Die IG Metall hat mit ihren Protesten gegen die Erhöhung
des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre begonnen und kann sich dabei auf
den Unmut der Beschäftigten über die Rentenpläne der Bundesregierung
stützen. Im März soll das Gesetz zur „Rente mit 67“ verabschiedet
werden. Mit den Protesten will die Gewerkschaft die Anhebung des Renteneintrittsalters,
die Ende Januar vom Bundestag in zweiter Lesung beraten wurde, verhindern.
In den Medien werden wir tagtäglich von einer massiven Propagandawelle
überspült. Gut bezahlte Politiker, Professoren und Chefredakteure
predigen uns Verzicht und Privatrente. Begründet wird dies mit angeblich
„unumstößlichen“ Sachzwängen. Wer heute deutlich jünger
als 50 ist, soll künftig erst mit 67 in Rente gehen können. Doch
immer weniger Unternehmen beschäftigen Ältere. Arbeitssuchende
ab 50 finden in den meisten Betrieben keine feste Anstellung mehr. So bringt
die höhere Altersgrenze für viele nichts anderes als eine
schmerzhafte Rentenkürzung. Wer über 50 und ohne Arbeit ist,
rutscht über Hartz IV unweigerlich in die Altersarmut. Empfänger
von Arbeitslosengeld II erwerben pro Jahr einen Anspruch auf monatlich
4,30 Euro Rente.
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Die Demagogie mit der Demografie
Totschlagsargument der Verfechter der Rentenkürzung ist der so genannte „demographische Faktor“. „Wir werden immer älter und immer mehr Rentnern stehen immer weniger Erwerbstätige gegenüber“; heißt es. Und darum sei die gesetzliche Rente nicht mehr bezahlbar. Und so müssten wir uns eben mit einer höheren Altersgrenze und sinkenden Rentenbezügen abfinden und „privat vorsorgen“.
Dass die Menschen älter werden, ist nicht neu, sondern
ein Trend seit 100 Jahren. Dass der medizinische Fortschritt dies ermöglicht,
ist ein Segen und nicht ein Fluch. Vor 200 Jahren waren 90 Prozent der
Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Heute sind es nur noch
zwei Prozent. Trotzdem verhungern wir nicht, weil die Produktivität
enorm gestiegen ist. Genau so ist die Produktivität der gesamten Wirtschaft
sprunghaft angestiegen. Gegenüber 1960 wird, so erklärt eine
ver.di-Publikation, in den alten Bundesländern heute mit nur noch
gut 80 Prozent der gesamten Arbeitsstunden ein mehr als dreifach so hohes
Bruttoin-
landsprodukt geschaffen. Dieses Land hat eine sehr hohe
Arbeitsproduktivität und enorm viel Reichtum. Die Frage ist nur: in
wessen Händen und in wessen Interesse?
Solange es – bis in die 70er Jahre – „Vollbeschäftigung“
gab und fast alle Menschen in sozialver-
sicherungspflichtigen Jobs unterkamen, war die Finanzierung
der Rente kein Problem. Doch Vollbe-
schäftigung war im Kapitalismus stets Ausnahme.
Massenarbeitslosigkeit untergräbt die gesetzliche Rentenversicherung.
Mit dem Anschluss der DDR an die BRD 1990 und der Abschlachtung von Arbeitsplätzen
im Osten verschärfte sich die Lage, zumal die Rentenzahlungen Ost
nicht voll durch den Staat ausgeglichen wurden. Während einige wenige
von der Vereinigung 1990 massiv profitierten und sich bereicherten, zahlt
die breite Masse drauf.
Die Krise der gesetzlichen Rentenversicherung kommt einigen gelegen. Finanzkonzerne und Versicherungsunternehmen etwa reden uns – mit Hilfe so genannter „Experten“ – seit Jahren ein, dass wir uns für das Alter privat versichern sollen. Hinter dieser schleichenden Privatisierung steckt das Interesse des Finanzkapitals an lukrativen Anlagemöglichkeiten. Professoren wie Rürup, Raffelhüschen, Sinn und Miegel und Politiker fast aller Couleur treten wie bezahlte Propagandisten der Versicherungswirtschaft auf. Doch diese Herrschaften brauchen ihre Groschen in keine „Riester-Rente“ zu stecken, weil sie üppige staatliche Pensionen zu erwarten haben, für die ein normal Sterblicher vielleicht 200 oder 300 Jahre arbeiten müsste. Ob kapitalgedeckte Anlagemöglichkeiten so beständig sind wie die gesetzliche Rente, ist mehr als zweifelhaft. Im vergangenen Jahrhundert sind Menschen, die alle Ersparnisse privat angelegt hatten, in Deutschland schon zweimal durch große Krisen enteignet worden und standen vor dem Nichts. Auch in den USA haben in den letzten Jahren spekulative Geschäfte von privaten Rentenfonds schon manchen Traum von einem sorgenfreien Lebensabend zerstört.
Hinter dem vermeintlich „natürlichen“ Demografie-Problem verbirgt sich die alte Frage: wie ist der gesellschaftliche Reichtum verteilt und wer gibt in Wirtschaft und Gesellschaft den Ton an? Wer arm ist und wer sich im Arbeitsleben verschlissen hat, der stirbt früher.
„Couponschneider“ werden älter
Dreh- und Angelpunkt ist die Vollbeschäftigung bei existenzsichernden Einkommen. Und die ist im realen Kapitalismus offensichtlich nicht mehr wieder herzustellen. Appelle an Konzerne, sie mögen uns doch bitte die Jobs lassen und Ältere einstellen, sind wirkungslos. Wer Arbeitsplätze verlagern will, kann gerne auswandern. Die Betriebe müssen aber hier bleiben und unter die Kontrolle von Belegschaften, Gewerkschaften und Staat gestellt werden. Die Arbeit muss auf alle aufgeteilt werden – durch radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust. Der gesellschaftliche Reichtum muss von der Gesellschaft kontrolliert und zum Wohle aller eingesetzt werden.
Und wenn wir wieder mehr Kinder wollen, brauchen wir vor allem zwei Dinge. Zum einen eine massive Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden in der Woche, damit Familie und Beruf wirklich vereinbar werden und niemand wegen der Kinderbetreuungszeiten „Karriereknick“ und Ausgrenzung aus der Arbeitswelt fürchten muss. Zum anderen ein flächendeckendes kostenloses Angebot an Kinderkrippenbetreuung in allen Ortschaften, Stadtteilen und Gewerbegebieten sowie Ganztagesschulen mit Hausaufgaben- und Freizeit- betreuung durch geschultes Personal.