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Sozialdemokratische Arbeitmarktrezepte:

Die Nischen des Herrn Bartels

Botengänge, Reinigungsarbeiten, Handreichungen im Handwerk: Solche `Nischenjobs´ will der SPD-Kreisverband künftig auch in Kiel als `dritten Arbeitsmarkt´ etablieren. Profitieren sollen davon Langzeitarbeitslose, die aufgrund eines körperlichen oder psychischen Handicaps so gut wie keine Aussichten auf dem regulären Arbeitsmarkt haben.“ So stellten die „Kieler Nachrichten“ am 18. November ein neues sozialdemokratisches Modell zur Ersetzung regulärer Arbeitsverhältnisse vor, für das sich besonders der Kieler  Bundes- tagsabgeordnete und Rüstungspolitiker Hans-Peter Bartels stark machen will. Auf der ver.di-Bezirkskonferenz, die am gleichen Tag stattfand, lobte der Kieler DGB-Vorsitzende Ralph Müller-Beck dieses Konzept in den höchsten Tönen, ohne ins Detail zu gehen. Leider hatten es meisten Delegierten an diesem Vormittag noch nicht zur Kenntnis genommen, sonst hätte der Kollege Vorsitzende gleich zumindest einen Teil des energischen Widerspruches zu hören bekommen, der ihm jetzt entgegenschallen muss.

Dass es tatsächlich ein Modell zur Ersetzung von regulären, womöglich tariflich entlohnten Arbeitsverhältnissen ist, wird gar nicht verschwiegen: „Denn viele Helferjobs, die entweder wegrationalisiert oder auf andere Mitarbeiter verlagert wurden, könnten von Langzeitarbeitslosen übernommen werden.“  Also: Wo Belegschaften (und eventuell Gewerkschaften) es in der Vergangenheit hingenommen haben, dass in Folge von Personalabbau an sich notwendige Arbeiten von der verbliebenen Belegschaft mit erledigt werden mussten (entweder durch Bedienung effizienterer Maschinen – mit dann erhöhter Verantwortung – oder einfach durch Leistungsverdichtung und gesteigerte Arbeitshetze), wird jetzt „Entlastung“ angeboten dadurch, dass die Stellen der entlassenen Kolleginnen und Kollegen nun von unterbezahlten Langzeitarbeitslosen besetzt werden. Mit Signalwirkung für zukünftige Entwicklungen. Entsprechend ist in der Vergangenheit schon versucht worden, Betriebs- und Personalräten die Beschäftigung von 1-€-Jobbern schmackhaft zu machen. Und ebenso wie in diesen Fällen wird man auch für das neue Projekt Menschen finden, die froh sind, solche Arbeit machen zu dürfen.

Neu soll sein, dass es sich um sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse handeln soll und die Langzeitarbeitslosen, also BezieherInnen von ALGII diese Lohnersatzleistung zusätzlich zu ihren auf dem „dritten Arbeitsmarkt“ erworbenen Einkünften weiter beziehen sollen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollen entsprechend verändert werden. Anfang kommenden Jahres soll´s losgehen, an „Runden Tischen“ sollen „Gewerkschaften, Unternehmensverbände, Geschäftsführer und Jobcenter“ (KN) versammelt werden.

Führende Sozialdemokraten überbieten sich in den Hoffnungen, die sie (angeblich; wer weiß schon, wo bei ihnen der Wahnwitz aufhört und die reine Propaganda anfängt und wie sich beides in den jeweiligen Hirnen vermischt) in dieses Projekt setzen: Klaus Fischer, SPD-Kreisvorsitzender, erwartet, dass 1.500 Langzeitarbeitslose auf diese Weise „wieder an Arbeit herangeführt werden“; „der DGB“, so die KN und leider auch Ralph Müller-Beck bei ver.di, spricht von 2.000 neuen Jobs und „schwärmt gar von Senkung der Arbeitslosigkeit um 20 Prozent“ (KN).

Mit Sicherheit hätte die SPD kein Problem damit, die Ersetzung tausender Arbeitsplätze (nach den Worten HaPe Bartels könnte sein Konzept für „Hunderttausende von Menschen in Deutschland“ Anwendung finden) durch „Nischenjobs“ als realen Erfolg im Kampf gegen die Erwerbslosigkeit („Schaffung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“!) zu verkaufen. Bleibt die Frage, ob der DGB davon ausgeht, dass 20 Prozent der Erwerbslosen in Kiel durch „schwere körperliche und psychische Handicaps“ an der Entgegennahme normalen Arbeitsentgeltes gehindert sind (wenn man mal davon ausgeht, dass der DGB – „der DGB“, was für ein Blödsinn, man sollte doch lieber die jeweiligen Personen benennen – tatsächlich 20 Prozent der Erwerbslosen für extrem körperlich und psychisch geschädigt hält) – schließlich sollen sie die Arbeit, die sie an Stelle der entlassenen Menschen verrichten, ebenso gut machen wie diese. Aber vielleicht war das mit den Handicaps auch nur ein schlecht durchdachtes Hilfsargument.

Dass die Unternehmerverbände das SPD-Konzept noch für unausgegoren halten, nahm Ralph Müller-Beck triumphierend als zusätzliches Argument für die Qualität der Bartelsschen Ideen. So naiv kann er nicht sein; dass er uns eine solche Naivität unterstellt, darf man als Beleidigung auffassen und sollte es entsprechend beantworten.

Ganz sicher ist eines: Wir brachen keine dritt- und viertklassigen Politiker, die uns dritte, vierte, fünfte oder was weiß ich für sonstige zusätzliche Arbeitsmärkte andienen wollen. Wir dürfen nicht dulden, dass die Spitzenangestellten unserer Gewerkschaften sich vor den Karren solcher Politiker spannen lassen. Wir müssen über unsere Gewerkschaften den Widerstand gegen die Politik der Unternehmer und der Regierungen organisieren – wir sind im Oktober nicht aus Spaß auf die Straße gegangen – und weiter gegen das gesamte System der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze und dabei nicht zuletzt für drastische Arbeitszeitverkürzung kämpfen.

 (D.L.)