Zurück zum Klassenwahlrecht
Wenn CSU-Chef Erwin Huber tönt, es dürfe nicht sein, dass das höchste Amt im Staate mit den Stimmen von Verfassungsfeinden gewählt würde, so spielt er dabei nicht auf die CDU an. Was erstaunlich ist, sitzt in deren Bundesvorstand, doch ein Politiker, der das allgemeine Wahlrecht gegen ein Klassenwahlrecht ersetzen will – verfassungsfeindlicher könnte ein Vorschlag kaum sein. Dem Vorsitzenden des CDU nahen reaktionären Studentenverbandes RCDS Gottfried Ludewig, der auch Mitglied des CDU-Bundesvor- standes ist, bereitet ein „Problem“ besondere Kopfschmerzen – wie kann man das deutsche Politiksystem so abändern, dass die „Leistungsträger“ davon noch mehr profitieren? Als Lösung dieses Problems, ersann er eine Wiedereinführung des Klassenwahlrechts, in dem die Wahlstimme der Klasse der „wertvollen Bevölkerungsmitglieder“ - also diejenigen, die arbeiten - doppelt so viel zählt, wie die Stimme der „nicht wertvollen Bevölkerungsmitglieder“, zu denen Ludewig Rentner und Arbeitslose zählt.
Das allgemeine Wahlrecht scheint ihm ungeeignet zu sein, wird es doch von Jahr zu Jahr schwerer, die „minderwertigen Elemente“ der Gesellschaft davon zu überzeugen, die Parteien zu wählen, die eine Politik betreiben, die sich einzig und alleine an den „Leistungs- trägern“ orientiert. Wie merkte Edmund, König aller bajuwarischen Stämme, doch in einem anderen Zusammenhang an? Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Schlachter selber – und da trotz Bildungsmisere und Medienversagen die meisten Deutschen nicht so dumm sind, schwebt es Ludewig vor, dann halt das Wahlrecht zu ändern, da Arbeitslose und Rentner schließlich auch kaum etwas zum sozialen Ausgleich beitragen.
Und wer nichts leistet, zählt auch nichts. Dass Rentner
zu wenig zum sozialen Ausgleich beitragen, könnte man freilich ändern,
wenn die Finanzierung des Sozialsystems reformieren würde, so dass
diese nicht nur an den Faktor sozialpflichtige Arbeit gebunden ist. Aber
dies geht ja nicht, denn dann wären Ludewigs „minderwertige Rentner“
ja plötzlich Stützen der Gesellschaft. Rein statistisch gesehen,
hat die Rentner-
generation nämlich eine wesentlich höhere Kaufkraft
als Ludewigs „Leistungsträger“ zwischen 20 und 30 und stärkt
den Staat über indirekte Steuern wesentlich – auch zahlt sie selbstverständlich
in die Sozial-
systeme ein, aber nassforsche JU-Bürschlein müssen
sich um solch verwirrende Details natürlich nicht kümmern.
Viel schlimmer als der dümmliche Sprechdurchfall
des christlichen Studiosus ist indes das Menschen- und Geistesbild, das
hinter solchen Äußerungen steht und die Art und Weise, wie dies
durch Medien wiederge-
geben wird. Der 25jährige Ludewig mag trotz seines
Postens im Bundesvorstand der CDU nur ein dummer Bengel sein, der eigentlich
etwas hinter die Ohren verdient hätte und den man nicht ernst nehmen
sollte. Nur steht er stellvertretend für eine heranwachsende neue
Elite, die in einem antiegalitären Bewusstsein erzogen wurde und es
völlig normal findet, dass es „wertvolle“ und „nicht wertvolle“ Menschen
gibt. Wie weit ist es da zum “menschlichen Müll”? Ludewig sollte als
Bundesvorstand der größten Volkspartei auch dem Grundgesetz
und dessen Vorgeschichte verpflichtet sein.
Viele Menschen haben ihr Leben lassen müssen oder wurden ins Gefängnis gesperrt, um eine Verfassung zu erkämpfen, die ein Wahlrecht beinhaltet, das vorsieht, dass ein jeder, ohne Ansehen der Person, des Standes, der Herkunft, der Religion oder des Geschlechtes die gleiche Stimme hat. Ludewig und seine Geistesgenossen stehen nicht für Demokratie, nicht für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern für den reaktionären Widerpart.
Hörte man aus den Reihen der CDU eigentlich bereits
eine Stimme, die den Rücktritt ihres Bundesvor-
standsmitgliedes forderte? Eine Pressestimme, die dies
forderte? Jeder Kreistagsabgeordnete der LINKEN wäre bei einem verfassungsfeindlichen
Vorstoß dieser Qualität von den Medien auf dem medialen Scheiterhaufen
verbrannt worden – aber bei einem blasierten Jüngling aus dem Bundesvorstand
der CDU herrscht lautes Schweigen. Aber nicht nur das, die BILD-Zeitung
beschreibt diesen Vorstoß, die Verfassung zu brechen, wertneutral
bis anerkennend als „kühn“, n-tv erdreistet sich gar, ihn als “originell”
anzupreisen, geradeso als ginge es nur um einen etwas unkonventionellen,
aber durchaus gangbareren Alternativvor-
schlag.
ARD-Talk Enfant terrible Anne Will verschafft ihm durch eine Einladung unnötige Anerkennung und der SPIEGEL findet den Vorschlag zwar „absurd“, geht aber über die laue Kritik der zugrunde liegenden AFP-Agenturmeldung auch nicht hinaus. Kein Nachrichtenmedium erwähnt übrigens, dass Ludewig im Bundesvorstand der CDU sitzt – stattdessen wird er als Jungspund dargestellt, der auch schon mal über das Ziel hinausschießen darf, wenn es denn nur um die Sache geht. Und da die Presselandschaft dies nicht ausspricht, oder nicht aussprechen will, erschallt die Forderung halt nur aus der irrelevanten Gruppe der „nicht wertvollen Menschen“: „Herr Ludewig – treten Sie zurück und zwar sofort – einstweilen treten wir Ihnen und Ihresgleichen in den A.... “!