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“SansPapiers” in Frankreich:

Hungerstreik gegen Abschiebung

Am 16. August erlebten sechs französische Polizisten, die einen Flug mit zwei Abschiebehäftlingen bei ihrer Rückführung ins westafrikanische Guinea begleiteten, einen unangenehmen Moment. Die französische Grenzpolizei (PAF, Police aux frontières) selbst gab dazu genau eine Woche später ihre Informationen bekannt. Da die Abschiebekandidaten – wie oftmals üblich – auf relativ brutale Art und Weise an Bord geschafft worden zu sein scheinen, sollen Passagiere des Linienflugs nach Conakry sich zunächst der Abschiebung widersetzt haben. Per Handy, so lautet die Version der französischen Behörden, hätten sie dann ein „Empfangskomitee“ in Guineas Hauptstadt Conakry auf die Beine gestellt. Bei der Ankunft um 04.30 Uhr früh in Conakry bekamen die sechs französischen Beamten (die in Zivil und unbewaffnet waren) dann von „ihren“ beiden Abschiebehäftlingen sowie einer umstehenden Menge tüchtig auf die Nüsse. Die Beamten sollen „mit Händen und  Fußtritten“ traktiert worden sein. Schlimmer noch: Anwesende guineeische Polizisten sollen sich selbst an den, nun ja, Ausschreitungen beteiligt haben. Eine guineeische Polizistin soll den französischen Beamten zugerufen haben: „Der Kolonialismus ist vorbei!“ Nachdem sie durch die guineeische Polizei unter strengen Blicken in ihre Obhut genommen worden waren, sollen die französischen Polizisten sich noch eine Reihe von Sprüchen haben anhören müssen.Zwischen den Regierungen Frankreichs und Guineas sorgte der Vorfall zunächst für einige Verstimmungen. Künftig sollten die Rückführungen besser koordiniert werden. Kouyaté habe angekündigt, dass der guineische Außenminister demnächst zur Unterzeichnung eines Abkommens nach Frankreich reisen werde, berichtet Conni Gunsser vom Flüchtlingsrat Hamburg.

Hungerstreik in Lille nach 76 Tagen beendet

Die sechs Abgeschobenen kamen aus Lille, wo sich insgesamt 60 Staatsbürger Marokkos, Algeriens und Guineas seit dem 15. Juni dieses Jahres an einem Hungerstreik zur Durchsetz ihrer „Regularisierung“ (d.h. Legalisierung ihres Aufenthalts) beteiligten.Lille ist seit längerem ein Zentrum des Protests der Sans papiers (die „ohne Aufenthaltspapiere“), wie die „illegalen“ Zuwanderer im linken und liberalen Teil der französischen Öffentlichkeit inzwischen nur noch genannt werden. Das „Komitee der Sans-papiers im Département Nord“ (CSP59; die 59 entspricht der Nummer des Bezirks in der Liste der französischen Départements) gehört zu den mit Abstand kämpferischsten Selbstorganisationen von Einwanderern in Frankreich.

Um dessen Widerstandswillen zu brechen, hatte die französische Zentralregierung einen neuen Präfekten „mit harter Hand“ nach Lille entsandt: Daniel Canepa. Dieser war nun seit dem Frühsommer mit dem insgesamt 13. Hungerstreik von Sans papiers seit dem Jahr 2004 konfrontiert – die Hungerstreikwaffe ist oft das letzte „Instrument“, das illegalisierte Einwanderer überhaupt noch einsetzen können. Seine Amtsvorgänger waren durch die aufeinanderfolgenden Hungerstreiks im Département Nord immer wieder dazu getrieben worden, in (un)regelmäbigen Abständen Aufenthaltspapiere für die Teilnehmer/innen herauszurücken. Dem sollte der neue Präfekt Canepa nun ein Ende setzen. „Statt der Regel ‚Hungerstreik bedeutet Legalisierung’ gilt nun eine neue Regel: ‚Hungerstreik bedeutet Abschiebung’“ tönte der neue Amtsinhaber markig. Noch nach mehrwöchigem Hungerstreik lieb der Präfekt im August Teilnehmer, die körperlich sehr geschwächt waren, festnehmen und/oder abschieben. Hungerstreikenden, die vor Krankenhäusern in Lille campierten, wurden abgeräumt und vor einen Untersuchungsrichter gebracht, wo Polizisten die Abgemagerten stützen mussten, damit sie nicht umkippten. 20 Abschiebungen von Teilnehmern, überwiegend nach Guinea sowie nach Marokko, wurden noch nach mehrwöchigem Hungerstreik durchgeführt.

