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Bundesweites Sozialforum:
Anders diskutieren

Vom 18. bis zum 21. Oktober fand im südbrandenburgischen Cottbus das zweite deutsche Sozialforum statt. 1.500 Teilnehmer haben die Organisatoren gezählt. Von den Menschen, die im Juni die Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm getragen hatten, wurde nur wenig gesehen. Der Korrespondent der linken Tageszeitung „junge Welt“ hat gar „weniger als Tausend“ Diskutierende gezählt, aber mag vielleicht nicht alles mitbekommen haben. Die interessanten Diskussionen mit polnischen und tschechischen Gewerk-
schaftern gingen an ihm ebenso vorbei, wie die Tatsache, dass sich die abschließende Versammlung der sozialen Bewegungen vehement gegen den neuen EU-Vertrag ausgesprochen hat, der nichts anderes als die alte, durchgefallene „Verfassung“ ist, versehen mit einigen kosmetischen Retuschen, die nichts am neo-
liberalen und militaristischen Gehalt des Projekts ändern. Wir wollten wissen, wie die Organisatoren das Forum bilanzieren und sprachen daher mit Marion Scheier, Vorsitzende der DGB-Region Südbranden-
burg/Lausitz. Das Interview erschien zuerst in der jungen Welt.
 

(wop)


 LinX: Das Sozialforum sei eine bloße Simulation von Bewegung gewesen, hatte der jW-Berichterstatter am Montag resümiert ...

Marion Scheier (M.S.): Das sehe ich ganz anders. Für unsere Region hier kann ich sagen, dass es eine Annäherung der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen gegeben hat, dass die Zusammenarbeit verbessert wurde. Das hat sich auch auf der sogenannten Versammlung der sozialen Bewegungen zum Abschluss des Forums gezeigt. Auf dieser wurden Themen verabredet, mit denen man sich in nächster Zeit gemeinsam beschäftigen will: Klima, globale soziale Rechte, G8, Europa, Tarifrunde und öffentlicher Dienst, Hartz IV und das Recht auf Wohnen, das Thema gute Arbeit und Mindestlohn, Bildung, Privatisierung und die Frage der Militärstützpunkte. Die Versammlung hat sich zum Beispiel für eine bundes- und europaweite Kampagne gegen die Ratifizierungen des »EU-Reformvertrags« ausgesprochen.

LinX: Wurden auch konkrete Aktionen verabredet?

M.S.: Ja. Am 26. Januar wird es einen weltweiten globalen Aktionstag geben, sozusagen als Ersatz für das Weltsozialforum, das 2008 nicht stattfinden wird. An diesem Tag soll es dezentral in den Städten Veranstaltungen geben; für den 25. November ist in Berlin ein zentrales Vorbereitungstreffen für diese Aktionen geplant.Allgemein waren wir uns in Cottbus einig, dass die bundesweiten Sozialforen ein kontinuierlicher Prozess sein sollten. Ich hoffe daher, dass wir mit der Zusammenarbeit und der Vorbereitung des nächsten Forums sofort weitermachen und nicht erst ein Jahr verstreichen lassen.

LinX: Schon beim ersten Forum vor zwei Jahren in Erfurt war die mangelhafte Einbindung der örtlichen Sozialforen beklagt worden, von denen es einige Dutzend in Deutschland gibt. Diesmal scheint es noch schlechter gelaufen zu sein.

M.S.: Ich kann da nicht für das ganze Bundesgebiet sprechen, aber hier in der Region haben wir zum Beispiel die Gruppen mit einbezogen, die sich aus den Montagsdemonstrationen entwickelt haben.

LinX: Eine andere Kritik lautet, dass in Cottbus nur vergleichsweise wenig junge Menschen waren, dass diejenigen fehlten, die im Sommer die Proteste gegen den G-8-Gipfel getragen hatten.

M.S.: Ich kann es mir eigentlich nicht erklären. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass junge Leute politisch aktiv sind und es immer nur so scheint, dass sie sich nicht interessieren.

LinX: Offenbar haben die alten Organisationen wie Gewerkschaften, Friedensbewegung und andere, die das Forum organisiert hatten, ein erhebliches Problem, jüngere Menschen anzusprechen.

M.S.: Es ist vielleicht auch die Diskussionskultur, die sich ändern müsste. Wenn ich mir unsere Gewerkschaftsveranstaltungen anschaue, dann sitzt vorne ein Referent, und das Publikum stellt die Fragen. Ich denke, dass es wichtiger ist, dass man voneinander lernt und auf diesem Wege die Jungen mehr einbezieht.

LinX: Ein Grund, das Sozialforum in Cottbus abzuhalten, war die Nähe zu Polen und der Tschechischen Republik. Was hat die Beteiligung aus diesen Ländern gebracht?

M.S.: In verschiedenen Veranstaltungen hat sich gezeigt, dass sich die Probleme immer mehr ähneln, und dass soziale Standards ein wichtiger Bestandteil des europäischen Einigungsprozesses sein müssen. Es wird ja, wenn es um die EU geht, immer die Wirtschaft in den Vordergrund gestellt. Ich meine hingegen, dass die soziale und ökologische Entwicklung immer mitgedacht werden muss. Am Sonntag hatten wir zum Beispiel noch eine Veranstaltung zum Thema Mindestlohn, zu der auch Kollegen aus Polen, Tschechien und Österreich gekommen waren. Solche gemeinsamen Diskussionen sind gut, um ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln. Unter anderem konnten wir sehen, dass es anderswo sehr wohl Mindestlöhne gibt und man sich fragen muss, weshalb es hier nicht gehen soll. Ich denke, dass es wichtig ist, dass sich die sozialen Bedingungen in Europa annähern, damit wir nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden können.