Nächste Seite
Gesinnungsjustiz:
Knast für Kritik?

Kann man sich zum „Fall“ Christian Klar äußern, ohne ausführlich auf die RAF und seine Person im Besonderen einzugehen? – Diese Frage kam in der LinX-Redaktion auf. Ich denke, man kann.Wer könnte schon zu dem in Stammheim Gefangenen und seinen  Überzeugungen fundiert Stellung nehmen? Ich jedenfalls nicht. Aber ich finde Anlass zu einigen Bemerkungen.

Sicher ist: in den Ausfällen gegen die von Christian Klar geäußerten politischen Vorstellungen geht es nicht um eine „gerechte“  Be- wertung seiner Persönlichkeit. Er zählt für die, die ihn – wie Herr Beckstein – aufgrund dieser Äußerungen gern noch über 2009 hinaus in Haft behalten wollen, als Mensch nicht das geringste; sie projizieren ihren Hass auf ihn, weil sie ihm die Tötung von Personen  ihresgleichen anlasten und weil sich nicht zuletzt dank der Tatsache, dass den Anschlägen der RAF auch ganz „normale“ Menschen zum Opfer gefallen sind, auch viele „normale“ Menschen zur Unterstützung der im Zuge des Rachefeldzuges gegen die RAF vorgenommenen Einschränkungen demokratischer Rechte gewinnen ließen und lassen. Und die weitere Einschränkung dieser Rechte steht auf dem politischen Tagesprogramm der Reaktion, auch der Bundesregierung.

In seinem Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar hatte Christian Klar unter anderem den Wunsch geäußert, „die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen“. Ein zutiefst humanes Anliegen also. Die Fortdauer der kapitalistischen Gesellschaft bringt Tod und Elend über die Welt, untergräbt die Existenzbedingungen der Menschheit selbst; der Widerstand dagegen oder auch nur mangelnde Willfährigkeit wird mit einem Terror beantwortet, mit dem verglichen die terroristischen Aktionen der RAF und vergleichbarer Organisationen in anderen Ländern lächerlich erscheinen. Die RAF selbst hat mit dem Kampf um das von Christian Klar benannte Ziel allerdings niemals etwas zu tun gehabt.

In den Medien wird manchmal das vor 30 Jahren im In- und Ausland gebräuchliche Wort „deutscher Herbst“ aufgegriffen. Da entweder die VerfasserInnen der betreffenden Veröffentlichungen selbst nichts Genaues mehr über die Zeit wissen, über die sie schreiben, oder auf Nicht-Wissen bzw. Vergesslichkeit der LeserInnen und HörerInnen spekulieren, wird dabei oft so getan, als läge diesem Begriff allein der Terror der RAF zu Grunde. Das ist Dummheit oder Lüge. Die Aktionen des Staatsapparates, die mit Hinweis auf die „terroristische Bedrohung“ unternommen wurden, die Medien-Hatz auf angebliche „Sympathisanten“, die Strafrechtsverschärfungen, die  Bespitzelungen und Schikanen durch Justiz und Polizei, die Beschlagnahmungen von und Verbote gegen Flugblätter und Zeitungen, die Terrorisierung von KollegInnen, die sich angeordneten Trauerzeremonien für den früheren SS-Offizier und  Unternehmerverbands- präsidenten (BDA und BDI) H.-M. Schleyer im Betrieb verweigerten, der „kalte Hauch“, der über dem Land lag und den die österreichische Musikgruppe „Die Schmetterlinge“ auf ihrer LP „Herbstreise“ besang, waren maßgeblich prägend für den genannten Begriff. Im Kampf gegen die Anti-AKW-Bewegung, im Angesicht sich verschärfender Arbeitskämpfe usw. erprobte der bürgerliche Staat Mittel zur Bekämpfung von Bewegungen, die ihn – ganz im Gegensatz zu den Aktionen der RAF und ähnlicher Gruppen – eventuell tatsächlich in Gefahr bringen könnten.

Damit sind wir im Heute angelangt. An dem Menschen Christian Klar wird schon mal ohne jede Rücksicht auf die bestehende Rechtslage exekutiert (keine Haftverschonung für Kapitalismuskritiker!) oder eingefordert (keine Gnade für Kapitalismuskritiker! Oder auch: Haftverlängerung wegen Kapitalismuskritik!), was manche gern mit allen Menschen machen möchte, die das menschenverachtende und –vernichtende kapitalistische System positiv überwinden wollen. All die, die die (immer noch oder früher mal) im Grundgesetz  niedergeschriebenen Rechte mit Füßen treten – die dem Faschismus zu „legaler“ Existenz verhelfen, das Asylrecht weitgehend vernichten, Angriffskriege planen und durchführen – preisen sich selbst als Hüter einer „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und geben diesen Begriff damit vollends der Lächerlichkeit preis.

Sie sind bereit, jedes Grundrecht zur Bekämpfung all derer zu brechen, deren Kritik sich vor allem gegen ein auch in der deutschen Verfassung (wenn auch nicht ohne Einschränkungen) festgelegtes Recht richtet: das auf Privatbesitz an den Produktionsmitteln. Die Überwindung dieses Rechtes, das so viel Unrecht begründet, stellt sich immer dringender als Aufgabe für die  antifaschistisch- demokratische, für die ArbeiterInnenbewegung unseres Landes und anderer Länder. Im Grunde weist heute jede Tarifauseinandersetzung darauf hin, dass man ohne Infragestellung des kapitalistischen Systems nicht einmal einen konsequenten Abwehrkampf mehr so organisieren kann, dass am Ende nicht maßlose Enttäuschung und Hilflosigkeit vorherrschen, Bedingungen also, die dem Kapital seinen angekündigten weiteren Raubzug gegen die Besitzstände und die Rechte der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen ebenso erleichtern wie militärische Abenteuer zur Durchsetzung seiner „globalen“ Interessen.

Noch (d. h. am 3. März) ist nicht klar, wie sich Bundespräsident Köhler nun zu Christian Klars Gnadengesuch stellen wird. (Unklar ist übrigens auch, welche Rolle Herr Köhler im anhaltenden Prozess der reaktionären Formierung noch spielen wird. Zu allerlei Befürchtungen besteht Anlass.) Es sollte uns nicht gleichgültig sein.

(D.L.)