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Unfallserie in Vattenfall-AKWs:

„Verfall der Sicherheitskultur“

Die Serie der „Zwischenfälle“ in schwedischen Atomkraftwerken des staatlichen Konzerns Vattenfall reißt nicht ab. Am 16. Februar musste der Reaktor Ringhals 2 südlich von Göteborg vom Netz genommen werden. Im Kühlwasserkreislauf war ein Leck aufgetreten. Im November 2006 hatte es im gleichen AKW einen Größeren Unfall gegeben, als dort ein Feuer ausbrach. Anfang Februar war in Forsmark, in der Nähe von Stockholm, ebenfalls ein Leck aufgetreten. Reaktor Forsmark 1 darf zunächst nicht wieder ans Netz. Auch Forsmark 2 ist derzeit nach einem Störfall außer Betrieb. Die staatliche Aufsichtsbehörde will nun die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die Sicherheit der Vattenfall-AKWs überprüfen lassen.

Erst Ende Januar gab ein vertraulicher Bericht einen interessanten Einblick in die Welt der schwedischen Techniker und Ingenieure, die mit der gefährlichen Technologie umgehen und uns vor ihr beschützen sollen. Stichproben beim AKW-Betreiber Vattenfall haben ergeben, dass so mancher die Arbeit in den Meilern offensichtlich nicht im nüchternen Zustand ertragen kann.

Der Bericht war im Sommer letzten Jahres nach einem schweren Unfall in Auftrag gegeben worden. Am 25. Juli 2006 war 100 Kilometer nördlich von Stockholm der Reaktor 1 des AKW Forsmark haarscharf an einer Kernschmelze vorbeigeschrammt. Nach einem Kurzschluss in einem nahe gelegenen Umspannwerk war seinerzeit der betreffende Reaktor per Schnellabschaltung heruntergefahren worden. Dabei versagte jedoch das Notstromsystem, so dass zeitweise die Überwachung der Anlage und die Steuerung der Brennstäbe ausfiel. Erst in letzter Minute konnten die Notstromaggregate manuell gestartet werden. Ein unabhängiger Beobachter urteilte, dass nur wenige Minuten später die Kernschmelze eingesetzt hätte. Betreiber und Atomaufsicht stuften den Vorfall jedoch weniger dramatisch ein.

Dennoch wurde ein Prüfbericht über den Stand der Sicherheitstechnik und -vorkehrungen in Forsmark in Auftrag gegeben, der nun Ende Januar in die Hände schwedischer Rundfunkjournalisten gelangt ist. Diese berichten im dortigen Fernsehen von unhaltbaren Zuständen in Forsmark. Mehrere Arbeiter hätten nach hause geschickt werden müssen, weil sie angetrunken gewesen waren. Andere Medien sprechen von einer Stichprobe, bei der von 25 Getesteten drei Arbeiter nicht nüchtern gewesen seien. Nach einem Agenturbericht legte ein Sprecher des Betreibers Wert auf der Feststellung, dass es sich nicht um eigene Angestellte sondern Leiharbeiter gehandelt habe.

Unterdessen berichtet das Schwedische Fernsehen, dass es im Zuge von Reperaturarbeiten wenige Monate vor dem beinahe GAU 22 schwere und zahlreiche kleinere Unfälle gegeben habe.

Offensichtlich nimmt man es beim Betreiber Vattenfall mit der  „Sicherheitsphilosophie“ nicht mehr so genau. Nach einem Beitrag auf dem englischsprachigen Internetportal „The Lokal“ schreiben die Autoren des Reports, dass „es über einen langen Zeitraum eine Erosion der Sicherheitskultur des Unternehmens gegeben hat“. Kurz nach den ersten Meldungen über den Forsmark-Bericht hat die schwedische Atomaufsicht SKI bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen den AKW-Betreiber Forsmarks Kraftgrupp AB (mehrheitlich im Besitz Vattenfalls) erstattet. Der hatte nämlich den Reaktor erst einen Tag nach dem Unfall vom Netz genommen, ihn also wissentlich mit einem nicht funktionierenden Notstromsystem weiterbetrieben. SKI will prüfen lassen, ob damit gegen schwedisches Recht verstoßen wurde.

In Schleswig-Holstein betreibt Vattenfall die AKW Krümmel und Brunsbüttel. Am AKW Brokdorf hält der Konzern eine  Minderheits- beteiligung. Schon im August, unmittelbar nach dem Unfall, hatte der Konzern eine besondere Kostprobe seiner Informationspolitik  ge- geben: Hoch und heilig hatte man der Öffentlichkeit versichert, in Brunsbüttel würde keine vergleichbare Technik eingesetzt, ein  ähnlicher Unfall wie in Forsmark sei daher ausgeschlossen. Wenige Wochen später stellte sich das als Unwahrheit heraus. Das deutsche Atomgesetz verlangt von den Betreibern von AKWs übrigens Zuverlässigkeit. Dessen ungeachtet hat Vattenfall kürzlich unverfroren eine längere Laufzeit für seinen Brunsbütteler Skandal-Meiler gefordert.  Die Bundesregierung scheint  das alles für vorbildliches  Geschäfts- gebahren zu halten. Anfang Dezember wurde der Vattenfall-Chef Lars Göran Josefsson zum Klimaberater der Bundeskanzlerin gemacht.

Unterdessen hat das Oberverwaltungsgericht in Schleswig am 31. Januar die Klagen gegen die geplanten Zwischenlager in Krümmel und Brunsbüttel (wir berichteten) abgewiesen. Der Senat war der Meinung, dass Castoren für die Langzeitaufbewahrung von radioaktiven Brennelementen "geeignet und zuverlässig" sind. Eine Revision ist möglich.

 (wop)