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Ärger und Wut über den Rentenkürzungsbeschluss

Selten wurde in Deutschland Politik so direkt am Volk vorbei gemacht. Trotz  großer Ablehnung in der Bevölkerung, trotz Proteste auf der Zuschauertribüne des Parlaments, trotz Kritik von Sozialverbänden stimmten die Sozialräuber der großen Koalition für die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Vor dem Bundestag brachten knapp 3000 vorwiegend junge GewerkschafterInnen ihre  Empörung  hierüber zum Ausdruck. Mit Sprüchen wie  „Politiker mit 60 ans Montageband“ oder »Wir Hartz IV und Opa schafft hier“ zogen sie in einer lautstarken Demonstration zum Brandenburger Tor. Neun Mitglieder der SPD-Fraktion, die hauptamtlich in den Gewerkschaften tätig waren bzw. sind, haben der Erhöhung des Renteneintrittsalters zugestimmt. „Das ist ein Schlag mitten ins Gesicht der Millionen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter“, erklärte Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt. Nahezu einhellig haben die Gewerkschaften den Rentenkürzungsbeschluss der Sozialräuber-Koalition verurteilt. Nachstehend dokumentieren wir einige Reaktionen aus dem DGB und den Einzelgewerkschaften.

DGB zur Rente mit 67: Nagelprobe kommt erst 2010

Zur Verabschiedung der Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre erklärte DGB-Sozialexpertin Annelie Buntenbach in Berlin:

"Es ist bedauerlich, dass die Koalition krampfhaft an der Rente mit 67 festhält und sich eine Vielzahl der Abgeordneten - wenn auch knurrend - dem Fraktionszwang gebeugt hat.

Die Debatte um die Rente mit 67 ist mit der heutigen Abstimmung nicht beendet. Die Nagelprobe kommt erst 2010, wenn anhand der Arbeitsmarktüberprüfung entschieden wird, ob die Rente mit 67 tatsächlich Realität wird. Wir werden dafür sorgen, dass dies keine Luftnummer wird. Trotz der heutigen Parlamentsentscheidung ist klar, dass die Rente mit 67 nicht umgesetzt werden darf, solange sich die Arbeitsmarktlage sowie Situation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht entscheidend verbessert hat. Daran werden wir beide Koalitionsparteien, nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl 2009, messen.

Bis dahin erwarten wir von der Koalition neue Impulse für mehr Beschäftigung und soziale Sicherheit insbesondere Älterer. Wir fordern, dass die Altersteilzeit samt BA-Förderung über 2009 erhalten und weiterentwickelt wird. Außerdem muss mit einer Aufwertung der Erwerbsminderungsrente dafür gesorgt werden, dass Beschäftigte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen besser abgesichert werden. Ein weiterer notwendiger Schritt ist die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, damit langjährig Beschäftigten Hartz IV erspart bleibt."

DGB-Chef Sommer: Entscheidung über Rente mit 67 überdenken

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa hat der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, an die Abgeordneten von Union und SPD appelliert, ihre Entscheidung für die Rente mit 67 «noch einmal gründlich zu überdenken». Die Reform «saniert keineswegs die Rentenfinanzen, sondern schafft neue Probleme», sagte Sommer in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur unmittelbar vor der Schlussabstimmung im Bundestag. Er warnte vor «wachsender Altersarmut und einem riesigen Bedarf an zusätzlichen Arbeitsplätzen».

Die Begründung der Regierung, die Rente mit 67 sei notwendig wegen der demographischen Entwicklung und der wachsenden Lebenserwartung, nannte Sommer «eine Lebenslüge der großen Koalition». Durch die Rentenreformen der vergangenen Jahre sei die Rentenversicherung mit Beitragssätzen von 22 bis 24 Prozent im Jahr 2030 bereits heute «demographiefest». Die Rente mit 67 bringe «in weiter Zukunft nur eine zusätzliche Beitragssatzersparnis von 0,5 bis höchstens 0,7 Prozentpunkten», kritisierte der DGB-Chef. «Dafür produziert man mehr Altersarmut und verärgert fast die ganze Bevölkerung.»

Sommer forderte «Lösungen, die es den Menschen erlauben, zu anständigen Bedingungen dann in Rente zu gehen, wenn sie wollen oder wegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit müssen». Wer mit 70 noch arbeiten könne, weil sein Arbeitgeber mitspiele, solle das tun. «Wer mit 55 kaputt ist, weil er 40 Jahre auf dem Bau oder im Stahlwerk malocht hat, muss dann in Rente gehen können, ohne in Altersarmut zu fallen.» Die Rente mit 67 benachteilige zudem sozial Schwache, da sie eine deutlich geringere Lebenserwartung hätten als «Reiche».

