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Kritik der Gutachten zum Kohlekraftwerk:

Energieplan gesucht

Wie in der letzten Nummer berichtet, haben die Stadtwerke ihre Entscheidung über das neue Kohlekraft-
werk in Dietrichsdorf für drei Jahre vertagt. Die vielen Kielerinnen und Kieler, die sich in den letzten Monaten gegen dieses Mammutprojekt engagiert haben – mit 800 Megawatt (MW) soll es mehr als doppelt so große alte Gemeinschaftskraftwerk an gleicher Stelle werden – haben allen Grund zur Freude über diesen Teilerfolg. Einiges spricht dafür, dass die Zeit für die Kohlegegner arbeiten wird. Zumindest, wenn sie jetzt nicht nachlassen.

Denn allzu dürftig sind die Argumente der Kraftwerksbauer. Das zeigt auch ein Blick in das Gutachten, das im Auftrag der Stadtwerke geschrieben wurde. Mit keinem Wort ist dort zum Beispiel von den Schwer-
metallen wie Quecksilber, Blei und Cadmium die Rede, die das Kohlekraftwerk in großer Menge emittieren würde. Auch Arsen und Feinstaub kommen in dem Gutachten nicht vor, obwohl es vorgibt, eine Umwelt-
bilanz für verschiedene Kraftwerksvarianten aufzustellen. Das erstaunt um so mehr, als zu den Autoren auch das Berliner Büro des Öko-Instituts gehörte.

Wenig Öko

Entsprechend kritisiert denn auch die Bürgerinitiative „Umweltfreundliche Energieversorgung für die Region Kiel“ in einem Brief an das Institut deren Arbeit: „Abgesehen von ein paar unserer Meinung nach potenziell positiven Ansätze sehen wir das Gutachten massiv von Überlegungen hinsichtlich Dividende, Preise, Rendite usw. dominiert. Ökologische Aspekte können wir leider so gut wie gar nicht sehen.“ In der Tat nehmen wirtschaftliche Überlegungen den größten Raum des Gutachtens ein. Besonders interessant ist, dass eine Rendite von zwei bis vier Prozent als „nicht ausreichend“ bezeichnet wird. Eine Fernwärmeversorgung auf Erdgasbasis – mit deutlichem Abstand die Variante, die am wenigsten Treibhausgase bedeuten würde – sei „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Für die von den Gutachtern letztlich – mit der Einschränkung einer drei bis fünfjährigen Bedenkzeit – empfohlenen Kohlekraftwerke von 360 bzw. 800 MW Leistung wird eine Kapitalrendite von 6,7 Prozent bzw. 9,2 Prozent erwartet. Das hält man offensichtlich für angemessen.
Dabei wird allerdings nur eine relativ mäßige Steigerung des Kohlepreises in den nächsten Jahrzehnten angesetzt. Wie realistisch das ist, bleibt fraglich. Immerhin gibt es auf dem Weltmarkt inzwischen Anzeichen, dass auch der Kohlepreis kräftig anziehen könnte. China, der weltweit größte Verbraucher, der zugleich in seinen Bergwerken einer der größten Produzenten ist, wurde 2007 zum ersten Mal zum Nettokohleimporteur. Auch über die Kosten der irrwitzigen Technologie zur CO2-Abscheidung und -Einlagerung, auf die die Stadtwerke nun nach eigenen Aussagen warten wollen, machen sich die Gutachter keine Gedanken.

Wenig Fantasie

Die Bürgerinitiative hat angekündigt, weiter arbeiten und unter anderem eine öffentliche Debatte über das Gutachten organisieren zu wollen. Das ist gut und sehr wichtig, aber man sollte dabei nicht in die Falle tappen und sich zu sehr an ihm abzuarbeiten. Die Gutachter haben nämlich auffallend wenig Fantasie gezeigt. Offenbar waren sie –  sicherlich auch durch die Vorgaben des Auftraggebers – zu sehr auf eine „Großlösung“ fixiert. Die Antwort für Kiels Klimazukunft wird hingegen eher kleinteilig sein, wenn sie denn wirklich  umwelt- verträglich ausfallen soll. Dazu gehört unter anderem die Förderung von Solarkollektoren für Heizung und Warmwasser. Hinzu können dezentrale Heizkraftwerke kommen, die Wärme und Strom gleichzeitig produzieren. Idealer Weise würden die mit Biogas aus der  Ver- gärung von landwirtschaftlichen Abfällen gewonnen werden, obwohl das entsprechende Potenzial im Kieler Umland beim derzeitigen Stand der Technik vermutlich nur für einen Teil des Bedarfs ausreicht.

