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Zum MobilCom-Prozess: Aufstieg und Fall des Gerhard S.

Die Geschichte eines Unternehmers, der sich viel zutraute - und dem alles zuzutrauen ist.

Es war seine Chance. In Deutschland fiel ein Monopol, und zwar das im Mobilfunk. Also stieg Gerhard Schmid als Manager beim Autovermieter Sixt aus und wurde Unternehmer. Es war im Januar 1991. Da gründete Schmid im kleinen Büdelsdorf eine Firma mit großen Zielen: MobilCom. Er startete durch wie sonst kaum einer in der deutschen Firmengeschichte. Dann wollte er zu viel. Es ist die Geschichte eines Hasadeurs, der es fast schaffte, aus dem Nichts einen Milliardenmarkt aufzurollen - und dann vor einem Scherbenhaufen stand.

Der Riesenerfolg

Schmid zählte zu den Pionieren im Mobilfunkgeschäft. Ein eigenes Netz baute er nicht, das hätte zu viel gekostet. Lieber vermarktete Schmid Verträge für jene, die Milliarden investierten: so wie die Deutsche Telekom. Oder Mannesmann (wie die heutige Vodafone-Tochter damals hieß). Sie nannten sich kurz D1 und D2. Zwei Jahre nach dem Start hat MobilCom fast 70.000 Kunden, schafft erstmals die Umsatzmarke von 100 Millionen Mark. Dann der ganz große Sprung - an die Börse. Im März 1997 wagt sich Schmid als Erster an den Neuen Markt. Die Aktien mit einem Ausgabepreis von 62,50 Mark sind hundertfach überzeichnet. Als in Deutschland ein Jahr darauf auch das Monopol im Festnetz kippt, setzt Schmid auf seine bewährte Strategie: möglichst wenig investieren, geschickt profitieren. Statt wie die großen Energieversorger eigene Strippen zu ziehen, bietet Schmid das Call-by-Call-Verfahren an. Dafür braucht er nur ein paar Computer. Schon bald ist MobilCom als Telefon-Aldi bundesweit bekannt - und Schmid der große Kassierer. Bis März 2000 hat die Aktie einen Höhenflug hinter sich. Sie steht bei 199 Euro. Doch der ehrgeizige MobilCom-Chef wollte mehr: eine UMTS-Lizenz ersteigern und in ganz großem Stil in die neue Mobilfunktechnik einsteigen.

Schmid will ein eigenes Netz

Dafür aber braucht er Geld, das er nicht hat. Die große Sensation: France Télécom beteiligt sich mit 28,5 Prozent am Büdelsdorfer Unternehmen und zahlt dafür rund 3,6 Milliarden Euro. Die Summen werden immer größer. Im August erhält MobilCom für 8,4 Milliarden Euro den Zuschlag für eine der insgesamt sechs Lizenzen.

Anfang vom Ende

Nach erstem Gezerre bricht zwischen den Partnern im Februar 2002 ein offener Streit darüber aus, wie schnell Schmid hierzulande ans UMTS-Werk gehen soll. Der Ausbau der Infrastruktur verschlingt weitere Milliarden, zumal es Schmid eilig hat. Er will als einer der Ersten an den Start gehen. Doch France Télécom tritt auf die Bremse. Der französische Konzern, selbst auf kühnem Expansionskurs, ist hoch verschuldet. Schmid aber soll bereits im Juli einen Kredit von fast fünf Milliarden umschulden. Nur wie? Anfang Juni knallt es endgültig: France Télécom kündigt die Zusammenarbeit mit Schmid auf. Der bietet zwar an, sich - wie von den Franzosen gewünscht – vom Chefsessel zurückzuziehen, will aber dafür einen "fairen Preis" für seine Aktien und die seiner Frau. Die beiden halten zusammen fast 50 Prozent an MobilCom. France-Télécom-Chef Michel Bon schweigt – und kauft nicht. Nur mit den Banken verhandeln die Franzosen, wie mit den Krediten zu verfahren ist.

