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Kieler Stadtentwicklung:

Jede Investitionschance ergreifen?

Wenn die so genannte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ der Öffentlichkeit die Ergebnisse ihres „Städte-Rankings“ präsentiert, kann man daraus verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Man könnte zum Beispiel feststellen, dass die INSM vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet wurde, von diesem mit jährlich 8,8 Mio. Euro finanziert wird und dass ihr führendes Personal zuvor bereits beim BDI oder Wirtschaftsblättern wie Capital oder FTD tätig war. Daraus wiederum könnte man ableiten, dass es sich bei den Erkenntnissen der INSM nicht um „objektive Wahrheiten“ handelt, sondern dass ihr Wirken vor allem von den Interessen der Arbeitgeber geleitet wird. Ebenso könnte man den gesamten Ansatz der INSM – nämlich den Wettbewerb zwischen Ländern, Regionen, Städten und letztendlich einzelnen Menschen – als allein selig machende Richtschnur allen politischen Handels zu begreifen, in Frage stellen.

Keine Spur von all dem allerdings bei unserer Lokalzeitung, die damit ein bemerkenswertes Beispiel für den zweifelhaften Erfolg der INSM liefert, neoliberale Ideen in der Öffentlichkeit und damit eben auch in den Medien zu plazieren. So zeigt sich denn ein Herr Buhmann in einem KN-Kommentar äußerst besorgt darüber, dass Kiel bei dem genannten Ranking unter den 50. größten deutschen Städten den 40. Platz belegt. Seine Konsequenz: Kiel müsse „jede Investitionschance ergreifen“, im Klartext: Großkraftwerk, Megayacht-Marina und Rathaus-Galerie müssen her.

Was soll man dazu sagen? Über den ökologischen Irrsinn des Kraftwerkes wurde in dieser Zeitung bereits ausführlich berichtet. Und mit der Marina soll am Hindenburgufer bekanntlich ein Hafen für Superyachten entstehen, nebst dazugehöriger Infrastruktur wie  5-Sterne- Hotel, Hubschrauberlandeplatz, Restaurants – ein Vergnügungsressort für Reiche also. Diesbezüglich beruhigt uns jedoch die  Planungsgesellschaft MPDI: So kann man auf ihrer Homepage balticbay-kiel.com nachlesen, daß die Marina „keine Enklave der Yachteigner“ werden soll. Vielmehr richte sich „das Angebot auch besonders an die Kieler“. Ob damit allerdings auch „die Kieler“ gemeint sind, die sich mit Niedriglohnjobs und ALG II mehr schlecht als recht so gerade über Wasser halten können? Wohl kaum! Von denen scheint es in unserer Stadt laut INSM-
Ranking übrigens besonders viele zu geben. Beim Arbeitseinkommen pro Kopf  rangiert Kiel laut dieser Studie weit hinten – ganz zu schweigen von den zahlreichen AlgII-Empfängern. Bei Herrn Buhmann von der KN im übrigen  „drücken diese auf die Kaufkraft“ - ganz so, als ob sie sich das freiwillig ausgesucht hätten.

Diese Kieler werden sich sicherlich auch ganz besonders über das geplante Einkaufszentrum „Rathaus-Galerie“ freuen. Verfolgt man die jüngere Geschichte der Kieler Einkauslandschaft, so kann man dieses Projekt, welches der „Belebung der Kieler Innenstadt“ dienen soll, nur noch als absurd bezeichnen. Mit immer neuen Vorhaben, immer neuen Neu-, Um- und Anbaumaßnahmen wird „die Kaufkraft“ durch die Kieler Landschaft hin- und hergeleitet: „Ostseepark“ in Raisdorf, „Sophienhof“, „FEZ“, „LEIK“, „Kleiner Herzog“,  „Quer- Passage“. 2006 eröffnete mit dem „Citti-Park“ ein weiteres Mega-
Einkaufszentrum außerhalb der Innenstadt – und nun wundert man sich, dass diese zu wenig „belebt“ ist.

Aber im Interesse des „Wirtschaftsstandortes Kiel“ jagt man eben jedem noch so unsinnigen Projekt hinterher, auf daß sich Investoren doch erbarmen mögen in Kiel zu investieren. Die „Schaffung von Arbeitsplätzen“ ist dabei natürlich ein Argument, dem man sich eigentlich kaum entziehen kann.

Oder doch? Man sollte sich von all dem Gerede nicht verrückt machen lassen. Denn Arbeitsmöglichkeiten gäbe es auch in unserer Stadt genug. Als ein Beispiel sei hier nur die Altenpflege genannt. Erst kürzlich wurden die Mängel in diesem Bereich wieder öffentlich diskutiert. Sie hängen ganz wesentlich mit dem Personalmangel zusammen. Gut und gerne sind hier doppelt so viele Arbeitsplätze notwendig, um die KollegInnen zu entlasten und für eine ganzheitliche und menschliche Pflege zu sorgen. Doch so denken unsere Lokalpolitiker oder Journalisten wie der genannte Herr Buhmann nicht. Sie üben sich lieber im kleinlichen Städtevergleich und wollen uns ihre Visionen von der zukünftigen Entwicklung unserer Stadt schmackhaft machen. Davon kann man sich nur mit Grausen abwenden – oder den Herrschaften in die Parade fahren und für eine Politik kämpfen, die sich an ökologischen und den sozialen Interessen der großen Mehrheit der Kieler BürgerInnen orientiert.

(cg)