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DGB-Chef zu höherem berufen?

Müller-Beck – die falsche Wahl

Ralph Müller-Beck (38 Jahre), Vorsitzender des DGB in der KERN-Region, will in der SPD Karriere machen. Nachdem Cathy Kiezer in der nächsten Legislaturperiode wieder Stadtpräsidentin in Kiel werden möchte, strebt er den Posten des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden in der Ratsversammlung an. Voraussetzung: Er muss in Elmschenhagen-Süd, wo er als Direktkandidat seiner Partei antreten soll, gewählt werden. Wir können nur davon abraten. Bereits seine Wahl zum DGB-Chef hat sich als Fehler erwiesen.

Gerade in der letzten Zeit hat man den Eindruck gewonnen, dass sich Müller-Beck der Verantwortung nicht bewusst ist, die ihm von den Gewerkschaftsmitgliedern – deren Angestellter er ist, nicht etwa wirklich ihr Chef – übertragen wurde. Seine Pläne für eine Parteikarriere lassen sein Verhalten verständlich erscheinen, aber sie rechtfertigen es nicht.

Ralph Müller-Beck hat zum 1. Mai 2007 die SPD-Spitzenpolitiker Ralf Stegner und Sigmar Gabriel als Redner eingeladen (LinX berichtete). In einer Mitgliederversammlung des ver.di-Fachbereichs 8 erklärte er das unter anderem mit dem 100. Jahrestag des Gewerkschaftshauses – als verstünde es sich für Ge-
schichtskenner von selbst, dass man aus diesem Anlass führende Politiker der heutigen SPD zu Wort kommen lassen müsse. Politiker, die das Andenken der revolutionären Sozialdemokratie mit Füßen treten, die die schlechtesten Tendenzen der Anpassung ans kapitalistische System, die bereits im Jahr 1907 inner-
halb der SPD und der Gewerkschaften zu Tage getreten waren (aber noch nicht die Oberhand gewonnen hatten), auf die Spitze getrieben haben und uns heute als direkte Sachwalter der Kapitalinteressen gegen-
übertreten. Die den größten Raubzug gegen Besitzstände und Rechte der ArbeiterInnen- und Gewerk-
schaftsbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik mit organisiert haben und weiter organisieren – nicht zuletzt die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters sowie Lohnraub und Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst.

Inzwischen haben verschiedene ver.di-Gremien beschlossen, den DGB-Vorstand aufzufordern, die beiden Agenda-2010-Politiker wieder auszuladen: die Vertrauensleuteversammlung der Christian-Albrechts-
Universität, der Bezirksvorstand Fachbereich 3, der Bezirksvorstand Fachbereich 5, die Mitgliederver-
sammlung des Fachbereichs 8 und der Arbeiterinnen-Ausschuss im Bezirk Kiel-Plön. Diese Willenser-
klärungen untermauern den Vorstoß des ver-di-Bezirksvorstandes, der bereits schriftlich eine entsprechende Aufforderung an Müller-Beck und DGB-Vorstand gerichtet hatte und nun aufgrund der genannten Beschlüsse erneut tätig werden muss. Widerspruch gegen Müller-Becks Verständnis von Gewerkschafts-
führung gibt es auch in anderen Gewerkschaften, nicht zuletzt in der IG Metall. Es wird Zeit, dass aus dem Widerspruch erkennbarer Widerstand wird.

Ralph Müller-Beck hat deutlich gemacht, dass ihn der bisherige Protest nicht von seiner Haltung abbringt, und er nicht daran denkt, seine Parteifreunde wieder auszuladen. Er will Durchsetzungsfähigkeit beweisen, will sich den angestrebten Posten verdienen – koste es, was es wolle, solange die Kosten zu Lasten der Gewerkschaftsbewegung gehen. Damit hat er sich in den Augen vieler Kolleginnen und Kollegen als Vorsitzender des DGB gründlich disqualifiziert.

