2008 ist ein Jahr mit vielen „runden“ Gedenktagen. Wichtige geschichtliche Ereignisse genießen zu solchen Anlässen erhöhte mediale Aufmerksamkeit; der 90. Jahrestag der Novemberrevolution wird dazu gehören, der 75. Jahrestag der Bücherverbrennung und der 70. der Reichspogromnacht sollten es auch, der 30. Januar nicht zu vergessen. Aber der 70. Todestag Ernst Barlachs?
An einer Großplastik des am 2. Januar 1870 in Wedel
geborenen Künstlers gehen viele KielerInnen häufig vorbei. Es
ist der „Geist- kämpfer“ vor der Nikolai-Kirche; dort versehen
mit einer wenig aussagekräftigen Hinweistafel, der wiederum viele
der PassantInnen gar keine Aufmerksamkeit schenken. Wer sie denn
liest, der oder dem wird Barlach als „expressionistischer Künstler“
vorgestellt, der hier den Sieg des „Guten“ über das „Böse“ dargestellt
habe. Aha. Na gut, mag man sagen: passt ja zum Standort und zum kirchlichen
Anspruch, wenn auch die Kirche oft genug eher auf Seiten sehr konkret benennbarer
„böser“, menschen-
feindlicher und menschenmordender Kräfte gestanden
hat, nicht zuletzt zu Lebzeiten Ernst Barlachs. Also kein Grund, sich weiter
damit zu beschäftigen. Kein Grund, sich ausgerechnet in linken Medien
und gewerkschaftlichen Publikationen einem Datum zuzuwenden, das auch sonst
nicht allzuviel Beachtung finden dürfte. Manche sehen das anders.
Geistkämpfer von Ernst Barlach an der St.-Nikolaikirche in Kiel. Der Geistkämpfer ist 1927 entstanden und hat bis 1936 an der Heilig-Geist-Kirche (ehem. Universitätskirche) gestanden. 1954 wurde die Plastik am Turm der St.-Nikolaikirche wieder aufgestellt, weil die Heilig-Geist-Kirche im Krieg bis auf den Kreuzgang völlig zerstört wurde.
Die Gewerkschaft ver.di wird vom 30. Mai bis zum 1. Juni in der Berliner Begegnungsstätte „Clara Sahlberg“ eine Tagung zum 70. Todestag des Künstlers (er starb am 24. Oktober 1938) durchführen, dessen sozialer Humanismus den deutschen Reaktionären und Faschisten von Beginn an ein Dorn im Auge war und der ihnen als herausragender Repräsentant einer „entarteten Kunst“ galt. Das Jahr vor seinem Tode, 1937, war in seinem Leben „das schlimme Jahr“; seine Großplastiken, darunter der „Schwebende Engel“ in Güstrow und eben der Kieler „Geistkämpfer“, wurden von den Nazis entfernt und zur Zerstörung bestimmt, vor der die Kieler Plastik allerdings bewahrt werden konnte. Womöglich ist auch an ihr mehr dran, als sich auf den ersten Blick erschließt?
Das soll an dieser Stelle nicht weiter beleuchtet werden. Hier sollte vor allem Interesse geweckt werden, und dazu mag auch der Hinweis dienen, dass ein von Barlach so grundverschiedener Mensch wie Bertolt Brecht für den Künstler eintrat, als dessen Werk in der DDR in den heftigen Auseinandersetzungen über Fragen der Kunst Anfang der 50er Jahre bei einflussreichen Persönlichkeiten auf Ablehnung stieß.
„Ich halte Barlach für einen der größten Bildhauer, den wir Deutschen gehabt haben. Der Wurf, die Bedeutung der Aussage, das handwerkliche Ingenium, Schönheit ohne Beschönigung, Größe ohne Gerecktheit, Harmonie ohne Glätte, Lebenskraft ohne Brutalität machen Barlachs Plastiken zu Meisterwerken.“ In seinen Notizen zur Barlach-Ausstellung 1952 setzt Brecht hinzu: „Gleichwohl gefällt mir nicht alles, was er geschaffen hat, und wenn von ihm viel zu lernen ist, so ist doch auch die Frage erlaubt: Was? Wann? Durch wen?“
Diesen Fragen werden wir auf der ver.di-Tagung nachgehen. Nicht nur bezogen auf Barlachs bildhauerisches Schaffen, sondern auch auf sein literarisches Werk, das heute sicherlich noch weniger bekannt ist. Wer also Interesse hat, kann sich den Termin schon mal vormerken. Wer darüber hinaus oder auch anstelle dessen mit überlegen möchte, ob sich in Kiel zu diesem Thema etwas veranstalten ließe, kann sich gern mit mir in Verbindung setzen.
Wir werden in der „LinX“ darauf zurückkommen.