häuser. Danach sind für ein oder zwei Personen eine Eigentumswohnung von 80 und ein Eigenheim von 90 Quadratmetern als "Schonvermögen" geschützt und muss von den Arbeitslosen deshalb nicht verkauft werden. Für jede weitere Person kommen 20 Quadratmeter hinzu.

Der zweite Arbeitslosen-Senat des BSG hat seine erste Hartz-Sitzung für den 23. November terminiert. Hier rügt eine arbeitslose Frau, der Hartz IV-Regelsatz von 345 Euro monatlich sei generell zu niedrig. Dieser Ansicht ist auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, der eine Anhebung um 19 Prozent fordert. In weiteren, vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vertretenen Fällen fordern ältere Arbeitslose Bestandsschutz für ihre frühere Arbeitslosenhilfe. Nach der so genannten 58er-Regelung war ihnen die bis zur Rente zugesagt worden, ohne dass die Arbeitsämter ihnen noch die Suche nach einem neuen Job abverlangten. Diese Zusage dürfe nicht einfach ersatzlos wegfallen, argumentieren die KlägerInnen und der DGB.

Weitere häufige Streitfragen zu Hartz IV sind die Anrechnung von Vermögen und Nebeneinkünften sowie die Abgrenzung nichtehelicher Lebensgemeinschaften, bei denen das Partnereinkommen angerechnet wird, von reinen Wohngemeinschaften. Auch hierzu werden beim Bundessozialgericht zahlreiche Fälle erwartet. Terminiert ist aber noch kein Verfahren. Sobald die Rechtssprechung vorliegt, wird LinX über die Auswirkungen informieren.

(csk)