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„Uni-Formierung des Geistes“, Buchbesprechung:

Aufklärungsbedarf

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Kieler Universität mit einer kritischen Aufarbeitung ihrer jüngsten Geschichte schwer tut und insgesamt wenig Interesse an der Frage besteht, welchen Beitrag die Alma Mater zur Entstehung und Festigung des Nationalsozialismus geleistet hat. Zwölf Jahre nach dem Erscheinen des ersten und längst vergriffenen Bandes ”Uni-Formierung des Geistes. Kieler  Universität im Nationalsozialismus” haben nun Prof. Hans-Werner Prahl, Hans-Christian Petersen und Sönke Zankel Teil 2 veröffentlicht und die spärliche Literatur zur Christiania Albertina in den Jahren 1933 bis 1945 um einige Facetten erweitert. Der Band umfasst 7 Aufsätze, die sich sehr unterschiedlichen Fragestellungen widmen. Jendris Alwast beschäftigt sich mit der akademischen Philosophie, der er einen Beitrag zur “Normalisierung von Inhumanität” zuweist. Ebenso wie sei zweiter Beitrag mit dem Titel “Geschichte und Wert. Epistemologische Reflexionsbemerkungen zu Karl Dietrich Erdmanns Historik” leidet der Aufsatz darunter, dass er für Laien nur schwer verdauliche Kost bietet und zum Teil kaum verständlich ist. Weitaus konkreter ist der Beitrag von Jessen-Klingenberg, der einen informativen Überblick über die Schleswig-Holsteinische Universitätsgesellschaft während der NS-Zeit gibt.

Den weitesten Zuschnitt haben die Beiträge von Petersen/Zankel und Buss, die sich mit dem Kinderarzt Werner Catel und Gutachter der so genannten “Kinder-Euthanasie” bzw. dem Theologen und Landtagsabgeordneten Martin Redeker auseinandersetzen. Hier ist von besonderem Interesse, dass sich in beiden biographischen Studien die Autoren nicht auf die NS-Zeit beschränken, sondern an konkreten Beispielen exemplarisch die universitäre Aufarbeitung der braunen “Vergangenheit” aufgezeigt wird: Das Ausmaß, in dem sich universitäre Gremien bis Mitte/Ende der 1960er Teil der Nicht-Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen erbrechen und deren “aktivem” Totschweigen waren, ist zwar nicht überraschend, im Einzelfall dennoch erschreckend. An der Auseinandersetzung um die Untertitelung eines Bildes von Catel, das seit 1981 in der Kieler Kinderklinik hängt, wird dabei deutlich, dass es nicht allein um “Vergangenheitsbewältigung” handelt. Ein vorläufiges Ende fand die absurde Debatte erst 2006. Eine Äußerung des Catel-Nachfolgers, Prof. Ulrich Stephani, aus dem Jahr 2005, zeigt eindringlich, wie dringend die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus anhaltend ist. Seinem Vorgänger hatte er bescheinigt, dass dieser ein exzellenter Kinderarzt und ein kluger Kopf gewesen sei, “wenn man von den Euthanasie-Dingen einmal absieht.”

Abgerundet wird der Band durch einen Überblicksaufsatz von Hans-Werner Prahl über die universitäre Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im NS-Staat. Für die Zeit ab 1975 sieht der Autor eine bis heute anhaltende Phase der nicht immer gewollten, aber meist gelungenen Erforschung der institutionellen und inhaltlichen Vergangenheit an den Hochschulen. Leider hat Prahl darauf verzichtet, den theoretischen Ansatz anhand des Kieler Beispiels zu überprüfen und bleibt insgesamt weit hinter seinen eigenen, in Band 1 der Uni-Formierung des Geistes formulierten skeptischen Einschätzung zurück. Vergegenwärtigt man sich die heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Historischen Seminar und dem Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. um die mangelhafte Aufarbeitung der NS-Zeit in Schleswig-Holstein in den 1980er Jahren, die schließlich zur Gründung des Institutes für Regional- und Zeitgeschichte in Schleswig geführt haben, und dass der Historiker Karl-Heinrich Pohl jüngst die Bildung der Regierung Engholm (1988) als die eigentliche geschichtspolitische Zäsur in Schleswig-Holstein nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bezeichnet hat, muss dem erstaunlich milden Fazit Prahls widersprochen werden. Bezüglich der Kieler ”Grenzland”-Universität bestehen noch erhebliche Forschungslücken, was die Herausgeber im Vorwort in vorsichtigen Worten auch selbst eingestehen.

Insgesamt merkt man dem Band an, dass er nicht das Produkt eines größer angelegten Diskussionsprozesses ist, sondern Einzelpersonen – die Mehrzahl der Autoren sind nicht an der Kieler Universität tätig – unabhängig voneinander ein Thema bearbeitet haben. Dies gibt dem Band den Charakter eines Sammelsuriums, zumal die Herausgeber in ihrem Vorwort auf den spannenden Versuch einer  über- greifenden Einordnung in aktuelle gesellschaftspolitische Debatten leider verzichtet haben. Kaum Erwähnung finden die  Diskursver- schiebung bezüglich der deutschen Geschichtspolitik, die intensiven Debatten deutscher Historiker über herausragende Persönlichkeiten der eigenen Zunft, aber auch die Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. der Abbau demokratischer Rechte, Ökonomisierung der Gesellschaft (auch des Lebensraumes Universität)). Hier zeigt sich, dass der Band aus einer Defensivhaltung heraus verfasst wurde, der laute und offensive Töne weitgehend vermeidet.

Negativ sind zudem zu viele kleine und größere Fehler zu vermerken, die den Gesamteindruck doch deutlich eintrüben. So wurden sämtliche Gedankenstriche durch einen Programmfehler in Fragezeichen umgewandelt, was den Lesefluss empfindlich stört. Trotzdem ist der Band zu empfehlen, da er im Einzelnen durchaus mit neuen und spannenden Erkenntnissen aufwartet. Der günstige Preis, der mit Hilfe von Druckkostenzuschüssen des Rektorats und des AStAs auf 9,80 Euro gesenkt werden konnte, sollte von einem Kauf ebenfalls nicht abschrecken. Am Institut für Pädagogik, Olshausenstr. 75, 24118 Kiel (prahl@paedagogik.uni-kiel.de) kann der Band auch direkt bestellt werden.

(hst)