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Koloniale Geschichte Kiels

Albert Schweitzer statt Carl Peters

Die schwarz-grüne Koalition im Kieler Rat will im März endgültig dafür sorgen, dass die Dietrichsdorfer Carl-Peters-Straße umbenannt wird. Neuer Namenspatron soll Albert Schweitzer werden, und aus der „Straße“ wird ein „Weg“. Der für das Gebiet, in dem es weiterhin eine Lüderitz-, Nachtigal- und Wißmannstraße gibt, verbreitete Name „Afrikaviertel“ kann damit uneingeschränkt weiter verwendet werden.

An einer Umfrage, für die 137 Haushalte in der Straße mit dem umstrittenen Namen angeschrieben worden waren, beteiligten sich 70 Personen. 54 von ihnen sprachen sich gegen eine Umbenennung aus, nur 16 dafür. Mit ihrer bereits in der letzten Ausgabe der „LinX“ hervorgehobenen, neu gewonnenen Kühnheit werden die Ratsparteien dennoch eine Umbenennung durchsetzen.

Sozialdemokratische Kolonialpolitik

In der letzten Ausgabe der „LinX“ hatten wir auf die antikolonialistische Tradition der deutschen Sozialdemokratie Bezug genommen und einen Artikel Franz Mehrings aus der „Neuen Zeit“ (Jgg. 1907) zitiert. Bekanntlich folgte die SPD-Reichstagsfraktion, in deren Traditionslinie die heutige SPD steht (und keineswegs in der Franz Mehrings, Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts), ab August 1914 einem anderen politischen Leitstern. Und was mit der Bewilligung der Kriegskredite „zur Verteidigung des Vaterlandes“ begann, brachte bald eine aktive Parteinahme für die imperialistischen Kriegsziele des Kaiserreichs mit sich – eingeschlossen eine Unterstützung der Kolonialpolitik, ja, selbst die Forderung nach Ausweitung des Kolonialbesitzes im Konkurrenzkampf besonders gegen England, aber auch Frankreich und die USA.

Nun gingen die deutschen Kolonien bis auf Deutsch-Ostafrika im Weltkrieg bereits recht schnell verloren. Was also taten die Kriegssozialisten – Rosa Luxemburg prägte für sie den Namen „Sozialimperialisten“? Sie forderten die Rückgabe der vom Feinde eroberten Kolonien.

Im September 1918 (!) nahm einer der prominentesten Vertreter des deutschen Sozialimperialismus, Heinrich Cunow, in der inzwischen von ihm selbst geleiteten „Neuen Zeit“ zu „Englands Verlangen nach dem deutschen Kolonialbesitz“ Stellung. In positiver Bezugnahme auf eine Rede des Staatssekretärs des deutschen Kolonialamtes, Dr. Solf, bejahte er dessen Forderung nach Erhaltung des deutschen Kolonialbesitzes und die Bewertung dieser Angelegenheit als „Ehren- und Lebensfrage für Deutschland“. Cunow führte unter anderem aus:

„Je mehr sich aber England auf die Annexion des deutschen Kolonialbesitzes versteift, desto nötiger ist es, daß das deutsche Volk mit aller Kraft auf der Rückgabe besteht. Es handelt sich nicht bloß darum, dass durch die Gewinnung der deutschen afrikanischen und ozeanischen Kolonien Englands Weltmachtstellung noch mehr gestärkt und Deutschland auf  lange Zeit in den Hintergrund gedrängt würde, es handelt sich vielmehr, wie Dr. Solf ganz richtig sagte, um eine Lebensfrage Deutschlands, um eine Frage seiner künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, an der auch die deutsche Arbeiterschaft in hohem Maße interessiert ist.“
„Zudem handelt es sich nicht nur um die Festhaltung des alten Kolonialbesitzes. Will Deutschland in der kommenden Ära des Finanzkapitalismus seine in den letzten Jahrzehnten erlangte weltwirtschaftliche Stellung behaupten, muss es seinen Kolonialbesitz ausdehnen.“

„Auch auf dem Gebiet der Kolonialpolitik hat sich durch den Weltkrieg eine Umwälzung der gesamten Verhältnisse vollzogen. Die alten Formeln, Gründe und Gegenstände, die einst in der Diskussion der sogenannten Kolonialfrage ihre Rolle spielten, haben heute ihre Bedeutung verloren, und aus den neuwerdenden wirtschaftlichen Verschiebungen erstehen neue Gründe. Mancher Einwand, der vor dem Kriege in Anbetracht der damaligen Wirtschaftsentwicklung Deutschlands, der raschen Ausdehnung seines Außenhandels, auch in den englischen Kolonialgebieten (! – D.L.), der Freihandelspolitik Englands, der Offenheit der Kolonialmärkte usw. seine Berechtigung hatte, hat unter den neuen wirtschaftlichen Existenzbedingungen Deutschlands und den neuen internationalen Verknüpfungen diese Berechtigung verloren. Diese veränderte Weltwirtschaftslage bedingt, dass auch die deutsche Arbeiterschaft, will sie nicht ihr eigenes Interesse hintanstellen, zur Kolonialfrage eine andere Stellung einnimmt. Ihr weiterer Aufstieg kann sich nur auf der Basis einer ungehemmten Weiterentwicklung des deutschen Wirtschaftsgetriebes vollziehen.“

Wahrlich ein Stichwortgeber moderner sozialdemokratischer Politik, auch wenn heute direkter Kolonialbesitz nicht mehr angesagt ist und statt „Finanzkapitalismus“ und „Imperialismus“ inzwischen „Globalisierung“ gesagt wird. Das erklärt allerdings nicht zur Genüge, warum Kieler Sozialdemokraten so lange den Menschenschlächter Carl Peters als Namensgeber für eine Straße in unserer Stadt geduldet und ihn nicht längst, wie manch andern Orts andere Sozialdemokraten, als lästigen Ballast abgetan haben. Aber die Geistesverfassung der betreffenden Mitbürgerinnen und Mitbürger bis ins Letzte zu ergründen, dazu bin ich gar nicht angetreten.

 (D.L.)