Deshalb wäre es Zeit, dass auch neue Wege beschritten wären. Vermutlich ließe sich in Kiel gut die Erdwärme aus einigen hundert Metern Tiefe nutzen, um ins Fernwärmenetz eingespeist zu werden. Eine andere Möglichkeit könnte – aber hier gibt es auf jeden Fall noch Entwicklungs- und Forschungsbedarf – die Druckluftspeicherung sein. Um diese zu erklären, muss ein wenig ausgeholt werden: Mit zunehmendem Anteil des Windes an der Stromproduktion gibt es ein Problem. Im vergangenen Jahr fiel in Schleswig-Holstein zum Beispiel so viel Windstrom an, dass theoretisch 40 Prozent des Verbrauchs damit hätte abgedeckt werden können. Nun richtet sich aber das Wetter nicht nach dem Strombedarf. Mal ist mehr Windstrom da, als gerade verbraucht werden kann, oder es herrscht in weiten Teilen des Landes Flaute, wenn der Bedarf hoch ist. Bisher funktioniert das nur, weil der Windstrom ggf. in südlichere Bundesländer exportiert werden kann und weil im Notfall andere Kraftwerke einspringen.

Genau das ist übrigens auch der Grund, weshalb die Kohlelobby und ihr Sprachrohr in der Landesregierung, Wirtschaftsminister  Auster- mann, ihre Großkraftwerke für unverzichtbar im Falle des Ausbaus der Windenergie hinstellen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang in dem oben beschriebenen Gutachten Interessantes zu lesen: „Für drei Fälle mit geringeren Verfügbarkeiten wurde die  Wirtschaftlich- keitsberechnung durchgeführt. Bei einer Auslastung von 6000 (Stunden im Jahr) wird nur noch ein geringer Kapitalwert erwirtschaftet, ein noch stärkeres Absinken würde zu negativen Renditen führen. Dies zeigt, dass Großkraftwerke die in das Verbundnetz einspeisen, sichere Randbedingungen für einen kontinuierlichen Betrieb benötigen um wirtschaftlich zu sein.“ Das Jahr hat 8.760 Stunden im Jahr. Oder mit anderen Worten: Die Kohlekraftwerke müssen möglichst rund um die Uhr laufen, um den erhofften Profit abzuwerfen. Davon, dass sie nur als Lückenbüßer für die Windenergie gebaut werden, kann überhaupt nicht die Rede sein.

Wenig Speicher

Die Antwort auf das Problem der Verteilung des Windstrom muss also woanders liegen. Diskutiert werden verschiedene Varianten, die vermutlich in Kombination zur Anwendung kommen müssten. Dazu gehört die großflächige Vernetzung der Anlagen, da es im Umfeld von einigen hundert Kilometer immer irgendwo weht. Ein anderer Baustein sind verschiedene Speicheroptionen. Eine davon würde sich vermutlich im Kieler Umland anbieten: In Norddeutschland gibt es überall unterirdische Salzstöcke. Schon heute ist es gängige Praxis, in diesen mittels Wasser Kavernen auszuspülen, um darin Erdgas zu speichern. Im Prinzip kann man auch mit überschüssigen Strom Druckluft in solche Hohlräume pressen. Bei Bedarf wird diese dann abgelassen, treibt eine Turbine an, mit der dann wieder Strom erzeugt wird. In der Nähe von Bremen gibt es bereits ein derartiges Kraftwerk.

Der Haken an der Geschichte: Es geht etwa die Hälfte der Energie verloren, denn bei der Kompression erhitzt sich die Luft stark und muss gekühlt werden. Das System macht letztendlich nur Sinn, wenn die Wärme gespeichert und genutzt werden kann. Eine Verbindung mit einem Fernwärmenetz wäre eventuell sinnvoll.Derlei Optionen müssten dringend in Kiel öffentlich diskutiert und vielleicht in einen langfristigen Energieplan für die Region zusammengeführt werden, wie von einigen bereits vorgeschlagen. Solche Fragen allein unter dem Gesichtspunkt der Renditeerwartung der MVV an die Stadtwerke zu diskutieren ist jedenfalls geradezu steinzeitlich. Der laufende Kommunalwahlkampf sollte unbedingt genutzt werden, um den Lokalpolitikern entsprechend auf die Füße zu treten. Dabei darf ruhig ab und zu erwähnt werden, dass eine klimafreundlich und zukunftsfähige Energieversorgung auch hochqualifizierte Arbeitsplätze schafft (viel mehr, als ein Kohlekraftwerk) und die technologische Entwicklung der Region fördern würde.
 

(wop)