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„Es kommt darauf an, ein antifaschistisches Klima zu schaffen“

Marianne Wilke vom Landesvorstand der VVN/BdA am 25.1.07 in Kiel:

Liebe Freundinnen und Freunde, Kameradinnen und Kameraden, liebe Gäste,

mit dem heutigen Tag eröffnet die Vereinigung der  Ver- folgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten zeitgleich eine bundesweite Kampagne für ein NPD-Verbot. Zu den  Erstunterzeichnern eines Aufrufes gehören auch Persönlichkeiten aus Schleswig-Holstein. Sie repräsentieren ein breites demokratisches Spektrum. Es sind ehemalige Widerstandskämpfer und Überlebende des Holocaust, Funktionäre aus Betrieben und Gewerkschaften sowie Persönlichkeiten aus dem christlichen Raum.

Die VVN-BdA, gegründet 1947,  ist die älteste Organisation der Verfolgten und Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Krieg in Deutschland. Es war für unsere Gründer selbstverständlich, dass sie sich gegen ein Wiederaufleben des Faschismus gewendet hat, wo er auch immer wieder sein Haupt erhob. Dabei berief sie sich auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das in Artikel 139 ausdrücklich für das Fortwirken der alliierten Verbote für faschistische Organisationen und der nazistischen Nachfolgeparteien eingesetzt hat. Diesen Standpunkt nahmen auch spätere Bundesregierungen ein, wenn sie sich auf internationaler Ebene zu neofaschistischen Tendenzen in der Bundesrepublik äußern mussten. (…)

Dabei standen die Versicherungen im krassen Widerspruch zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in unserem Lande. Zu dieser Zeit schon konnten sich die verschiedenen neonazistischen Gruppen und Parteien in unserem Lande entwickeln und bewegen. Mitte der 60er Jahre schon wurde die NPD gegründet. Ihre Führungsorgane auf Bundes- und Landesebene waren fest in den Händen ehemaliger  NS- Funktionäre: Von den 18 Mitgliedern des Parteivorstandes waren 12 der NSDAP bereits zwischen 1929 und 33 beigetreten. Ihre Ideologie blieb die gleiche, wenn sie sich auch in ihrem Parteiprogramm noch vorsichtig ausdrückten, um das kritische Ausland zu täuschen. Im Inland gab es zahlreiche Proteste und Demonstrationen vor allem gegen die NPD, die schon in den 60er Jahren in sieben Landesparlamenten vertreten war. Einer breiten antifaschistischen Bewegung gelang es damals noch, die NPD wieder zurück zu drängen. Damals haben wir mit den Worten von Bert Brecht gewarnt: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Und leider hatten wir Recht, wir kennen die historische Entwicklung. Mittlerweile haben die Nazis ihre Tarnkappen längst abgelegt. Wir Schleswig-Holsteiner erinnern uns an die Landtagswahlen von 1992, als der DVU der Einzug ins Landesparlament gelang. Ingo Stawitz, damals Fraktionsvorsitzender der DVU , der über die Zwischenstation Deutsche Liga für Volk und Heimat zur NPD übertrat und für diese Partei zur letzten Landtagswahl kandidierte, nutzte die Tribüne des Landtages, um für seine rassistischen und antisemitischen Parolen zu werben. Es war derselbe Ingo Stawitz, der sich am Rande eines NPD-Landesparteitages in Steinburg als Steinewerfer und Schläger betätigte und dafür verurteilt wurde. In seinem Gefolge befanden sich weitere wegen Körperverletzung und Volksverhetzung vorbestrafte Gesinnungsgenossen.

In der faschistischen Szene haben wir es heute mit einer neuen Qualität zu tun, die nicht nur uns Angst macht. Sie nennen es Deutschlandpakt, was sie da zusammen zimmern. NPD, DVU und die üblen so genannten Freien Kameradschaften, die Stiefel-Nazis also. Sie eroberten in Sachsen und Mecklenburg/Vorpommern parlamentarische Sitze in Fraktionsstärke und halten mit ihrer nazistischen Gesinnung nicht hinter den Berg. Schon in der ersten Sitzung des sächsischen Landtages verließen sie den Saal, als der Opfer des Holocaust gedacht werden sollte. Außerdem erregten die Nazis Aufsehen dadurch, dass sie in zahlreichen Kommunen sogar zweistellige Wahlergebnisse erreichten. Dort hatten sie mit Terror bereits Vorarbeit geleistet. Stolz wiesen sie darauf hin, dass es bei ihnen „national befreite Zonen“ gebe. Udo Voigt, der NPD-Vorsitzende, nennt seine Partei die führende Kraft des volkstreuen Widerstands. Tatsächlich gibt es in verschiedenen Städten und auf dem Lande Gegenden, wo sich kein Mensch mit fremdländischem Aussehen frei bewegen kann.

