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Datenschutz:

Terrorismusbekämpfung – ein Widerspruch zur offenen Informationsgesellschaft?

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) Schleswig-Holstein, an dessen Spitze der Landesbeauftragte für Datenschutz, Dr. Thilo Weichert, steht, hatte zur alljährlichen Sommerakademie 2007 geladen. Das Thema: „Offene Gesellschaft und  Terrorbekämpfung – ein Widerspruch?“ Annähernd 500 Personen, überwiegend aus dem Bereich Datenschutz, nahmen an dieser ganztägigen Veranstaltung im Hotel Maritim in Kiel am 27. August teil.

Die von dem Veranstalter ausgewählten drei ersten Redner umrissen die Bandbreite der Diskussion zur aktuellen Gesetzgebung zur Terrorbekämpfung. „Terrorismusbekämpfung hat seit dem 11. September 2001 eine neue Dimension gewonnen und verändert zunehmend die Arbeit von Sicherheitsbehörden und unseren Alltag“ war in der Einladung der Veranstalter zu lesen. Angesichts von biometrischen Personalausweisen, Datenvorratsspeicherung, Auswertung von Flugdaten und Banktransaktionen, präventive Videoüber-
wachung auf Bahnhöfen, in Innenstädten und bei Großveranstaltungen, so der schleswig-holsteinische Datenschützer Weichert, sei der Datenschutz längst mit dem Rücken an der Wand.

Selbst der Justizminister des Landes, Uwe Döring, machte im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit der Bürger die ständigen Forderungen nach neuen Antiterrorgesetzen des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble als Sicherheitsrisiko aus. Ein Zuwachs von Sicherheit, und sei es nur an „gefühlter“ Sicherheit der Bürger, sei so nicht zu erreichen. Döring mahnte eine kritische Debatte an und warnte vor einem „Überbietungswettbewerb der Angstmacher“. In einer demokratische Gesellschaft bestehe ein Restrisiko der Sicherheit immer. Der Landesminister riet zur Besonnenheit bei der Verabschiedung neuer Gesetze im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Insbesondere in den zwei Wochen, so der Minister vorausschauend, nach einem tatsächlich stattgefundenen Terroranschlag.Dem entgegen forderte Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, das ganze Repertoire von Gesetzen zur Terrorismusbekämpfung, einschließlich der Online-Durchsuchung von privaten Computern und präventiver Vorratsdatenspeicherung.

Die anschließenden Sachberichte aus der Praxis der Gesetzgebung von Terrorbekämpfung und Datenschutz ließen auch beim letzten Zuhörer Zweifel an der vom Bund beschlossenen und angestrebten Gesetzgebung aufkommen.

Für die Deutsche Telekom Gruppe machten Dorothee Schrief und Dr. Bernd Köbele deutlich, dass bei der vom Bund zum 1. Januar 2008 angestrebten Vorratsdatenspeicherung von Telefongesprächen und anderen Kontakten im IT-Bereich genaue Bestimmungen des Gesetzgebers noch fehlen. Insbesondere die für das Unternehmen entstehenden Kosten seien noch nicht abschätzbar und über eine Bezahlung/Entschädigung kein Wort gefallen. Beide wiesen die These von den „Wirtschaftsunternehmen als verlängerter Arm der Sicherheitsbehörden“ für ihre Firma weit von sich, und verwiesen auf die Verantwortung gegenüber ihren Kunden im Sinne vom Grundgesetz garantierten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Der in der späteren Podiumsdiskussion  geäußerte Hinweis des Rechtsanwalts Burkhard Hirsch auf mögliche Klagen von Kunden gegen die Telekom wegen der Weitergabe privater Daten, machte das Dilemma des IT-Konzern zwischen den Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehörden und dem Datenschutz der Kunden deutlich. Mit Zahlenmaterial konnten die beiden Vertreter der Telekom die von Sicherheitsvertretern und interessierten Politikern geforderte Überwachung der IT-Kommunikation der Bürger widerlegen. Nicht die ständig als Begründung für neue Gesetze gegen Terrorismus und die Verbreitung von Kinderpornographie stände im Vordergrund. Nur 0,5 Prozent der Telefon- und Datenüberwachung hätten 2006 der Terrorabwehr und wenig mehr wegen der Kinderpornographie gegolten. In der Mehrzahl der Fälle sei auf Antrag der Unterhaltungsindustrie wegen illegaler Musik-Downloads und Betrugs recherchiert worden.

Der ehemalige NRW-Landesinnenminister und FDP-Rechtsexperte Burkhard Hirsch, der in den letzten Jahren immer wieder mit Klagen vor den höchsten deutschen Gerichten Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministeriums zu Fall gebracht hatte (der lang anhaltenden Beifall des Publikums machte seine Wertschätzung deutlich), verwies in seinem Vortrag auf die gesellschaftlichen Folgen staatlicher Überwachung. Er warnte vor einer „Zerbröselung“ der Akzeptanz und der Zustimmung zu den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates.