In einer Diskussion, die zu einem der zitierten ver.di-Beschlüssen geführt hat, wandte ein Kollege ein, die Gremien könnten nicht beanspruchen, mit ihrem Protest den Willen der Mitgliedschaft zu Ausdruck zu bringen, weil den meisten Mitgliedern die Frage, wer am 1. Mai spricht, gar nicht wichtig sei. – Eine putzige Argumentation. Wenn Beschlüsse auf Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen erst nach erfolgter Mitgliederumfrage zustande kommen dürften, könnten wir die Gewerkschaftsarbeit umgehend einstellen. Und wenn man die Tatsache, dass selbst zu Mitgliederversammlungen (auf denen auch Delegierte bzw. Vorstände gewählt werden) zur Zeit nur ein Bruchteil der im jeweiligen Bereich organisierten Mitglieder erscheint, wirklich ändern will, muss man erst recht verhindern, dass sich Leute wie Ralph Müller-Beck mit ihrem Verständnis von Gewerkschaftspolitik behaupten oder gar durchsetzen.

Der 1. Mai hat tatsächlich für viele KollegInnen keine Bedeutung (mehr). Und manchen, die zu Demonstration und /oder Kundgebung kommen, ist ziemlich egal, wer dort redet – sie hören sowieso nicht zu, sondern unterhalten sich lieber mit FreundInnen und KollegInnen. Wie untalentiert Ralph Müller-Beck für eine eventuelle Änderung dieses Zustands ist, durfte er bereits im letzten Jahr beweisen. Eine Veranstaltung auf unterstem Talkshow-Niveau mit einem den gewerkschaftlichen Zielen völlig uninteressiert gegenüberstehenden Moderator, das wichtigste gewerkschaftspolitische Thema des Jahres – der Tarifkampf im Öffentlichen Dienst – zur Randerscheinung degradiert, das war das Ergebnis der „Modernisierung“ der Aktionen vor dem Gewerkschaftshaus. Und dieses Jahr eben eine Wahlveranstaltung der SPD.

Es gehört offenbar zum Kalkül der „Modernisierer“ im Gewerkschaftsapparat, auf diese Weise gerade diejenigen, die mit solcher Entwicklung nicht einverstanden sind, von den Mai-Veranstaltungen fernzuhalten. Sie möchten, dass wir uns angesichts der Funktionärskungelei angewidert und frustriert abwenden und ihnen das Feld ganz überlassen. Das darf nicht geschehen. Und auch ein anderer Wunsch Müller-Becks darf nicht in Erfüllung gehen: Da er sich auf ver.di-Versammlungen von der massiven Missbilligung seines Vorgehens überzeugen konnte und nun selbst damit rechnet, dass dieser Unmut auch am 1. Mai zum Ausdruck gebracht wird, bat er darum, dass sich diese Unmutsäußerungen doch in engen Grenzen halten mögen ...

„Die Gewerkschaft steht mit dem Rücken an der Wand.“ Diese Auffassung haben wir während unseres Arbeitskampfes im vergangenen Jahr zur Genüge gehört. Sie ist richtig. Um von der Wand wieder wegzukommen, um der in Bundesregierung, Landesregierungen und Kommunalparlamenten von SPD, CDU, FDP und Grünen – in bestimmten Regionen auch von der Linkspartei – gestalteten neoliberalen Offensive widerstehen zu können, müssen wir vor allem die kampfbereiten Mitglieder auf allen Ebenen ermutigen, zusammenführen und mobilisieren, auf sie gestützt den Widerstand organisieren, die kommenden Arbeitskämpfe vorbereiten. Wir müssen unser Auftreten nach innen und außen radikalisieren (um dieses schöne, verpönte Wort zu gebrauchen, das doch nur den Wunsch zum Ausdruck bringt, das Übel an der Wurzel zu packen und diese dann auch auszureißen) und der um sich greifenden Resignation wehren. Wir müssen alles tun, um die in der Mitgliedschaft weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Unternehmer- und Regierungspolitik in Aktionen des Widerstandes münden zu lassen. Menschen, die dem entgegenwirken, können wir in den Führungsgremien unserer Organisationen nicht gebrauchen. Menschen, die dem entgegenwirken, können wir als Redner auf unseren Veranstaltungen nicht gebrauchen. Wir haben genug Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und unter unseren erwerbslosen Mitgliedern, die an ihrer Stelle auch am 1. Mai ans Rednerpult treten können.

„Ihr ändert doch nichts mehr!“ In dieser vermeintlichen Gewissheit wiegen sich manche Funktionäre. Nun, noch ist es erst Mitte März. Auf jeden Fall Zeit genug, dafür zu sorgen, dass am 1. Mai auch andere Zeichen gesetzt werden.

(Dietrich Lohse)