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Bundesweite Proteste gegen Sparpläne bei Airbus

Rund 24.500 Menschen haben nach Gewerkschaftsangaben am 02. Februar bundesweit mit groß angelegten Protesten gegen die drohenden Sparmaßnahmen beim Flugzeugbauer Airbus demonstriert. Zu den norddeutschen Kundgebungen vor den Werkstoren in Hamburg-Finkenwerder, im niedersächsischen Varel sowie in Bremen versammelten sich am Mittag Tausende Teilnehmer. Betriebsräte und Gewerkschaft befürchten, dass durch das geplante Sanierungsprogramm "Power 8" der Tochtergesellschaft des EADS-Konzerns bis zu 10.000 der insgesamt rund 23.000 Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet sein könnten.

Kämpferische Töne in Hamburg

Am größten Standort Hamburg zeigte sich Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) vor den 12.000 Teilnehmern der Demonstration kämpferisch. Hamburg werde nicht zulassen, dass die Endfertigung des A380 in der Hansestadt oder das geplante Auslieferungszentrum in Frage gestellt würden. "Wir werden in allen diesen Fragen an der Seite der Mitarbeiter von Airbus stehen", betonte Uldall.

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Airbus Deutschland, Rüdiger Lütjen, kritisierte die Hinhaltetaktik der Konzernspitze: "Seit sechs Monaten ist das Unternehmen nicht in der Lage, den Menschen eine Perspektive zu zeigen. Das finde ich langsam unanständig." Im Zusammenhang mit den geplanten Restrukturierungen gebe es offenbar Bestrebungen, ganze Airbus-Bereiche von Deutschland ins Ausland zu verlagern oder gar Werke zu schließen. Das aber werde auf erbitterten Widerstand von Betriebsrat, Politik und Gewerkschaften treffen, beschloss Lütjen einem Bericht des NDR zufolge seine Rede.



Puttfarcken: "Es gibt noch keine Entscheidungen"

Airbus-Deutschlandchef Gerhard Puttfarcken warb in Hamburg um Vertrauen für die geplanten Veränderungen im Konzern. Niemand könne angesichts der täglichen Berichte "ruhig und gelassen bleiben". Er betonte, dass es beim Sanierungsprogramm "Power 8" noch keine Entscheidungen gebe. Gleichzeitig räumte er schwere Managementfehler ein. Erste Konsequenzen daraus seien gezogen. Die ersten messbaren Erfolge beim A380 reichten jedoch bei Weitem nicht aus. Deshalb müsse "Power 8" eine "grundsätzliche Neuausrichtung unserer Industrie sichern", so der Deutschland-Chef. Zuvor hatte Puttfarcken bereits zur Besonnenheit aufgerufen: "Ein Arbeitskampf wäre so ziemlich das Letzte, was Airbus gebrauchen kann", hieß es in einer Mitarbeiterinformation.

Beust betont Engagement Hamburgs

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte sich zuvor von Betriebsräten über ihre Befürchtungen informieren lassen. Von Beust betonte, er vertraue auf die Zusagen und Verträge mit Airbus. Er gehe davon aus, dass weiterhin das Großraumflugzeug A380 in Hamburg ausgestattet und ausgeliefert werde. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Zusagen bezüglich des A380 zur Disposition stehen", so der Bürgermeister nach dem Treffen. Den verärgerten Hamburger KollegInnen mochte von Beust seinen vertrauensseligen Eindruck aber nicht vermitteln und schickte seinen Wirtschaftssenator.

Wulff warnt Airbus-Spitze

Auch die Regierungschefs von Niedersachsen und Bremen beteiligten sich an dem Aktionstag. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) traf sich in Varel zu Gesprächen mit den Betriebsräten. In seiner Rede vor den rund 8.000 Demonstranten warnte er anschließend die Airbus-Spitze vor einer "einseitigen Benachteiligung" der norddeutschen Standorte. Dies werde die Landesregierung "auf keinen Fall" hinnehmen. Es gehe "um nicht mehr oder weniger als die Sicherung des Luftfahrtstandorts Deutschland", erklärte Wulff.

Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen warf vor knapp 2.000 Protestierenden dem Airbus-Management Fehler vor. "Die schwierige Situation ist durch Managementfehler verursacht. Wir sind bereit zu kämpfen, gemeinsam und für jeden Arbeitsplatz", betonte der SPD-Politiker, der zuvor den "verstärkten Einfluss der Industriepolitik Frankreichs" beim Mutterkonzern EADS bemängelt hatte.

