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AKW-Brunsbüttel:
Geschäftsgeheimnisse?

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will endlich Klarheit über den Zustand des Atomkraftwerks Brunsbüttel an der Elbe, das in der Vergangenheit immer wieder durch Pannen und eine nebulöse Informationspolitik des Betreibers Vattenfalls Schlagzeilen gemacht hatte. Im August letzten Jahres hatte der schwedische Konzern nach einem schweren Vorfall in seinem AKW Forsmark in der Nähe Stockholms zum Beispiel zunächst behauptet, dergleichen könne in Brunsbüttel nicht geschehen, da die Notstromversorgung dort anders konzipiert sei. Im schwedischen Hochspannungsnetz hatte es einen Kurzschluss gegeben, weshalb das AKW Forsmark in Sekundenschnelle vom Netz ging und der Reaktor runtergefahren werden musste. Dabei sprang die Notstromversorgung nicht wie vorgesehen automatisch an, so dass es beinahe zur Kernschmelze gekommen wäre. Einige Wochen später stellte sich heraus, daß Vattenfall im Bezug auf Brunsbüttel die Unwahrheit gesagt hatte: Dort werden durchaus vergleichbare Geräte verwendet.
Nach diesem Informations-GAU wollte de DUH es etwas genauer wissen und fordert Einblick in die Ergebnisse der sogenannten Periodischen Sicherheitsüberprüfung, die das Unternehmen im Juni 2001 durchgeführt hatte. Nach der Umweltinformationsrichtlinie der EU steht ihr das eigentlich zu. Auch die zuständige Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) – in Schleswig-Holstein sind AKWs traditionell eine soziale Angelegenheit – sieht das so. Im Prinzip. In der Praxis beschied sie die Umweltschützer, dass sie die Unterlagen erst herausrückt, wenn Betreiber Vattenfall nicht dagegen klagt. Der Konzern ließ sich nicht zweimal bitten und legte umgehend Widerspruch ein, so dass aus den Einblick in den Stand der Sicherheit des betagten Meilers vorerst nichts wurde.

Konkret geht es um etwas, was die DUH eine Schwachstellen- oder Mängelliste nennt, was Vattenfall-
sprecher Ivo Banicke aber nur als eine Sammlung offener Fragen gelten lassen möchte. Beim Sozial-
ministerium mochte man sich hingegen nicht darauf festlegen, wie die Liste nun zu bezeichnen ist. Jedenfalls hatte Vattenfall wie vorgeschrieben die Unterlagen seiner Überprüfung an Kieler Sozial-
ministerium geschickt, wofür man aber immerhin rund drei Jahre Zeit brauchte.

Dort ist man nun seit 2004 gemeinsam mit Experten des TÜV damit beschäftigt, die rund 50.000 Seiten der mittlerweile fast sechs Jahre zurückliegenden Sicherheitsüberprüfung durchzuarbeiten. In diesem Zusammenhang wurde eine Liste von Nachfragen an Vattenfall geschickt, eben besagte „Mängelliste“. Rund 700 offene Punkte seien darauf, heißt es im Soziaministerium. Die meisten seien inzwischen abgearbeitet, aber über einige gibt es noch immer „einen regen Schriftwechsel“.

Genau darauf beruft sich Vattenfall in seinem Widerspruch gegen die Freigabe dieser Liste. Es handele sich um ein laufendes Verfahren. Die Umweltschützer sehen darin jedoch eine Verzögerungstaktik und klagen derzeit vor dem dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig gegen das Sozialministerium auf Sofortvollzug. Gegen den wehrt sich Vattenfall wiederum mit der Begründung, eine Veröffentlichung der Liste wäre ein Eingriff in seine Eigentumsrechte. Immerhin bekäme ein etwaiger Kaufinteressent Einblick in technische Details der Anlage. Wer weiß, vielleicht gelten demnächst auch schadhafte Bremsen eines Gebrauchswagen als Betriebsgeheimnis des Autohändlers.

Dass es bei dem Streit nicht um bloßes bürokratisches Tauziehen geht, zeigt ein Blick in die Pannenge-
schichte des AKW Brunsbüttel. Der letzte größere Unfall ereignete sich am 14. Dezember 2001. Wenige Monate nach der fraglichen Sicherheitsüberprüfung, die noch immer die Atomaufsicht beschäftigt, kam es zu einer Wasserstoffexplosion im Reaktordruckbehälter des Meilers. Das Explosive Gas entsteht in AKWs diesen Typs durch radioaktive Bestrahlung des Wassers, sollte aber eigentlich durch Katalysatoren neutralisiert werden. Doch irgendwie hat das wohl nicht ganz funktioniert: Eine Zuleitung zum Deckelsprühsystem barst auf einer Länge von zwei Metern. Die Bedienungsmannschaft registrierte jedoch lediglich den Austritt von Kühlmittel und schloß zwei Ventile. Den Reaktor ließ man einfach weiter laufen. Erst massiver Druck der Aufsichtsbehörden führte nach gut zwei Monaten dazu, dass der Meiler zur Inspektion heruntergefahren wurde. Dabei stellte sich dann heraus, daß um ein Haar der Kühlwasserkreislauf derart Leck geschlagen wäre, daß man ihn nicht mehr abdichten können. Die Folge wäre eine Kernschmelze gewesen. Die Explosion hätte nur wenige Meter versetzt stattfinden müssen.

Im Anschluss an diesen „Vorfall“ stand das AKW über ein Jahr still. Bei einer allgemeinen Überprüfung stellte sich heraus, dass durch ständige Nachbesserungen und Veränderungen das Steuerungssystem und vor allem die Notsysteme derart unübersichtlich und komplex geworden waren, dass den Technikern und Ingenieuren gleich eine ganze Reihe von Konstruktionsfehlern entgangen waren.

Anfang März hat Vattenfall nun für dieses Meisterwerk der Technik beim Bundesumweltministerium eine Übertragung von 15 Milliarden Kilowattstunden aus dem Kontingent des stillgelegten AKW Mülheim-Kärlich beantragt. Damit könnte Brunsbüttel rund zweieinhalb Jahre länger betrieben werden, andernfalls wäre voraussichtlich im ersten Halbjahr 2009 Schluss. Der Hintergrund: Im sogenannten Atomausstieg, den die Regierung Schröder-Fischer mit der Atomindustrie ausgehandelt hatte, sind Reststrommengen vorgeschrieben, die die einzelnen AKWs erzeugen dürfen. Für die Betreiber ist allerdings jede Kilowattsunde, die sie zusätzlich erzeugen können, bare Münze wert. Die enormen Baukosten der alten AKWs sind nämlich längst abgeschrieben, und der Betrieb ist vergleichsweise günstig. Mit der für Brunsbüttel beantragten zusätzlichen Menge könnten die Besitzer vermutlich rund eine Milliarde Euro Gewinn machen. Das würde sicherlich auch Minderheitseigner E.on (33,3 Prozent) freuen, der das Geld gut für seine Einkaufstour in Spanien gebrauchen kann. 42 Milliarden Euro will man dort für den Energiekonzern Endesa auf den Tisch legen. Damit also der deutsche Konzern weiter wachsen kann, dürfen wir mit unser Sicherheit bezahlen.

 (wop)