Über 100 Tote gehen auf das Konto dieser Nazi-Terroristen.

Jürgen Rieger, neofaschistischer Multifunktionär und Anwalt, der in der ganzen Bundesrepublik versucht, Häuser zu kaufen, um dort Schulungszentren einzurichten, drohte in einem Panorama-Interview mit einer „rechten RAF“ , er sagte „Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen sie, es geht los.“

Die menschenverachtende Ideologie der NPD äußert sich offen in ihrer Parteizeitung „Deutsche Stimme“. Dort wird die nazistische Volksgemeinschaft beschworen. Wörtlich heißt es: „Die Kardinalfrage wer gehört dazu und wer nicht kann nur national beantwortet werden. Für wen das alles nur unterschiedslos `Menschen´ sind, der vermag das schreiende Unrecht der Bunten Republik Deutschland nicht zu erkennen.“ Sie nennen uns, die wir an die Nazivergangenheit erinnern, „Erinnerungsmumien, die im Netz der Vergangenheitsbewältigung gefangen“ seien.

Mit den Erfolgen bei den Landtagswahlen wächst zwangsläufig auch die materielle Basis der NPD. Millionen von Euro wandern in die Parteikassen, mit denen sie weitere Kampagnen finanzieren und weitere hauptamtliche Kräfte rekrutieren. Die NPD setzt in diesem Zusammenhang auf neue Themenfelder, wie beispielsweise auf soziale Demagogie. Mit der bekannten Parole „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche“ sprechen  sie Hartz-lV-Empfänger an. Es sei notwendig, die soziale Frage mit nationalen Inhalten aufzuladen, heißt es in der „Deutschen Stimme“. Und weiter: In diesem Sinne laute das Gegensatzpaar „Sozialstaat oder Einwanderungsstaat“. Mit der so gestellten sozialen Frage würden die politischen Schlachten der Zukunft geschlagen. All diese Sätze stammen aus der „Deutschen Stimme“.

Wir stellen fest: Nationaler Sozialismus unterscheidet sich vom Nationalsozialismus wie der Sperling vom Spatzen: in nichts.

National demagogisch tritt die NPD auch in der Antikriegsbewegung auf. (…) Sie schreiben: „Deutschland hat Anspruch auf Wiederherstellung seiner völkerrechtlichen Grenzen“ und stellen damit die polnische Grenze in Frage. Die NPD erklärt in ihrem Programm 1996: “Deutschland ist größer als die Bundesrepublik, die Preisgabe deutscher Gebiete ist nicht hinzunehmen.“

Liebe Teilnehmer, wenn faschistische Ideologie eine Verletzung des Grundgesetzes darstellt, dann muss die NPD verboten werden, das bedarf kaum einer Diskussion. Es mag allerdings auch unter Antifaschisten in Frage gestellt werden, ob ein NPD-Verbot sinnvoll ist. Aber auch wir sehen ein NPD-Verbot nur als Teil einer dringend notwendigen Kampagne gegen faschistische Ideologie und Politik. Das NPD-Verbot darf keine Alibi-Veranstaltung sein wie einst das Verbot der Deutschen Reichspartei.

Es ist nicht nur um die juristische Seite, auf die es uns in der Kampagne ankommt, vielmehr müssen die inhaltlichen Fragen in die gesellschaftliche Diskussion gerückt werden. Wir wollen verhindern, dass das innenpolitische Klima durch Neonazis vergiftet wird, dass die Achse der Politik weiter nach rechts verlagert wird, dass Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zur Normalität wird, und dass das Ansehen des deutschen Widerstands verunglimpft werden kann, wie es in den Parlamenten geschieht, in denen die NPD vertreten ist.

Unser Grundgesetz ist ein Gegenentwurf zum Terrorregime der Hitlerzeit und spricht sich eindeutig für die Auflösung aller neofaschistischen Parteien und Gruppierungen aus.

Um diese Forderung zu verwirklichen, brauchen wir ein breites Bündnis, das alle demokratischen Kräfte umfasst. Wir wollen eine Diskussion und eine Kampagne, die den Namen „Aufstand der Anständigen“ verdient, die aufzeigt, dass neofaschistische Parteien nicht zur demokratischen Vielfalt gehören, sondern eine Gefahr für die Demokratie sind.

Es kommt darauf an, ein antifaschistisches Klima in unserem Land zu schaffen und darauf, Lehren aus Verfolgung und Widerstand zu ziehen, um den Schwur von Buchenwald zu verwirklichen, in dem es heißt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Dafür wollen wir eintreten.