Nächste Seite
Wohin entwickelt sich DIE LINKE?

Einige Fragen und vier Vorschläge

Mitte Juni, wenn diese Ausgabe die Abonnentinnen und Abonnenten erreicht, wird der Zusammenschluss von WASG und  PDS.Links- partei vollzogen. Erstere tritt letzterer bei. Wir dokumentieren aus diesem Anlass einen Diskussionsbeitrag von Rainer Beuthel, der sich mit den Chancen und Risiken dieses Projekts auseinandersetzt.

Parteien sind Zweckverbände zur Formulierung und Durchsetzung gesellschaftlicher, also sozialer, kultureller, politischer Interessen. Vor- geschichte, Erfahrungen und Erwartungen der am Projekt einer neuen vereinigten gesamtdeutschen linken Partei beteiligten Akteure – im wesentlichen aus Linkspartei/PDS und WASG – waren von vornherein so unterschiedlich, dass sich die große „linke Volkspartei“ SPD lange Zeit in einer relativen Sicherheit wähnen konnte: „Das kann doch gar nichts werden.“ Spätestens seit der Wahl in Bremen geht so einigen Spezialdemokraten gehörig die Muffe, erfreulicherweise. Das Gesamtgefüge des deutschen Parteiensystems mit seinen eingeübten Ritualen und vorhersehbaren Mehrheiten droht sich zu zerlegen („skandinavische Verhältnisse“). Der noch in den 90er Jahren wirksam zu verwendende Vorrat an primitiv antikommunistischen Ressentiments und Vorurteilen verfängt bei vielen WählerInnen nicht mehr. Eine wachsende Anzahl von Menschen ist bereit, links zu votieren, auch auf kommunaler Ebene im Westen. Ursache dafür ist nicht das bloße Wünschen und Wollen der im neuen Parteiprojekt Engagierten, die gesellschaftliche Situation selbst erzeugt den Impuls zur politischen Veränderung, die Linke ist das Medium des Protests.

Wirklich? So weit so gut? Bei weitem nicht:  Ein Teil der von Agenda 2010, „Hartz“ und anderen Sauereien Betroffenen hat resigniert, wählt nicht oder rechts. Wie sich die rund 50 % der nicht oder sporadisch aktiven Wahlbevölkerung in einer stärker zugespitzten gesellschaftlichen Situation verhalten würden, ist offen. Die Wahlpartei DIE LINKE erscheint noch nicht in der Lage, die Achse des politischen Koordinatensystems wirksam zu verschieben und die Hegemonie des Neoliberalismus im öffentlichen Diskurs zu  durch- brechen (von den Besitz- und Machtverhältnissen ganz zu schweigen). Und außerdem steht das Diktum im Raum: „Wenn Wahlen was verändern würden, wären sie verboten.“ Allein durch Wahlen lassen sich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nicht durchsetzen.

Was müsste geschehen? Zum Beispiel konkret hier in Schleswig-Holstein?

Die Linke insgesamt – die neue Partei ist ein wichtiger Teil, aber eben bei weitem nicht das Ganze – muss ihre Anstrengungen  ver- mehren, sich zu vernetzen. Die Bewegung gegen G8 mit ihren vielfältigen Facetten könnte eine Keimzelle für eine breitere  gesellschaft- liche Bewegung bilden: Menschen lernen sich kennen und schätzen, erfahren ihre unterschiedlichen Stärken und Schwächen, bilden politische Netzwerke. Die neue Partei sollte nicht den Fehler begehen, diese Bewegung als bloßes Rekrutierungsfeld zur Gewinnung neuer Mitglieder zu betrachten. Es gibt viele gute Gründe, sich zwar nicht dezidiert gegen DIE LINKE, aber neben und unabhängig von ihr zu engagieren, im Interesse einer gemeinsamen, langfristigen linken Perspektive.