Das Desaster

Mitte September beschloss der Verwaltungsrat von France Télécom, sich bei MobilCom endgültig zurückzuziehen. Das heißt: keine weitere finanzielle Unterstützung. Unternehmenschef Michel Bon musste gehen. Die Franzosen geben jetzt auch der Bundesregierung die Schuld an der dramatischen Entwicklung: „Wir haben alles versucht, mit jedem gesprochen, monatelang um eine Lösung gerungen", sagt Jean-Louis Vinciguerra, der Finanzvorstand von France Télécom, in Paris. „Letztlich mussten wir aufhören, Geld für nichts auszugeben." Nach dem Rückzug der Franzosen prüft man in Büdelsdorf die Einreichung eines Insolvenzantrages. Die Regierung grff ein. Kurz vor den Wahlen war Kanzler Schröder offensichtlich fest entschlossen, eine spektakuläre Pleite zu verhindern. Er spricht von "hohen Schadenersatzansprüchen" von MobilCom gegenüber France Télécom und versprach ‚juristischen Beistand’. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin soll helfen, die Rechte des Unternehmens gegenüber France Télécom zu vertreten. Wirtschaftsminister Werner Müller lädt ad hoc zu einer Krisenkonferenz nach Berlin. An demselben Wochenende bekräftigt France-Télécom-Vorstand Jean-Francois Pontal in der französischen Zeitung Le Figaro: „Wir sind juristisch in einer sehr soliden Position." Vorsichtshalber aber hat man laut Vinciguerra schon 900 Millionen Euro für eine juristische Auseinandersetzung zurückgestellt. Gleichzeitig sagt der Finanzchef des französischen Konzerns, dass man damit rechne, die im Grundsatz getroffenen Vereinbarungen mit den Banken und Lieferanten in Kürze endgültig abschließen zu können. Sie sehen vor, dass France Télécom die Schulden von MobilCom übernimmt. Allerdings: Einen endgültigen Schuldenerlass für MobilCom bedeutet das noch nicht.

Hoffnung kommt auf

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion sagt Wirtschaftsminister Müller noch am Sonntagabend Kredite von 400 Millionen Euro zu. Schon am Montag nämlich drohte MobilCom das Geld auszugehen. Doch die mit der Abwicklung betraute Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zögerte. Erst am späten Dienstagabend bestätigt ein Sprecher der Bank, dass die erste Tranche in Höhe von 50 Millionen Euro bereitgestellt ist. Nach einigem Hin und Her gibt es dafür eine Bundesbürgschaft, weil keine Zeit für die sonst übliche Prüfung der Bonität bleibt. Die Konkurrenten von MobilCom sind ob der Staatshilfe vergrätzt. Sogar von Klagen ist die Rede. Der finnische Kommunikationsminister Kimmo Sasi fordert gar die Rückzahlung der rund 50 Milliarden Euro, welche die Bundesregierung durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kassieren konnte. Die hohen Ausgaben in Deutschland, sagt Sasi, seien für die großen Turbulenzen der gesamten Branche mitverantwortlich.In der Tat war nicht nur France Télécom, sondern auch der finnische Telefonkonzern Sonera in Schieflage geraten. Eigentlich wollte Sonera gemeinsam mit der spanischen Telefonica in Deutschland das UMTS-Geschäft starten. Doch Quam, die dafür gegründete Tochtergesellschaft, wird bereits wieder abgewickelt. 900 Arbeitsplätze gehen verloren.

