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Zum ‚Skandal’ in der Hamburger Bürgerschaft:

Du sollst nicht vergleichen!

Diese Situation werden einige LeserInnen kennen – man ist leicht genervt von einer unproduktiven Diskussion mit eher schlichten Mitmenschen und macht einen leicht überspitzten Vergleich, den man wegen der panischen Reaktionen derer, die ihn nicht verstanden haben, auch sofort bereut. So oder so ähnlich muss es der Hamburger LINKEN-Abgeordneten Christiane Schneider ergangen sein, als sie in einer von der GAL anberaumten aktuellen Stunde bei den merkbefreiten Abgeordneten der anderen Fraktionen pawlowsche Reflexe und hysterisches Gegacker auslöste. Nach einer Erklärung der bedingungslosen Solidarität mit den Tibetern durch die GAL kam die Abgeordnete Schneider an die Reihe und versuchte das Thema ein wenig differenzierter zu betrachten:

„(…)Die VR China hat sich aus der Erniedrigung kolonialer Abhängigkeit durch das imperialistische Ausland durch einen langen Krieg befreit.“

Das ist zwar unglücklich formuliert, da nicht die VR China, sondern die Republik China durch Kolonialmächte unterdrückt wurde und Begriffe wie „imperialistisches Ausland“ einfach nicht mehr zeitgemäß sind, aber nicht wirklich falsch.

„(…) Zweifellos ist die Modernisierung an dem Punkt angekommen, an dem Menschenrechte für jedermann, soziale und politische Menschenrechte, und an dem politische Rechte für die Opposition nicht nur zur Debatte stehen, sondern unabweisbar aktuell und einzulösen sind.“

Das ist natürlich alles richtig, der politischen Konkurrenz passt allerdings die Metabotschaft nicht, die impliziert, es gäbe auch eine prämoderne Zeit, in der Menschenrechte nicht gelten würden. Dies ist ein strittiger Punkt ist – Menschenrechte sind zwar universell gültig, aber deren Einhaltung ist leider nicht immer einklagbar oder durchzusetzen. Hätte Frau Schneider den “Wandel durch Handel” angesprochen, der genau das impliziert, was sie meinte, hätte die Konkurrenz schwerlich etwas dagegen haben können, da die Demokratisierungsdoktrin durch den Freihandel von allen Parteien vertreten wird.

„(…) Was in Tibet (…) genau geschehen ist, wodurch die Ereignisse ausgelöst wurden, welcher Dynamik sie unterlagen, das ist bisher nicht genau bekannt.“

Diese Aussage ist absolut richtig, verstößt aber gegen die Interpretationshoheit der Politik, die sich bereits darauf eingeschossen hat, dass in Tibet friedliche Demonstranten von einer wildern Soldateska nieder geprügelt wurden. Hier liegt eine klare politische Autosuggestion vor, gegen die man nicht argumentieren sollte. Die meisten Abgeordneten der DDR-Volkskammer haben sich sicher auch von den eigenen Leitbildern des Sozialismus per Autosuggestion überzeugt, bis sie es wirklich glaubten – dies war übrigens ein verbotener DDR-Vergleich.

„(…) Die Weltgesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten keine guten Erfahrungen mit Religionsführern gemacht, die sich als Repräsentanten gesellschaftlicher Opposition in die Politik gedrängt haben. Ich erinnere zum Beispiel an Khomeini. (…)“

Kein Zweifel – das ist so. Was haben der Papst, der Patriarch von Moskau, der Dalai Lama und der verstorbene Ayatollah Chomeini gemeinsam? Sie sind bzw. waren religiöse Führer, obgleich Chomeini anders als die drei Erstgenannten, nie theologisches Oberhaupt seiner Glaubensrichtung war. Aber da weder Papst noch Patriarch eine weltlich Rolle als Oppositionsführer einer unterdrückten Bevölkerung mir einer ebenfalls unterdrückten Glaubensrichtung spielen, passt der Vergleich Chomeini und Dalai Lama schon recht gut. Es geht ja nicht um den Inhalt der religiösen Lehren oder die Personen, sondern um die Rolle einer Opposition im Exil und ihre Legitimation.

