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Demo-Erfolg trotz massiver Polizeigewalt:

Das war der Gipfel

Die Staatsmacht hatte sich schon im Vorfeld viel Mühe gegeben, die Proteste zu delegetimieren, sie in die kriminelle Ecke zu stellen, und die meisten Medien haben das Spiel breitwillig mitgemacht. Dennoch haben die diversen Organisatoren sicherlich Recht, wenn sie die Proteste gegen den G-8-Gipfel letztlich als Erfolg werteten. 60.000 bis 80.000 waren am 2. Juni zur großen Auftaktkundgebung nach Rostock gekommen. Aus Kiel fuhren immerhin fünf Busse mit etwa 250 Personen. Viele Dutzend werden sich außerdem mit Auto und Bahn auf dem Weg gemacht haben.

Diese Mobilisierung ist angesichts der Angstkulisse, die im Vorfeld aufgebaut wurde, und trotz der Eskalation, die dann in Rostock nach diversen Augenzeugenberichten (siehe zum Beispiel www.de.indymedia.org oder www.linkezeitung.de) offensichtlich inszeniert wurde, ohne Frage ein Erfolg. Noch mehr als die Zahlen der Großdemonstration, die die Polizei mit einer selten gesehenen Lügenkampagne versuchte herunterzuspielen, haben die Blockadeaktionen der nachfolgenden Tage zum Erfolg der Aktionen beigetragen. Im Laufe des Gipfels haben rund 10.000 Demonstrierende den Robocops, die zwar massenhaft aufgelaufen aber hierarchisch desorganisiert waren, ein Schnippchen schlagen konnten, so dass ein Vordringen zum Zaun gelang. Dort kam es dann nicht zur Schlacht am Zaun, die Schäuble sicherlich gerne gesehen hätte und für die sogar die Bundeswehr aufgeboten hatte, sondern zu einer mutigen Blockadeaktion des zivilen Ungehorsams. - Eine Aktionsform, zu der sicherlich wesentlich mehr Courage, Entschlossenheit (und Militanz im eigentlichen Wortsinne) gehört, als zu einem Steinwurf aus der zweiten Reihe.

„Die DemonstrantInnen haben es gemeinsam erreicht, den Tagungsort in Heiligendamm auf dem Landweg unerreichbar zu machen. Tausende haben während des Gipfels sogar die ganze Nacht über auf den Zufahrtsstraßen zu Heiligendamm ausgeharrt. Dabei ließen sich die meisten durch das brutale Vorgehen der Polizei nicht provozieren. Die ging in vielen Situationen mit unverhältnismäßiger Härte gegen friedliche DemonstrantInnen vor. So berichten Robin Wood-AktivistInnen, dass die Polizei TeilnehmerInnen einer Blockade in Hinter Bollhagen abwechselnd mit neun Wasserwerfern und Spalieren von knüppelnden Beamten angriff“ heißt es in einer  Presse- mitteilung der Umweltschutzorganisation Robin Wood, und weiter: „Robin Wood spürt, dass die Bewegung durch die Proteste in Heiligendamm neuen Zulauf erfährt und nimmt dies als Ansporn, weiter vor allem auf die deutsche Regierung und die deutsche  Wirtschaft Druck zu machen, ihren Kohlendioxid-Ausstoß hierzulande drastisch zu reduzieren.“

Die Hysterie, mit der der Staatsapparat gegen die Proteste in Anschlag gebracht wurde, hat sicherlich auch damit zu tun, dass diesem Druck frühzeitig vorgebeugt werden sollte. So konnte man denn Polizeigewalt im seit langem nicht mehr gesehenen Ausmaß erleben: Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) spricht von bis zu 1200 Personen, die in „Gewahrsam“ genommen wurden. Für bis zu sechs Tagen wurden sie in einem Rostocker Industriegebiet in Käfige gepfercht, wo sie nicht einmal Betten oder Liegen zur Verfügung bekamen. Als Begründung konnte es reichen, eine Sonnenbrille oder ein Taschentuch dabei zu haben. Das reichte für die Polizisten und selbst offenbar für deutsche Richter, davon auszugehen, die Betroffenen könnten sich womöglich an „gewalttätigen Protesten“ beteiligen. Das  Landesgesetz, auf dessen Grundlage diese Internierung unter zudem menschenunwürdigen Bedingungen erfolgte, war im vergangenen Sommer von SPD und PDS verabschiedet worden. Die Organisatoren der Proteste hatten diese Partei seinerzeit davor gewarnt, dass dieses Polizeigesetz, eines der bundesweit schärfsten, gegen die Gipfelproteste angewendet werden würde, war damit bei den Staatssozialisten jedoch auf Taube Ohren gestoßen.

Der RAV bereitet unter dessen Anzeigen vor, wie die Tageszeitung junge Welt berichtet: „Anwälte des RAV erstatteten nach Freilassung der letzten G-8-Gegner aus den sogenannten Gefangenensammelstellen Strafanzeige wegen der Unterbringung in Drahtkäfigen. 'Die Käfighaft ist eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung', begründete RAV-Sprecher Martin Dolzer am Sonntag den Schritt. Die Anzeigen gegen die verantwortlichen Richter lauteten auf Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung. Laut RAV waren während der Gipfelproteste 1146 Personen festgehalten worden. In einer großen Industriehalle in Rostock seien jeweils bis zu 20 Gefangene in 25 Quadratmeter große, von allen Seiten einsehbare Drahtkäfige eingesperrt gewesen. Dolzer zufolge wurden in einem Fall mehr als 50 Menschen zudem elf Stunden lang an den Händen gefesselt.“ Die Polizei hatte vielen der Festgehaltenen  rechts- widrig anwaltlich Beistand verweigert.

Anwälte des Vereins hatten sich bei den Protesten am so genannten Legal Team beteiligt, und waren mindestens zweimal von Beamten mit massive körperlicher Gewalt daran gehindert worden, Festgenommene zu vertreten. Die Linksfraktion im Bundestag hat unterdessen angekündigt, zu den polizeilichen Ausschreitungen  und insbesondere den Einsatz der Bundeswehr Anfragen im Bundestag zu stellen. Viel wird in den nächsten Wochen sicherlich davon abhängen, wie sehr es den  verschiedenen Organisationen und Bewegungen, die die Proteste vorbereitet hatten, gelingt, die massiven Menschenrechtsverletzungen und Gesetzesbrüche der Polizei in der Öffentlichkeit zu thematisieren.

(wop)
Kieler Nachbereitungstreffen am 21. Juni um 19.30 Uhr im Gewerkschaftshaus. Der RAV sucht Filmmaterial, Fotos und Zeugenaussagen, um die Polizeiübergriffe zu dokumentieren. Gemeinsam mit dem RAV können Betroffene Strafanzeige stellen.
Näheres im Internet: rav.de

Weitere Infos:

http://www.rote-hilfe.de/news/niemand_wird_alleine_sein

http://www.gipfelsoli.org/Presse/Heiligendamm_2007/Arbeitsgruppen/Anwaltsnotdienst/2854.html

http://www.labournet.de/diskussion/wipo/seattle/g8-07/rav0806.pdf

http://www.labournet.de/diskussion/wipo/seattle/g8-07/rav0706.pdf