Augen zu und durch

An einem Freitag, es ist der 27. September, präsentiert MobilCom-Chef Thorsten Grenz sein Sanierungskonzept: 1850 der insgesamt 4200 Vollzeitstellen sollen gestrichen werden. Betriebsrat und Gewerkschaften kündigen an, den Plan genau zu prüfen. Der restliche Kredit von 350 Millionen Euro hängt immer noch fest. Die Kieler Landesbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau sträuben sich, das Geld ohne eine gründliche Prüfung des Falls auszuzahlen. Offensichtlich will der Bund für diese Summe keine weitere Garantie mehr abgeben. Die Zeit drängte – wieder einmal. Denn am nächsten Montag wurde der Kredit in Höhe von 4,7 Milliarden Euro fällig. In letzter Minute gaben die Banken nach und stunden die gigantische Summe ein zweites Mal: bis Mitte Oktober. Die Gnadenfrist verstreicht. Erneut gewährten die Banken Aufschub. Sie verlängerten die Frist für die Umschuldung bis Ende Oktober. Auch die Zinszahlungen wurden gestundet. Allerdings sind die wichtigsten Fragen noch immer ungelöst. Übernimmt France Télécom den Kredit tatsächlich? Und vor allem: Erlassen die Franzosen den Deutschen ihre Schulden? Reicht das, um MobilCom profitabel zu machen? Schließlich steckt das Unternehmen auch ohne UMTS in den roten Zahlen. Der ehmalige Thyssen-Chef Dieter Vogel verhandelt inzwischen mit Paris. Vogel ist mit dem Fall vertraut, weil er im Aufsichtsrat von MobilCom sitzt.

Unterschiedliche Signale darüber, was France Télécom zu tun oder zu lassen gedenkt, sorgen für Irritation. Kommt der Schuldenerlass? Oder doch nicht? Gerhard Schmid, der sich zum Schluss zurückgehalten hatte, gerät wieder ins Rampenlicht. Schließlich muss er als Großaktionär allen Lösungen zustimmen. Klar ist: Schmid will einigermaßen heil aus der Sache herauskommen. Er hat sich inzwischen bereit erklärt, seine Aktien einem Treuhänder zu überlassen. Ende Oktober verständigen sich der neue MobilCom-Vorstand und der Betriebsrat über das Sanierungskonzept, ohne sich allerdings auf Details zu einigen. Nur eines ist klar: Die bereits genannten 1850 Stellen fallen weg. Den weiteren Ausbau des UMTS-Netzes kann MobilCom allein nicht stemmen.

Ein Teufelskreis

Nach einer weiteren Verwaltungsratssitzung bei France Télécom verlautete sibyllinisch aus Paris: „Es scheint, als zeichne sich auf deutscher Seite eine Lösung ab." Damit richteten sich alle Augen auf Berlin und die vor der Wahl angekündigten staatlichen Hilfen von 400 Millionen Euro. Der Chef der KfW stellt prompt klar, dass er ohne präzise Ansagen aus Paris gar nicht daran denkt, weiteres Geld zur Verfügung zu stellen.

Ende Oktober verlängern die Banken doch noch einmal die Rückzahlungsfrist. Und zu Beginn der Folgewoche schien im komplizierten Geflecht zwischen den Geldinstituten, France Télécom, Vogel und der Bundesregierung auf einmal alles klar. Nur einer stellt sich quer: Gerhard Schmid. Zum Knackpunkt wird jener Vertrag, in dem sich Schmid verpflichtet, seine Aktien einem Treuhänder zu übertragen und keinen Einfluss mehr zu nehmen. Das schluckt er. Aber außerdem soll Schmid noch unterschreiben, dass er seine Aktien nicht uneingeschränkt verkaufen darf und in einem offenen Rechtsstreit um ein Aktienoptionsgeschäft seine Schuld anerkennt. Das hätte ihn viel Geld gekostet. Vermutlich haben die Franzosen alles darangesetzt, den Unternehmensgründer auf keinen Fall von dem ausgehandelten Kompromiss profitieren zu lassen. Schmid steckt in der Klemme. Von seiner Unterschrift hing nun alles ab. Am Ende kam er um ein Schuldanerkenntnis herum.