Wenn ich sage „die Linke muss“, ist dies eingestandenermaßen eine Projektion eigener Erwartungen auf ein gesellschaftliches Phänomen im allgemeinen, auf die Partei DIE LINKE im speziellen. Denn DIE LINKE – bleiben wir mal dabei – „muss“ natürlich gar nichts. Sie könnte zu einem Kristallisationspunkt und organisierenden Faktor gesellschaftlicher Veränderung werden, wenn die in ihr und mit ihr Aktiven es vermögen, sie zu einer pluralen, basisdemokratischen, offenen Partei zu formen, in der eine Vielzahl linker Traditionen und Politikansätze aufgehoben sind und in einem produktiven Wettbewerb zueinander stehen. Dies bedeutet einerseits nüchtern die sehr einflussreiche sozialdemokratische Strömung vor allem aus den neuen Bundesländern zu respektieren – die Linkspartei erfüllt dort vielerorts objektiv die gleiche Rolle wie die SPD im Westen, viel zu häufig im negativen Sinn – andererseits im Bezug auf kommunistische, libertär-anarchistische und grüne Positionen unbedingt nötige Gegengewichte zu erzeugen mit dem Ziel, die Achse in der neuen Partei mittelfristig nach links zu verschieben, um dem Neoliberalismus mit Unterstützung außerparlamentarischer Bewegungen nicht bloß verbal sondern durch reales Handeln Paroli bieten zu können.

Zu befürchten ist natürlich das Gegenteil: die noch stärkere „Einbindung“ der LINKEN in das bestehende Machtkartell zur Verwaltung und Absicherung des bestehenden Systems ökonomisch-politischer Herrschaft, also (vergröbert:) eine Sozialdemokratisierung mit dem Ziel gemeinsamer Regierungsbildung mit der SPD auf Bundesebene „in der Zeit nach Oskar“ (oder früher?) Betrachtet man – ohne unzulässige Gleichsetzung – die Geschichte der USPD als vergleichbaren Fall einer Parteineugründung links von der SPD, erscheint eine Spaltung der LINKEN in nicht allzu ferner Zukunft als reale Möglichkeit. Eine zweite sozialdemokratische Partei neben der SPD jedenfalls wird nicht gebraucht, sie ist schlicht überflüssig. DIE LINKE muss in ihrer Gesamtheit links von der SPD stehen oder sie wird irgendwann verschwinden, bzw. als Restbestand zur Sekte mutieren.

WASG und Linkspartei/PDS in Schleswig-Holstein haben sich – jede für sich und auch in Bezug aufeinander – in den vergangenen zwei Jahren im wesentlichen mit sich selbst befasst. Vieles, was wir dort erleben mussten, erinnerte eher an das Ohnesorgtheater-Stück „Tratsch im Treppenhaus“ als an die ernsthafte Neubildung eines wirksamen linken Parteiprojekts. In beiden Parteien bekämpften sich verschiedene, politisch kaum zu definierende Strömungen in Form von Verdächtigungen, intriganten Tricksereien, demonstrativen Aus-, Rück- oder Übertritten, undsofort. Politisch-inhaltliche Diskussion blieb häufig auf der Strecke; im Prozess der Formierung der Partei auf Bundesebene ändert sich dies nun, das ist erfreulich.

Notwendig und vorrangig erscheint mir für die nächste Zeit folgendes:

DIE LINKE baut eine funktionierende und flächendeckende Parteistruktur auf. Diese muss demokratischer sein als auf Bundesebene; die Bundessatzung bietet den Landesverbänden weitgehende Autonomie, also auch die Möglichkeit eines regelmäßig tagenden  Landes- auschusses (gewählte VertreterInnen der Kreise) als höchstes beschlussfassendes Gremium zwischen den Parteitagen – dem  Landes- vorstand übergeordnet, dem dann eher ausführende Funktionen zukommen.

Im Vorfeld der Kommunal- und Landtagswahlen werden in Zusammenarbeit mit der gesamten Linken realpolitische Forderungen ent- wickelt (Soziales, Frieden, Umwelt, Bürgerrechte). DIE LINKE tritt mit offenen Listen zu Wahlen an, bietet also anderen linken Strömungen die Möglichkeit, ihre Kompetenz in gemeinsame Politik einzubringen.

Sozialpolitik im bestehenden System ist und bleibt ein wesentliches Standbein der LINKEN, zugleich zielt ihre Politik auf grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen: eine gebrauchswertorientierte neue Form des Produzierens und Konsumierens (Primat der Ökologie).

DIE LINKE arbeitet verstärkt in außerparlamentarischen Bewegungen mit, lernbereit und als gleichberechtigter Partner. Zugleich bietet sie Unterstützung, dort wo sie helfen kann, durch finanzielle und logistische Mittel.
 

Rainer Beuthel,Mitglied des Landesvorstands der WASG Schleswig-Holstein