Die von der Bundesregierung ebenfalls geplante Beschäftigungsinitiative für Ältere besteht nach den Worten Sommers «aus weitgehend bekannten Instrumenten, die schon bisher keine nennenswerte Wirkung auf dem Arbeitsmarkt gezeigt haben». Selbst wenn es gelinge, die angepeilten 100 000 zusätzlichen Jobs für ältere Arbeitslose zu schaffen, sei das «viel zu wenig». Um die von der EU vorgegebene Beschäftigungsquote von 50 Prozent für Ältere zu erreichen, müssten allein für diese Gruppe 800 000 neue sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen werden. Minijobs brächten für die Rente «so gut wie nichts».

Peter Deutschland: "Rente mit 67" ist schlechteste rentenpolitische Entscheidung seit Bestehen der Bundesrepublik

Als “schlechteste rentenpolitische Entscheidung seit Bestehen der Bundesrepublik” hat der DGB Nord-Vorsitzende Peter Deutschland die heutige Entscheidung des Bundestags bezeichnet, das Renteneintrittsalter ab 2012 sukzessive auf 67 Jahre anzuheben. Altersarmut durch erhebliche Einschnitte bei frühzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und unterbrochene Erwerbsbiografien sowie eine höhere Arbeitslosigkeit von Älteren, weil nicht klar sei, wo die benötigten 1,2 bis 3,4 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätze herkommen sollten, seien die Folgen.

Gleichzeitig kritisierte er, dass das Abgeordnetengesetz des Bundestags vorsehe, dass Abgeordnete nach zwei Legislaturperioden einen Anspruch auf eine Pension von über 1600 Euro ab dem 65. Lebensjahr hätten. Für jedes weitere Jahr und für maximal zehn Jahre im Parlament reduziere sich das Pensionsalter um ein weiteres Jahr, so dass die Volksvertreter unter den entsprechenden Bedingungen mit 55 und einer noch ansehnlicheren Versorgung den dritten Lebensabschnitt genießen könnten.

Deutschland: “Mir geht es nicht in erster Linie um den Geldbetrag, ich möchte auch keinen Sozialneid schüren und ich verwahre mich gegen den Beifall von der falschen Seite. Ein funktionierender Parlamentarismus braucht unabhängige Abgeordnete, aber eine funktionierende Gesellschaft braucht auch ein gerechtes und solidarisches System der sozialen Sicherheit. Was heute beschlossen wurde, geht genau in die entgegengesetzte Richtung.”

IG Metall: Rente mit 67 ist eine fatale sozialpolitische Fehlentscheidung

Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, hat den Beschluss des Bundestages zur Rente mit 67 als "fatale sozialpolitische Fehlentscheidung" kritisiert. "Die Rente mit 67 löst kein einziges rentenpolitisches Problem. Stattdessen bestraft sie diejenigen mit massiven Leistungskürzungen, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen." Dabei betrage nach Eigenangaben des Ministeriums der maximale Dämpfungseffekt auf die Beiträge 0,5 Prozentpunkte im Jahr 2029. Es sei geradezu absurd, deswegen einen gesellschaftlichen Großkonflikt vom Zaune zu brechen, sagte Peters. "Zudem steht die Entscheidung im krassen Gegensatz zur ablehnenden Meinung der breiten Mehrheit in der Bevölkerung." Vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer empfänden die Rente mit 67 als eine gegen sie gerichtete Entscheidung, betonte Peters in Frankfurt.

Statt einer pauschalen Anhebung der Altersgrenzen sei eine flexible und sozial akzeptable Ausgestaltung des Übergangs in den Ruhestand das "sozialpolitische Gebot der Stunde". Dazu habe die IG Metall in den letzten Monaten Alternativen und Kompromissangebote vorgelegt, sagte Peters. Er bedauere es außerordentlich, dass nichts davon Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden habe. "Offensichtlich glaubt die Große Koalition, aufgrund ihrer parlamentarischen Mehrheit nicht mehr auf die Arbeitnehmer zugehen zu müssen. Viele Menschen empfinden das als Ignoranz einer Regierung, die sich weit von den Ängsten und Hoffnungen der Menschen entfernt hat."

