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Vattenfall will Vorfälle in AKWs vertuschen:

Stilllegen! Sofort!

Der 29. Juni ist wahrscheinlich ein Datum, das man sich merken sollte. An diesem Tag gab es in der Nähe des Atomkraftwerks  Bruns- büttel einen Kurzschluss in einem Schaltwerk, woraufhin sich das AKW abschaltete. Kurze Zeit später fielen im nahe gelegenen Hamburg, das Brunsbüttel mit Strom beliefert, hunderte Ampeln aus. Außerdem blieben sämtliche U-Bahnen für einige Zeit liegen. So viel zum Thema Versorgungssicherheit durch Großkraftwerke. Damit aber nicht genug, gab es gut eineinhalb Stunden später im AKW Krümmel Funkenflug. In einem der beiden Transformatoren des Atommeilers, der einst schon in der Bauphase für Schlagzeilen sorgte, weil am Druckbehälter ordentlich gepfuscht wurde, kam es zum Kurzschluss. Dadurch entstand ein Lichtbogen – eine elektrische Entladung durch die Luft bei extrem hoher Spannung –, der das Öl das den Transformator umgebende entzündete. Wegen der extrem großen Energiemengen, die in einem solchem Spannungswandler umgeformt werden und die Technik erhitzen, wird nämlich Öl zur Kühlung eingesetzt, um die Wärme abzuführen, und zwar ziemlich große Mengen: Mehrere Kubikmeter.

Wasser ist für die Kühlung ungeeignet, aber Öl ist halt brennbar. Deshalb hat man ihm bis zum Ende der 1990er Jahre in  Trans- formatoren PCB beigesetzt, um die Entzündbarkeit zu verringern. Das Problem: Wenn es dennoch zum Brand kommt, dann entstanden aufgrund des PCBs Dioxine, und das sind Ultragifte. Bis 1999 musste daher das Öl aus allen Transformatoren ausgewechselt und durch nicht-PCB-haltiges Öl ersetzt werden. Ob das in Krümmel tatsächlich geschehen ist, kann man für die Anwohner nur hoffen. Im für die Reaktoraufsicht zuständigen Kieler Sozialministerium war darüber auf Nachfrage nichts zu erfahren.Dafür entfaltete sich vor dem staunenden Leser und Fernsehzuschauer Stück für Stück ein beachtlicher Skandal: Unmittelbar nach dem Ausbruch des Brandes hieß es, er sei noch am Donnerstag gelöscht worden. Tatsächlich hat es mehrere Tage gedauert, bis die letzten Flammen erstickt waren. Erst am Montag, also knapp vier Tage später, waren die Reste des Transformators soweit abgekühlt, dass Gutachter sich den Schaden aus der Nähe anschauen konnten.

Mit dem Brustton der Überzeugung erklärten Vattenfallsprecher immer wieder, es handele sich nur um einen Brand in eine Trafohaus, das Reaktorgebäude selbst sei nicht betroffen. Eine Woche später heißt es: April, April. Während der Schnellabschaltung wurden zwei Ventile irrtümlich geöffnet, weil es bei der Bedienungsmannschaft zu Missverständnissen gekommen war. Außerdem fiel eine  Speise- wasserpumpe aus. Ergebnis: Im Druckbehälter fielen Druck und Wasserstand rapide. Das ist keinesfalls harmlos, sondern kann schlimmstenfalls zur Kernschmelze führen.

Außerdem war im offensichtliche erheblichen Maße Rauch in das Reaktorgebäude eingedrungen, sodass die Bedienungsmannschaft im Kontrollzentrum nur mit Atemschutz arbeiten konnte. Ob das die Missverständnisse begünstigt hat? Schließlich fördert eine Gasmaske nicht gerade die Kommunikation.

Noch einen Tag später kommt heraus, dass der Transformator womöglich „vorgeschädigt“ gewesen war, wie es der Betreiber formuliert. Fragt sich natürlich, weshalb er dann noch im Einsatz war, und weshalb man der Öffentlichkeit erst erzählt, so ein Brand sei ganz normal und könne eben mal vorkommen.

