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Quo vadis, ver.di?

Ver.di-Chef Frank Bsirske hat die Dienstleistungsgewerkschaft auch für die kommenden Jahre auf einen klaren Kurs eingeschworen. Am letzten Tag des Bundeskongresses in Leipzig geißelte er eine Dominanz „einiger, weniger Großkonzerne", die "Unterordnung unter das Diktat von Markt und Profit" und „die Umverteilung von unten nach oben". Dem setzte er seine Forderungen nach „einer Umverteilung zugunsten der Masseneinkommen", nach einem starken Staat und gesetzlichen Regeln gegen Niedriglöhne entgegen. Als Schwerpunkt für die politische Arbeit nannte er die Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn, den Kampf gegen Missbrauch von Leiharbeit und für eine solidarische Krankenversicherung. Zudem werde Ver.di bei den Themen Rente mit 67 und Altersarmut die Auseinandersetzung mit der Politik suchen.

Nur kurz ging Bsirske in seiner Grundsatzrede auf den dramatischen Mitgliederschwund ein, der ver.di mehr zu schaffen macht als den anderen Gewerkschaften. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 hat die Organisation über eine halbe Millionen Mitglieder verloren, das entspricht einem Rückgang um fast ein Fünftel. Bsirske rief die Funktionäre auf, ihr Handeln „sehr viel stärker" an der Mitgliederentwicklung auszurichten. Dafür müsse ver.di auch offensiver als bisher in den Betrieben auftreten. Belastet wurde der sechstägige Bundeskongress durch interne Querelen. So musste die Mammutorganisation von ihrem Plan abrücken, den Vorstand von 15 auf elf Mitglieder zu verkleinern. Am Ende wählten die Delegierten 14 Männer und Frauen in das Führungsgremium, weil sich nur so die Frauenquote von 50 Prozent einhalten ließ. Viele Redner äußerten sich verärgert über die aufgeblasene Spitze, zumal ver.di wegen der sinkenden Mitgliederzahlen zu einem strikten Sparkurs gezwungen ist.  Das Theater in Leipzig legte damit erneut offen, welche Probleme die komplizierte Struktur der Multibranchengewerkschaft bereitet. Hervorgegangen aus einem Zusammenschluss von ÖTV, DAG, IG Medien, Postgewerkschaft und HBV Handel Banken, Versicherungen, gliedert sie sich nicht nur in Ortsvereine, Bezirke, Landesbezirke und die Bundesebene, sondern auch in 13 Fachbereiche vom öffentlichen Dienst bis zum Handel.

Bsirske hob die Chancen dieser Vielfältigkeit hervor. Scharfe Kritik übte er an Spezialverbänden wie dem Marburger Bund, "die für eine einzelne Berufsgruppe im Alleingang das Maximale herauszuschlagen" versuchten. Diese „Ein-Punkt-Organisationen" profitierten davon, „dass wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an vielen Stellen wirksam Einfluss nehmen", meinte der ver.di-Chef. „Wir stellen der Zersplitterung und dem Aufkündigen der Solidarität aus gutem Grund das Gemeinsame entgegen." Im politischen Spektrum sucht Ver.di Bsirske zufolge Bündnispartner in allen demokratischen Parteien. Besonders eng war in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit der Linkspartei, worauf Bsirske nicht einging. Er erklärte lediglich, eine Einheitsgewerkschaft dürfe nicht „verlängerter Arm einer Partei" sein.

Durch die Auftritte von SPD-Chef Kurt Beck und Vize-Kanzler Franz Müntefering (SPD) hat sich das spannungsgeladene Verhältnis zu den Sozialdemokraten möglicherweise etwas entkrampft.

csk