Der IG Metall-Chef bewertete es als positiv, dass es in Folge der gewerkschaftlichen Aktivitäten beim Thema Ausstieg aus dem Arbeitsleben Bewegungen gebe. Die IG Metall werde die Abgeordneten beim Wort nehmen und die Angebote etwa aus der SPD-Fraktion über eine Fortsetzung der geförderten Altersteilzeit auf den Prüfstand stellen. "Wenn konkrete Angebote vorliegen, werden wir sie auf Ehrlichkeit, Machbarkeit und Zumutbarkeit abklopfen. Dabei empfehle ich der Bundesregierung, die Menschen nicht erneut zu enttäuschen", sagte Peters.

ver.di: Politik bleibt beratungsresistent - Ärger und Enttäuschung über die Rente mit 67

ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christian Zahn beurteilt die Entscheidung des Deutschen Bundestages, die Rente mit 67 trotz des desolaten Arbeitsmarktes für ältere Beschäftigte zu beschließen, als große Enttäuschung. Ohne einen funktionierenden Arbeitsmarkt, der Älteren die Möglichkeit bietet, sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein, bedeute die Rente mit 67 nur längere Zeiten der Arbeitslosigkeit und damit Armut im Alter.

„Insbesondere einen Tag nach dem Internationalen Frauentag werden Regelungen beschlossen, die Frauen, Langzeitarbeitslose und Niedrigverdiener besonders stark benachteiligen“, kritisiert Zahn. „Die Politik muss endlich umdenken und nicht den meist männlichen Beschäftigten, der durchgängig erwerbstätig ist, zum Maßstab ihrer Reformen machen.“

Auch die Rentnerinnen und Rentner würden durch die Reform verlieren. Nach Jahren der Nullrunden und in Zeiten von Nachhaltigkeitsfaktor und Riestertreppe würde erneut in das Rentenniveau eingegriffen. Ab 2011 würden Rentenerhöhungen nur noch zur Hälfte weitergegeben.

IG BAU: Rente mit 67 ist die falsche Entscheidung

Die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) bedauert den Beschluss des Bundestags zur Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Lebensjahre. „Dies ist ein falscher Beschluss, weil er der Lebenswirklichkeit nicht gerecht wird“, sagt IG BAU-Vorsitzender Klaus Wiesehügel.

Gerade für hart arbeitende Menschen auf dem Bau oder in der Landwirtschaft seien schon 65 Jahre kaum zu erreichen. Rente mit 67 bedeute schlicht Rentenkürzung. Bei der heutigen Arbeitsmarktlage sei Altersarmut durch die Rente mit 67 vorprogrammiert. Denn wer mit 50 arbeitslos ist und keine Arbeit mehr findet, muss alle Ersparnisse aufbrauchen und steht im Alter vor dem Nichts

Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der zentralen Achsen unseres sozialen Sicherungssystems. Deshalb ist Berechenbarkeit und langfristiges Vertrauen so wichtig für die Rente. „Die Menschen sind dabei, das Vertrauen zu verlieren. Die heutige Entscheidung ist falsch. Wir werden die Regierungsparteien bei der nächsten Wahl daran erinnern“, sagt Klaus Wiesehügel.

Bedauerlicherweise seien die Rentenkassen durch diese Maßnahme noch lange nicht saniert. Die Heraufsetzung des Eintrittsalters bringt lediglich eine Senkung des Beitragssatzes um 0,3 bis 0,5 Punkte. Statt einseitig Leistungen zu kürzen schlägt die IG BAU deshalb vor, das System zu reformieren, d.h. die Sozialversicherung auf eine breitere Basis zu stellen. Pläne hierzu liegen in Form eines Rentenkonzepts der IG BAU bereits vor.

Die Gewerkschaften in die Pflicht nehmen

Es bleibt zu hoffen, dass die Aussagen des DGB’s und seiner Einzelgewerkschaften nicht das Ende der Kampagne gegen die Rentenpläne der Bundesregierung sind. Die Kundgebungen und Demonstrationen der KollegInnen in den vergangenen Wochen haben deutlich gezeigt, wie groß die Wut und Enttäuschung in den Betrieben ist. Dieses Protestpotential gilt es zu nutzen und zu verstärken. Der Hinweis, man werde es der Sozialräuber-Koalition bei der nächsten Wahl zeigen, reicht nicht aus. Es geht nicht (nur) um eine um verlängerte Lebensarbeitszeit, es geht um armutsfeste Renten für alle Beschäftigen, auch und besonders für die Jüngeren. Bei einer so existenziellen Frage darf man Arbeitskämpfe nicht als politische Streiks ausschließen, man muss sie anstreben.
 

csk, hg nach Pressemitteilungen