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AKW Brunsbüttel:
Brisante Mängelliste

Nach den Unfällen in den AKWs Brunsbüttel und Krümmel am 28. Juni kommt der Betreiber Vattenfall nicht mehr aus den  Schlag- zeilen. Zur Zeit steht neben Krümmel, das gar nicht erst wieder angefahren ist auch Brunsbüttel wieder still. Die Rohre eines Notsystems haben falsche Halterungen und machen daher eine Inspektion im Sicherheitsbehälter notwendig. Dafür muss die Anlage erst heruntergefahren werden.

Unterdessen lässt Vattenfall ein paar Köpfe rollen und versucht es zur Abwechslung einmal mit Transparenz: Seit Monaten hatte man diverse Gerichte bemüht, um die Veröffentlichung einer voluminösen Mängelliste des AKW Brunsbüttel zu verhindern. Nun gab der Konzern endlich der Forderung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nach, die die Herausgabe der Liste gefordert hatte. Mit der Liste hat es eine besondere Bewandtnis: Im Juni 2001 führte das Unternehmen am AKW Brunsbüttel eine so genannte periodische  Sicherheits- überprüfung durch. Die Ergebnisse müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde – in Schleswig-Holstein ist dies das Sozialministerium – vorgelegt werden, das gegebenenfalls Schritte zur Erhöhung der Sicherheit anordnet. Für gewöhnlich soll dieser Prozess nach zwei Jahren abgeschlossen sein, heißt es bei der DUH. Anders jedoch in Brunsbüttel, wo es ein knappes halbes Jahr nach dem  Sicher- heits-Check zu einer Wasserstoffexplosion ganz in der Nähe des Reaktordruckbehälters gekommen war. Der Meiler stand daraufhin etwa ein Jahr still, nach dem das Ministerium die Abschaltung erzwang.

Im Sommer 2006, Brunsbüttel war längst wieder am Netz, wurde dann die Existenz einer Liste mit hunderten „offener Punkte“ bekannt, die noch aus dem Prozess der Sicherheitsüberprüfung stammt und deren Abarbeitung mittlerweile fünf Jahre dauerte (inzwischen sechs). Jahrelang hatte die Öffentlichkeit von dem Vorgang keine Kenntnis, bis die zuständige Ministerin Gitta Trauernicht die Liste in einem Zeitungsinterview erwähnte. Aufmerksam geworden beantragte die DUH daraufhin Akteneinsicht nach EU-Umweltinformationsrecht. Trauernicht stimmte dem Anliegen nach einigem Zögern zu. Doch dann blockierte Vattenfall die Herausgabe der 956 Seiten umfassenden Unterlage mit einer Klage.

Die Liste ist auch ein Jahr später noch nicht abgearbeitet, aber nun wurde die Klage gegen ihre Veröffentlichung zurückgezogen. Offenbar hatte Vattenfall gefürchtet, dass die DUH den Fall in der ohnehin für den Konzern ungünstigen Situation skandalisieren könnte. Die Umweltschützer sehen sich duch das Papier allerdings bestätigt. „Das Atomkraftwerk Brunsbüttel wird trotz massiver interner Zweifel an seiner Sicherheit seit Jahren am Netz gehalten“, heißt es in einer DUH-Erklärung vom 18. Juli, und weiter: „Die geheim gehaltene Mängelliste ... betrifft nach einer der Deutschen Umwelthilfe vorliegenden Expertenanalyse praktisch alle Kernbereiche der Rektorsicherheit. Besonders kritisch sind nicht erbrachte Bruchsicherheitnachweise im Rohrsystem, Werkstoffprobleme, Mängel in der Elektro- und Leittechnik, sowie die Verwundbarkeit gegen Terroranschläge. Insgesamt zählten die Sicherheitsexperten zum Stichtag 21. Juni 2006 rund 650 offene Punkte – von denen sich 165 als besonders prekär erwiesen. Sie gehören zur so genannten Kategorie 2 („Nachweisdefizit, das kurzfristig zu beseitigen ist“).

'Wir verlangen, dass die schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht Vattenfall zur Vorlage sämtlicher Sicherheitsnachweise der Kategorie 2 binnen vier Wochen veranlasst. Wenn der Konzern bis dahin nicht liefert, muss der Reaktor abgeschaltet werden', erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. (...) Im vergangenen Jahr habe Vattenfall ebenfalls nach DUH-Recherchen eingestehen müssen, dass, entgegen vorherigen Beteuerungen, die Notstromelektrik in Brunsbüttel in ähnliche Probleme hätte laufen können wie im schwedischen Vattenfall-Reaktor Forsmark, der seinerzeit nur knapp einer Katastrophe entgangen war. (...)

2006 verteilten sich die fehlenden Sicherheitsnachweise wie folgt auf die Themengebiete: Aktivitätsfrei-
setzung (6), Bruchausschluss (19), E- und Leittechnik, Reaktorschutz (4), Einwirkungen von außen (EVA) und Einwirkungen von innen (EVI) – z.B. Erdbeben, Terroranschläge, Brandfolgen (27), Materialverhalten – Belastbarkeitsgrenzen, Materialermüdungen (85), Sicherheitssysteme (5), Störfallszenarien (9), Strahlkraftbelastungen (8) und sonstiges (3).

(wop)