Doch der politische Druck, den u.a. täglich durchgeführte Demonstrationen in Lille auslösten, wuchs. Am 14. August gab die Präfektur eine Vereinbarung bekannt, die sie mit sechs Initiativen geschlossen hatte, von der das CSP59 – das den Behörden als „zu radikal“ gilt und nicht als Verhandlungspartner akzeptiert wird – jedoch ausdrücklich ausgeschlossen blieb. Dem Abkommen zufolge sollte zunächst der Hungerstreik eingestellt werden, denn dessen Abbruch hatten die Behörden zur Voraussetzung jeglichen Einlenkens gemacht. Sodann sollten die Dossiers von gut 20 Personen nochmals „wohlwollend“ untersucht werden, um zu prüfen, ob sie nicht doch einem der gesetzlichen Legalisierungskritierien unterfallen könnten. Ausgeschlossen bleiben aber sollten sowohl die bereits Abgeschobenen, als auch rund 10 Personen, die zwar als Sans papiers am Hungerstreik teilnahmen, aber nicht im Département Nord (wo sich ein  Widerstands- zentrum gebildet hatte) wohnhaft waren. Ferner sollten zwei Personen, gegen die in Frankreich ein Strafverfahren wegen  Gesetzesver- stößen lief – das aber inzwischen eingestellt ist -, sowie 18 Personen im Asylverfahren aus dem „Legalisierungsprozedere“  ausgeschlossen bleiben.

Die Hungerstreikenden und das CSP59 lehnten dieses Abkommen, das ohne ihre Zustimmung ausgehandelt worden war, jedoch ab und setzten ihre Aktion fort. Doch allmählich näherte sich der Zeitpunkt, an dem Hungerstreik für manche Beteiligte  einen lebensbedrolichen Zustand auszulösen drohte. Zwei andere Initiativen, die Liga für Menschenrechte (LDH) und die Antirassismusorganisation MRAP, handelten deshalb ein neues Abkommen mit der Präfektur aus – dieses Mal in Abstimmung mit den Sans papiers selbst, die das letzte Wort behalten sollten. Am 30. August wurde die neue Vereinbarung (mit 56 von 58 Stimmen der Hungerstreikenden, wobei auch die bereits Abgeschobenen telefonisch konsultiert worden waren) angenommen. Im Unterschied zum ersten „Kompromiss“ können dieses Mal auch jene Betroffenen, die einen Asylantrag gestellt haben, von der durch die Vereinbarung garantierten „Neuaufnahme des Legalisierungsverfahrens“ profitiere, falls ihr Asylantrag abgelehnt wird.

Garantien gibt es jedoch keine: Zugesagt hat die Präfektur nur, dass sie die Einzelfälle anhand der gesetzlich definierten Kriterien (familiäre Bindungen, Integration in die französische Gesellschaft, ..) „wohlwollend“ auf eine mögliche Legalisierung hin prüfen wird. „Es könnte Abschiebungen geben“, erklärte Präfekt Canepa im Hinblick auch auf ehemalige Hungerstreikende. Alles in allem ging es ihm aber vor allem darum, „das Gesicht zu wahren“ und nicht den Eindruck zu erwecken, er habe auf der ganzen Linie nachgegeben – um nur ja nicht schon den nächsten Hungerstreik anzubahnen. Wie die Kriterien nun konkret ausgelegt werden, das wird die nähere Zukunft erweisen müssen.
 

(Bernhard Schmid, Paris)