Chomeini war in Persien ein Ayatollah unter vielen, erst das französische Exil machte ihn zum Sprachrohr der Opposition. Nach der Revolution gegen den Schah passierte es, dass ausgerechnet ein Führer mit theologischer Legitimation an die Macht kam und kein demokratisch gewählter oder anderweitig legitimierter Oppositioneller. Die Folgen kennen wir und die Lehre daraus muss sein, dass man keine Exilanten bedingungslos unterstützen sollte, deren Legitimation rein klerikaler Natur ist. Als „aufgeklärter“ mitteleuropäischer Staat sollte man sich dies sowieso verbitten. Man kann nicht auf der einen Seite ‚Demokratie’ predigen und auf der anderen Seite seine bedingungslose Solidarität mit einem demokratisch nicht legitimierten Religionsführer erklären, wie es die GAL forderte.

„(…) Ein Staat, der auf religiöser Offenbarung aufgebaut ist, versperrt sich demokratischen Verfahren der Willensbildung. (…) Die Voraussetzungslosigkeit, mit der die GAL Solidarität mit Tibet fordert, teile ich aus den genannten Gründen nicht. In wirklich jeder Beziehung gilt, dass die Menschenrechte unteilbar sind.“

Weshalb also die ganze Aufregung? Die Rede Schneiders ist an keinem Punkt anstößig oder gar sittenwidrig – sofern man an die Zuhörerschaft ein Mindestmaß an Intelligenz anlegt. Schlichte Gemüter können die Rede schon falsch verstehen. Schneiders Fehler war es wohl, dass sie vergaß, dass dumme Menschen sich zwar nie nie schlau, schlaue Menschen sich aber sehr wohl dumm stellen können. So brach in der Hamburger Bürgerschaft auch prompt ein Aufstand der Dummen und Scheindummen aus, die sich über den Vergleich des Dalai Lamas mit Chomeini echauffierten.

Nun gut – dies ist dümmliches Geplänkel innerhalb der Politik, nichts neues also. Erstaunlicher ist es, dass dieser Scheinskandal nicht nur vom Boulevard gierig aufgenommen wird, sondern auch SPON, SZ und der WELT die Topschlagzeile in der Kategorie ‚Politik’ wert ist. Wobei der Artikel in der Hamburger Morgenpost schon wieder derart klumsig ist, dass man eher an eine Satire glaubt:

„Erster Eklat durch die Linke! Christiane Schneider setzte den Dalai Lama indirekt mit Irans Obermullah Ayatollah Chomeini gleich“.

Man kann etwas indirekt vergleichen, aber nicht gleichsetzen und das Wort ‚Obermullah’ entspringt einzig und allein der Phantasie der MOPO-Redaktion. Würde man es schlicht weglassen, wäre die Bezeichnung sogar richtig, aber wahrscheinlich braucht man ein wenig mehr Pepp – und ‚Obermullah’ ist verdammt peppig.

Aufs Schärfste verurteilten SPD, GAL und CDU China und forderten ‚uneingeschränkte Solidarität’ mit Tibet. Soso, zu was verurteilten SPD, GAL und CDU China denn? Gerade SPD und GAL sollten auch sehr vorsichtig sein, wenn es um die Erklärung ‚uneingeschränkter Solidarität’ geht – dies war übrigens ein verbotener Irak-Vergleich.

Schneider mahnte dagegen, die religiösen Führer Tibets und der Dalai Lama “müssen sich die Frage stellen lassen, welchen Kurs sie bei der Modernisierung steuern”. … na das ist doch eindeutig gescheiter als ‚uneingeschränkte Solidarität’ – hoffentlich kriegt die MOPO noch schnell den Links-Bashing Drall …

Denn: „Die Weltgesellschaft hat keine guten Erfahrungen mit religiösen Führern gemacht, wie zum Beispiel Chomeini.” Das „verschlägt mir die Sprache”, schimpfte GALier Christian Maass: „Sie machen Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern!“

Will Maass jetzt Chomeini zum Opfer machen oder den Dalai Lama? Hätte die MOPO korrekt zitiert und der GALier mal zugehört und nicht von schwarz-grün geträumt, hätten beide wissen müssen, dass es hier um die Oppositionszeit des Ayatollah Chomeinis ging und da war auch er – man soll es kaum glauben – mehr Opfer als Täter. Natürlich ist das zu kompliziert, um von der MOPO oder einem GALier verstanden zu werden. Daher kann für die LINKE nur noch das elfte Gebot gelten: Du darfst nicht vergleichen!
 

De Kloogschieter