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Streiks wahrscheinlich – und das ist auch gut so!

Die Löhne müssen steigen. Die Gewerkschaften stellen vergleichsweise hohe Forderungen - zu Recht. Acht Prozent mehr Lohn fordert ver.di für den öffentlichen Dienst. Acht Prozent heißt auch die Zielmarge der IG Metall in der Eisen- und Stahlindustrie, bis zu sieben Prozent will die IG Chemie im kommenden Jahr draufsatteln: Deutschlands Gewerkschaften trommeln für kräftigere  Einkommenszuwächse. Die Tarifrunde 2008 verspricht hart zu werden, Streiks sind wahrscheinlich.

Und das ist auch gut so. Vom jüngsten Aufschwung, den sie mit Lohnverzicht und Mehrarbeit erst bezahlten, haben arbeitende Menschen bisher nicht viel gehabt. Seit dem Amtsantritt der Großen Koalition sind die ArbeitnehmerInnen-Einkommen real um 0,4 Prozent gesunken. Gegenüber 1991 ergibt sich nach Abzug der Preissteigerungen sogar ein Einkommensverlust von vier Prozent. Die Lohnquote – der Anteil der Löhne am Volkseinkommen – ist auf einen historischen Tiefstand gesunken. Übersetzt heißt das: Deutschlands ArbeitnehmerInnen haben zwar für Wohlstand gesorgt – aber nicht für ihren eigenen, sondern für den von anderen.

Kein Wunder also, dass heute nur eine kleine Minderheit noch glaubt, dass es in der Republik gerecht zugeht. ‚Gerechtigkeit’ ist ein Begriff, der in Deutschland aus der Mode war. Jetzt kehrt er mit Wucht zurück in die Debatte: Wie kommt es, dass Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben können? Wieso zählt ein reiches Land 2,5 Millionen arme Kinder? Warum explodieren oben die Einkommen, während sie unten und in der Mitte stagnieren oder sinken?

Solche Fragen unterfüttern die Forderungen der Gewerkschaften. Sie erklären die Geduld, mit der BahnkundInnen im Herbst dem Streik der Lokführer begegneten. Gut möglich, dass sich dieselbe Langmut einstellt, wenn im Frühjahr der Müll liegen bleibt. In Deutschland herrscht stille Wut, und die Arbeitgeber sollten sie ernst nehmen. Wenn einer ihrer Sprecher dann mal wieder auf streikende ArbeiterInnen zeigt und meint, sie machten die Konjunktur kaputt, sollte er sich an einen Satz des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann erinnern: Wer mit dem Finger auf andere weist, meinte der, deutet mit drei Fingern auf sich selbst zurück.

(csk)