Aber nicht nur die Öffentlichkeit hat man über all diese Vorfälle erst mit reichlicher Verzögerung informiert, auch die Aufsichtsbehörde, d.h. das Sozialministerium wurde über die meisten dieser Punkte erst mit erheblicher Verzögerung informiert. Vattenfall streitet das zwar ab, aber vermutlich ist das Ministerium in dieser Frage vertrauenswürdiger. Ganz sicher kann man sich da allerdings auch nicht sein, denn ein Ministeriumssprecher verglich zwischenzeitlich das Absinken des Wasserstandes im Reaktordruckbehälter in Krümmel mit einer Autopanne. Von übermäßiger Sachkompetenz spricht das nicht gerade.

Und sei das alles noch nicht genug, ist da noch die fats zeitgleiche Schnellabschaltung in Brunsbüttel. Bisher ist immer noch nicht bekannt, ob diese das Netz derart destabilisiert hatte, dass es zu dem Kurzschluss in Krümmel kam. Bekannt ist bisher nur, dass es nach dem Ausfall von Brunsbüttel zu erheblichen Spannungsschwankungen im Netz kam, die in Hamburg zu den erwähnten Ausfällen sorgten.

Bekannt wurde auch (mit einem Tag Verzögerung), nach dem Vattenfall den Brunsbütteler Vorfall herunter spielen wollte, dass es dort ebenfalls zu erheblichen Problemen kam. Ein Steuerstab funktionierte bei der Schnellabschaltung nicht richtig. Außerdem bildeten sich an einigen Bauteilen Risse, und es kam zu einem Schwelbrand. Das Ministerium fand das alles nicht so schlimm, und meinte schon zwei Tage später, nichts spreche gegen ein Wiederanfahren.

Tja, und was dabei passierte, kam dann eine Woche später heraus. Beim Wiederanfahren wurde zweimal unplanmäßig das Wasserreinigungssytem abgesperrt. Dadurch wurde die erlaubte Menge radioaktiven Wassers in diesem System überschritten. „Geringfügig“ meint Vattenfall. Jedenfalls ein Meldepflichtiger Vorgang, doch das Ministerium erfährt erst sechs Tage später davon. „Ein meldepflichtiges Ereignis wurde uns trotz gezielter Nachfrage nicht mitgeteilt - erst auf den letzten Drücker", meinte Ministeriumssprecher Oliver Breuer gegenüber der taz.

Angesichts dieser fortgesetzten Vertuschung fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, damit Vattenfall die Betriebserkaubnius entzogen wird. Das haben sich auch die Landtagsgrünen gedacht, die ganz offiziell eine Überprüfung der Erlaubnis beantragt haben. Während diese LinX ausgeliefert wird, berät der Landtag übe den Antrag.

Auch Lars Harms vom SSW meint, dass „diese Atomkraftwerke erst gar nicht wieder ans Netz gehen dürfen. Wenn die Energieversorger jetzt selbst sagen, dass die Energieversorgung in Schleswig-Holstein auch ohne Krümmel und Brunsbüttel durch Kohlekraftwerke gesichert ist, dann gibt es keinen Grund, weitere Risiken einzugehen.“

Brunsbüttel muss übrigens nach den Vereinbarungen des so genannten Atomkonsens (was für ein scheinheilige Wortschöpfung) in der ersten Jahreshälfte 2009 vom Netz gehen und stillgelegt werden. Doch Vattenfall hat in Berlin Laufzeitverlängerung beantragt. Unklar ist noch, ob darüber allein Bundesumweltminister Gabriel (der ablehnt) entscheidet, oder ob auch die Bundeskanzlerin (ihres Zeichens Atom-Fan) und Wirtschaftsminister Glos (Atomlobbyist) ein Wörtchen mitzureden haben.

So oder so scheint es angebracht, dass sich mal wieder ein bisschen mehr Protest gegen die Atomiker regt. Sonst setzen sie sich womöglich noch damit durch, ihre Schrottmeiler länger laufen zu lassen. Immerhin hat Merkel den Vattenfall-Chef im Dezember zu ihren Berater ernannt. Da ist kaum damit zu rechnen, dass diese Skandale der Atomindustrie im Selbstlauf die Suppe versalzen.

(wop)