Die Hausdurchsuchungen bei angeblich militanten Gegnern des G8-Gipfels in Heiligendamm geben einen Vorgeschmack darauf, wie Wolfgang Schäubles präventiver Sicherheitsstaat wohl aussehen wird.
Das Aufgebot der Polizei war gewaltig. 900 Polizisten durchsuchten am Mittwoch in sechs Bundesländern insgesamt 40 Wohnungen und Büros. Sie suchten nach Beweismitteln für Anschläge und beschlagnahmten vor allem Computer. Die Bundesanwaltschaft fahndete in Berlin, Hamburg und Umgebung nach ein paar ‚Staatsfeinden’. Doch statt dabei gezielt zu ermitteln, wurde großflächig verdächtigt. Da liegt also die Vermutung nahe, dass es bei der Polizeiaktion nicht darum ging, Straftaten aufzuklären, sondern vorrangig darum, Informationen zu sammeln, kritische Geister einzuschüchtern und friedliche Demonstranten davon abzuhalten, sich im kommenden Monat an den Protesten gegen den G8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm zu beteiligen.
Ganz nebenbei konstruierten die Ermittler noch ein völlig neues Staatsziel, das es rechtfertigt, den Terrorismusvorwurf zu erheben: Rufschädigung. Denn mögliche Straftaten rund um den G8-Gipfel könnten nach Ansicht der Bundesanwaltschaft nicht nur die bestehende Gesellschaftsordnung erschüttern, so heißt es in dem Durchsuchungsbeschluss. Sie könnten vielmehr auch dazu bestimmt sein, „die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen“.
Die Vorwürfe jedoch, mit denen die Bundesanwaltschaft aufwartete, sind entweder alt, konstruiert oder äußerst vage. Gleich zwei Durchsuchungsbeschlüsse präsentierte sie dazu. Der eine richtete sich gegen die „militante gruppe (mg)“, die sich seit 2001 zu mehreren Anschlägen auf öffentliche Einrichtungen wie Gerichte oder Arbeitsagenturen bekannt hat. Nur: Gegen drei Beschuldigte der mg ermittelt die Bundesanwaltschaft in diesem Zusammenhang schon seit etwa drei Jahren, ohne dass bisher gerichtsverwertbare Beweise zusammengekommen wären. Warum also meint die Bundesanwaltschaft, ausgerechnet vier Wochen vor dem G8-Gipfel auf Indizien zu stoßen, nach denen sie seit Jahren vergeblich sucht?
Der zweite Durchsuchungsbeschluss richtete sich gegen insgesamt 18 Personen, denen die Bundesanwaltschaft vorwirft, im Vorfeld des G8-Gipfels eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Demnach sollen die Beschuldigten unter anderem an teilweise konspirativen Vorbereitungstreffen teilgenommen, sich ‚detailliertes Kartenmaterial von Heiligendamm und Umgebung’ beschafft oder Internetrecherchen zu anschlagsrelevanten Themen vorgenommen haben. Zudem sollen sie für insgesamt zwölf Brandanschläge in den letzten zwei Jahren verantwortlich sein.
Konkrete Beweise können die Ermittler auch hier nicht vorbringen, obwohl die Beschuldigten offenbar seit Jahren nicht nur im Fokus der Polizei stehen, sondern wohl auch intensiv von den Schlapphüten des Verfassungsschutzes überwacht wurden. Bei der Aufklärung dieser Brandanschläge tappen die Ermittlungsbehörden im Dunkeln, niemand wurde bislang verhaftet.
Die Liste der Beschuldigten liest sich stattdessen wie ein who is who der autonomen Szene in Norddeutschland. Alte Bekannte der Bundesanwaltschaft sind darunter, einige sind vorbestraft, anderen konnte nie etwas nachgewiesen werden. Einige Beschuldigte sollen sich in einem vor drei Jahren erschienen Buch zu Brandanschlägen in den achtziger Jahren in West-Berlin bekannt haben. Doch das ist lange her und bei manchem Beschuldigten gehen selbst die Karlsruher Ermittler wegen des recht vorgerückten Lebensalters nicht davon aus, dass diese die nun angeblich geplanten Anschläge selbst verüben. Das klingt alles so, als habe die Bundesanwaltschaft wieder einmal einfach bei den „üblichen Verdächtigen“ vorbeigeschaut. Und als ginge es den Ermittlungsbehörden gar nicht um die Aufklärung von Straftaten, nicht um die Suche nach Beweisen, sondern um die Sammlung von Informationen, nicht um die Verhinderung von Straftaten, sondern um Abschreckung.