Schmid vor Gericht

Inzwischen muss er sich wegen eines Immobiliengeschäfts im Jahr 2002 vor dem Landgericht Kiel verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Schmid vor, damit seinen eigenen Bankrott verursacht zu haben. Wenige Stunden nach Prozessbeginn vertagte das Gericht die Verhandlung auf den 27. Juli. Der Grund: Schmids Verteidiger legte neue Unterlagen vor, die dessen Unschuld beweisen sollen. Ein als Entlastungszeuge benannter Notar soll beim nächsten Prozesstermin dazu Stellung nehmen. Die Anklagebehörde schloss einen Freispruch für Schmid nicht mehr aus. Die Unterlagen der Verteidigung belegten, dass ein Freispruch „der Fall sein könnte", sagte Staatsanwalt Axel Goos. Schmid selbst sagte nach der Verhandlung, die Anklage sei „in sich zusammengebrochen". Im Gerichtssaal machte er am ersten Prozesstag nur Angaben zur Person.

Bei dem neuen Beweismaterial handelt es sich nach Angaben eines Gerichtssprechers um Urkunden, die belegen sollen, dass Schmid vor seiner Privatinsolvenz kein Geld ohne Gegenleistung ins Ausland verschoben habe. Laut Anklage soll Schmid jedoch im Jahr 2002 Firmenanteile an einem Immobilienprojekt ohne Gegenleistung an eine Gesellschaft in Liechtenstein transferiert haben und dadurch bankrott gegangen sein. Damals hatte die Landesbank Sachsen vor dem Landgericht Flensburg bereits einen Pfändungsbeschluss in Höhe von rund zehn Millionen Euro gegen Schmid erwirkt. Durch die Übertragung der Gesellschaftsanteile war die Bank leer ausgegangen.

Mit Prestigebau übernommen

Schmid hatte im Jahr 2000 in zentraler Lage am Kieler Germaniahafen den Bau eines Gebäudekomplexes mit Büros und Wohnungen in Auftrag gegeben und sich dafür Geld bei der Landesbank Sachsen geliehen. 2002 kündigte die Bank jedoch das Darlehen. Denn nach dem Streit mit dem MobilCom-Großaktionär France Télécom im Zusammenhang mit dem UMTS-Geschäft war Schmid als Vorstandschef abberufen worden. Ein Jahr später meldete der Unternehmer Privatinsolvenz an. Auch das Büdelsdorfer Unternehmen geriet an den Rand der Insolvenz, fast 2.000 Mitarbeiter mussten gehen. Der Prestigebau am Kieler Hafen mit 96 Wohneinheiten und 13.000 Quadratmetern Bürofläche ist inzwischen fast fertig. Er gehört jetzt der Waterkant Immobilienfonds GmbH, deren Geschäftsführerin Schmids Frau Sybille Schmid-Sindram ist.

Entscheidung über weiteres Verfahren läuft noch

Für den Prozess waren ursprünglich zwei Verhandlungstage angesetzt. Im Falle einer Verurteilung droht Schmid eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Gefängnis. In einem weiteren Strafverfahren kam es erst gar nicht zur Eröffnung des Hauptverfahrens. Die  Staats- anwaltschaft hatte Schmid vorgeworfen, in seiner Zeit als Vorstandschef von MobilCom etwa 70 Millionen Euro an die Firma Millennium seiner Ehefrau gezahlt zu haben. Ein Teil der Zahlungen sei ohne vertragliche Grundlage geleistet worden und habe MobilCom geschadet, so die Behörde. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen das Ehepaar wegen Untreue, Bankrott-Verdachts und Beihilfe zum Bankrott. Das Landgericht Kiel sah hierfür aber keine Anhaltspunkte. Über die Beschwerde, die die Kieler  Staats- anwaltschaft daraufhin einlegte, ist nach Angaben von Oberstaatsanwalt Uwe Wick noch nicht entschieden worden. Darben muss Schmidt auch heute nicht. Er ist derzeit Geschäftsführer eines Stromanbieters, der im Besitz seiner Frau ist. Mit billigen Tarifen für den Mittelstand möchte er zurück ins Geschäft und mit den großen Energiekonzernen konkurrieren.

(csk)