Professor Korff von der London Metropolitan University ließ bei seinem Bericht zu den Überwachungs-
möglichkeiten in Großbritannien den Orwellschen Überwachungsstaat aufscheinen. Jedoch, trotz einer immensen Dichte von Überwachungskameras im öffentlichen Raum, sei die Kriminalitätsrate in Großbritannien nicht zurückgegangen. Die momentan durchgeführte Datensammlung über 13- bis 18-jährige Jugendliche diene nicht der Kriminalitätsbekämpfung, sondern der Absicherung und Förderung von „Glück und Gesundheit“ eines zukünftigen Lebens. Damit seien die Aufgaben von Sicherheitsbehörden weit überschritten und kündigten den Konsens des bürgerlichen Staates seit dem 17. Jahrhundert auf.

In insgesamt 10 verschiedenen Infobörsen, gleichzeitig stattfindende Kurzvorträge mit Diskussion, wurden Aspekte zu diesem Thema genauer beleuchtet. So referierte Nils Bergemann vom ULD die in den letzten Jahren stattgefundene Gesetzgebung des Bundes und verschiedener Länder im Polizeirecht zur Terrorbekämpfung und deren Widerspruch zum bestehenden Verfassungsrecht. Etliche Gesetze haben , so der Referent, zur Einschränkung der im Grundgesetz garantierten Freiheiten geführt. Auch die historische Erfahrung der Trennung von nachrichtlicher Tätigkeit und polizeilicher Arbeit, der Zusammenfassung von Polizei und Gestapo im Reichssicherheitshauptamt während der Nazi-Zeit, sei auf politischer Ebene nicht mehr präsent.

In einer weiteren Infobörse verwiesen Markus Hansen und Christian Krause, beide vom ULD, die gerade aktuell vom Innenminister Schäuble und zuvor auch von BKA-Chef Ziercke als dringend notwendige geforderte Online-Durchsuchung von Computern zur Verbrechensbekämpfung ins Reich der Propaganda. Computertechnisch mit sogenannten Bundestrojanern nur schwer zu bewerkstelligen und mit allerhand Tricks von den „Bösewichten“ zu umgehen, wie die beiden Referenten anschaulich machten, gäbe es ein juristisches Problem. Heimliche Online-Durchsuchung kann nur mittels einer Veränderung und Manipulation der gefundenen Daten erfolgen. Dann aber seien die Erkenntnisse in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht mehr verwertbar. Die geforderte Online-Durchsuchung diene, so der Verdacht der Datenschützer, nicht der Kriminalitätsbekämpfung durch die Polizei, sondern der Sammlung von Daten unbescholtener Bürger die zufällig ins Visier der Fahnder kämen. Insbesondere der Sammlung von Daten von kritischen und als von den Sicherheitsbehörden subversiv eingeschätzten Menschen.

Für einen Eklat sorgte der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Erhard Rex, in der abschließenden Podiumsdiskussion. Hatten noch am Vormittag mehrere Redner, u. a. der Landesbeauftragte für Datenschutz Weichert, die Richter am Bundesverfassungsgericht als Bollwerk gegen die unersättliche Wut der Sicherheitsexperten, insbesondere des Innenministers Schäuble, zum Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien hervorgehoben, so machte der oberste Staatsanwalt klar, dass damit in Zukunft nicht mehr zu rechnen sei. Es werde, so Rex, eine Änderung der Zusammensetzung des Gerichts angestrebt. Für die anwesenden Datenschützer war diese Drohung unmißverständlich. Einwände und Zurechtweisungen von Burkhard Hirsch und dem Bundesbeauftragten für Datenschutz Peter Schaar auf dem Podium und eines Richters aus dem Publikum provozierten den Generalstaatsanwalt lediglich zu der Aussage, es werde ein Paradigmenwechsel zum Verständnis des Grundgesetzes im höchsten deutschen Gericht erfolgen. Die von Rex völlig unverstandene Frage aus dem Publikum, ob er den Begriff des „Verfassungsfeindes“ als desjenigen, der das Grundgesetz in seiner Substanz verändern wolle, auch so definieren würde, ließ zumindest Zweifel an der Kompetenz des Generalstaatsanwalt aufkommen.

Albert von Mutius, Professor für öffentliches Recht an der Kieler Universität, der u. a. in seinem Abschlussstatement auf die geringe Entscheidungsfähigkeit jener „Beauftragter“ von Randgruppen-
phänomenen, so auch der Beauftragter für Datenschutz aufmerksam machte, ließ den geringen Einfluß jener auf politische Entscheidungen deutlich werden. Die anwesenden Datenschützer spürten, dass ohne die beklagte Abwesenheit einer breiten gesellschaftlichen Proteststimmung gegen die Einschränkung persönlicher Freiheiten, wie in den 80er Jahren gegen das Volkszählungsgesetz, der Weg in eine andere Republik nicht mehr zu verhindern sei.

Peter Meier