Der Eindruck entsteht, dass die Behörden vier Wochen vor dem G8-Gipfel möglicht viel über die autonome Szene zu erfahren wünschte. Im Durchsuchungsbeschluss spricht die Bundesanwaltschaft ganz offen davon, bei der Beschlagnahme von Computern nicht nur Anschlagspläne finden zu wollen, sondern auch Informationen zur Finanzierung und zur Organisation der militanten Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel sowie strukturbezogene Kommunikationspläne, Personen- und Adressenverzeichnisse.
Der § 129a bietet dafür die besten Voraussetzungen. Denn kaum ist der Terrorismusvorwurf im Spiel, öffnet sich der Polizei ein breites Repertoire an Ermittlungsinstrumenten. Schon bald allerdings könnte es soweit sein, dass die Behörden selbst diesen Kunstgriff nicht mehr nötig haben. Wenn das derzeit so heftig diskutierte Terrorismusbekämpfungs- Ergänzungsgesetz des Bundesinnenministers verabschiedet wird, können die Ermittler heimlich und online die Computer durchsuchen, dann können sie ungesehen auf viele Daten zugreifen, die sie heute noch offen erkennbar beschlagnahmen müssen. Insofern geben die Hausdurchsuchungen bei vermeintlich militanten Gegnern des G8-Gipfels in Heiligendamm auch einen Vorgeschmack darauf, wie Wolfgang Schäubles präventiver Sicherheitsstaat aussehen könnte, in dem das Verfassungsprinzip der Unschuldsvermutung nicht mehr gilt, sondern der Staat möglicht viele Informationen und Daten über jeden potenziell Verdächtigen sammelt.
Seine Entschlossenheit, sich als
Rechtsaußen der Bundesregierung zu profilieren, machte Schäuble
in einem Interview mit der Bild- Zeitung klar und drohte den G 8-GegnerInnen
mit vorbeugender Haft: „Die Polizeigesetze der Länder sehen den so
genannten Unter- bindungsgewahrsam vor", sagte er. Störer könnten
je nach Bundesland bis zu 14 Tage in Gewahrsam genommen werden, wenn es
tatsächliche Anhaltspunkte für geplante Straftaten gebe. Die
Absicht, die hinter einer solchen Aussage steht, ist deutlich erkennbar.
Es sieht aber nicht danach aus,
dass der Ober-Scharfmacher mit seiner Taktik erfolgreich ist.
Nach der Großrazzia ist die globalisierungskritische Bewegung von einer Welle der Sympathie erfasst worden. Das zeigt sich unter anderem in einem gestiegenen Interesse an Attac. „In den vergangenen zwei Tagen haben wir 100 neue Mitglieder gewonnen – das sind so viele wie sonst in einem Monat", sagte Sven Giegold vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Auch die Zahl der Spender und Interessenten habe sich deutlich erhöht. Zahlreiche Menschen hätten zudem den Aufruf zur internationalen Großdemonstration am 2. Juni unterzeichnet. „Das zeigt uns, dass sich die Menschen nicht von der Polizeiaktion abschrecken oder entmutigen lassen, sondern sich jetzt erst recht den G8-Protesten anschließen", betonte Giegold.
Scharfe Kritik kam auch von der Opposition und vom Republikanischen Anwaltsverein. „Herr Schäuble ist kein blindwütiger, sondern ein kaltblütiger Sicherheitsfanatiker", sagte Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Schäuble betreibe seine Politik „wie ein Schachspieler, seine Drohung mit dem Unterbindungsgewahrsam ist nach den unverhältnismäßigen Razzien der folgerichtige Zug", so Neskovic. Ingewahrsamnahmen würden meist vollkommen willkürlich durchgeführt, sagt Martin Dolzer, Sprecher des Anwaltlichen Notdienstes des Republikanischen Anwaltsvereins. Der Verein will während des G-8-Gipfels eine Hotline für von der Polizei festgenommene Demonstranten einrichten. Dolzer: „In den meisten Fällen von Gewahrsamnahmen ist von Gerichten hinterher entschieden worden, dass dies nicht verhältnismäßig war."