EADS nennt noch keine Zahlen

Der Mutterkonzern EADS schweigt indes weiter zu den Einzelheiten der Umstrukturierungs- und Sanierungspläne. Mehrere Politiker bestätigten am 01. Februar, dass EADS-Co-Chef Thomas Enders in Berlin Ende Januar vom Wegfall von bis zu 10.000 Arbeitsplätzen gesprochen habe - das Unternehmen beharrt dagegen darauf, Enders habe von Spekulationen geredet. Andererseits bekräftigte EADS: "Es wird und muss harte Einschnitte geben, diese begründen sich schon aus der Situation des Unternehmens." Der Airbus-Betriebsrat rechnet damit, dass allein im Hamburger Werk Finkenwerder 4.000 Arbeitsplätze wegfallen. In Bremen wird mit dem Verlust von 1.200 Jobs gerechnet. Der Betriebsrat soll am 20. Februar umfassend informiert werden.

Angst, Schweigen, Wut

Windig ist es und nass. Grau hängt der Himmel über dem Airbus-Parkplatz in Varel, schleichend kriecht die Kälte von unten in die Hosenbeine. Trotzdem hat sich eine große Menschenmenge versammelt. Mehr als 6000 sind gekommen - ArbeiterInnen, Auszubildende, Großeltern mit ihren Enkelkindern, LehrerInnen mit ihren SchülerInnen. Jeder in der kleinen Stadt an der Nordsee kennt jemanden, der hier arbeitet, Airbus ist der größte Arbeitgeber. Zudem sind hunderte Arbeitsplätze bei kleinen und mittelständischen Zulieferbetrieben abhängig von dem Luftfahrtriesen.

Die Frierenden warten auf kämpferische Töne

Die Stimmung ist gedrückt. Unnötige Worte werden in diesem Landstrich nicht gemacht - aber nun ist das Schweigen fast greifbar. Dicht an dicht stehen die Menschen, viele haben Transparente mitgebracht. "Wer einen von uns angreift, greift uns alle an", ist auf einem zu lesen. Ein Vertreter des Betriebsrats spricht, auch Ministerpräsident Christian Wulff ist nach Varel gekommen.

Bewegung kommt immer nur dann in die Menge, wenn der Ton auf der Bühne kämpferisch wird. "Wir lassen uns das nicht gefallen!", "Wir werden kämpfen!", "Wir werden nicht die Suppe auslöffeln, die das Management uns eingebrockt hat!" - das sind die Sätze, auf die die Frierenden warten. In diesen Augenblicken wird spürbar, wie groß die Wut ist und die Entschlossenheit, das Feld nicht kampflos zu räumen.

"Der kann froh sein, wenn er heil ins Werk kommt"

Die Stimmung droht zu kippen, als ein Vertreter der Konzernleitung das Mikrofon in die Hand nimmt. "Ich verstehe Ihre Sorgen", beginnt er. Die Umstehenden raunen. "War der mal Pastor, oder was?", kommentiert einer von ihnen. Doch noch sind sie gewillt, zuzuhören. Das ändert sich, als aus den Boxen ertönt: "Ich weiß, dass dies eine ungewöhnliche Bitte ist. Aber wir sollten dem Management von EADS vertrauen und keine unbedachten Schritte gehen." Der Rest geht unter in einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert, mit empörten Zwischenrufen machen sich die ArbeiterInnen Luft. "Damit sind wir in der Vergangenheit ja super gefahren", brüllt einer, "Der kann froh sein, wenn er heil wieder ins Werk kommt", sagt ein anderer. Erst als ein Vertreter des Betriebsrats das Wort ergreift, beruhigt sich die Menge. "Zu unserer Tradition gehört, dass wir erst zuhören und dann protestieren." Die Ermahnung zeigt Wirkung, obwohl die Empörung bleibt.

"Ich halte im Moment lieber die Klappe"

Zahlreiche Journalisten sind gekommen, Kamerateams schieben sich durch die Massen. Vielen Protestierenden ist anzusehen, dass sie hoffen, nicht angesprochen zu werden. "Jetzt bist du fällig", versucht ein Pressevertreter sein Glück und hält einem Mittvierziger mit IG-Metall-Mütze und Transparent das Mikrofon unter die Nase. "Ich sage nichts", reagiert der Angesprochene sofort, "ich gebe in der jetzigen Situation keine Interviews". Als der Journalist und das Kamerateam außer Hörweite sind, schiebt er für die Umstehenden hinterher: "Ich halte im Moment lieber die Klappe. Ich habe einmal vor dem Werkstor was in eine Kamera gesagt. Das ist mir nicht so gut bekommen."

Wenige Meter weiter hat ein anderes Kamerateam mehr Glück. Sehr gesprächig ist zwar auch sein Interviewpartner nicht, aber er fasst in fünf Worten zusammen, was alle denken: "Ich habe einfach nur Angst."

csk