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Parteitag der Linkspartei in Cottbus:

Die Linke und die Medien

Irgendwann wird man sich daran erinnern, dass es einmal eine Zeit gab, in der Breaking News noch nicht so hießen und Meldungen erst zur Spitzennachricht wurden, wenn mehr passiert war als das von allen Erwartete. Heute kann es geschehen, dass Nachrichtensender ihr Programm für den Hinweis unterbrechen, jemand habe erklärt, dass er an einer zuvor bereits mehrfach geäußerten Ansicht festhält. Damit die so aufgewerteten Belanglosigkeiten nicht den Sendeplan durcheinander bringen, hat man den News-Balken erfunden, jenes rote Band, das zu jeder Zeit durchs Bild laufen kann und das auch oft tut.

Etwa am Parteitags-Wochenende. Hätte die Meldung von der Wiederwahl Lothar Biskys und Oskar Lafontaines als Vorsitzende der Linken nicht bis zum nächsten Nachrichtenblock warten können? Gewisse Zweifel existierten offenbar auch in der Redaktion von n-tv, weshalb man nach knapp zwei Minuten Laufzeit noch eine Interpretationshilfe hinzufügte: DÄMPFER FÜR LAFONTAINE. Womit die Kölner Neuigkeiten-GmbH nicht rechnen konnte, war der Erfolg dieser Sprachregelung. Kurz darauf tauchte der ‚Dämpfer’ auch in den Agenturen auf, wanderte von dort in die Online-Ausgaben der Zeitungen, wandelte sich zum ‚Denkzettel’ beziehungsweise zur ‚Abstrafung’ und fehlte tags darauf in kaum einem Zeitungsbericht über den Cottbusser Parteitag.

Der ‚Dämpfer’ vermag wenig über den Parteitag der Linken zu erzählen und dominierte trotzdem in den Medien. Oder besser: deswegen. Auf dem Gründungsparteitag vor einem Jahr hatte Lafontaine noch 87,9 Prozent erhalten, jetzt in Cottbus waren es 78,5 Prozent. Das ist ein klarer Rückgang und man findet Erklärungen dafür. Die Fusionseuphorie hat sich inzwischen gelegt und auch die Zusammensetzung der Delegierten war eine andere als noch im Juni 2007. Wer je auf einem Parteitag war, kann sich weitere Gründe ausmalen, die Wahlergebnisse beeinflussen können: Delegierten ist langweilig, sie gehen hinaus, um zu rauchen, und haben dann später Probleme mit den elektronischen Stimmgeräten, weil sie, als deren Funktionsweise erklärt wurde, beim Rauchen waren usw.

Im Übrigen: Lothar Bisky hat gerade einmal 15 Stimmen mehr als Lafontaine bekommen - von über 560 Delegierten. Wie konnte er der ‚Strafe’ entgehen? Von solchen Fragen weiß der ‚Denkzettel’ nichts. Er ist der Kommentar zu einer Nachricht, die die Medien zuvor selber produziert haben. Eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Kritik an Lafontaine gibt es natürlich. Es gibt auch Streit über den Kurs der Linken, der wie in anderen Parteien meist an Personen gekoppelt wird. Als vor ein paar Wochen die damalige Vizevorsitzende der Linkspartei Katina Schubert bekannt gab, nicht mehr für den Posten kandidieren zu wollen, verband sie dies mit Kritik am Führungsstil des Saarländers. Schubert zählt zum Realo-Flügel der Partei. Das Interview wurde anderen Blättern zum Anlass, ebenfalls über den Parteivorsitzenden und die Kritik an ihm zu berichten. Der Tenor war gesetzt, prominente Genossen sahen sich verpflichtet, auf die Erregungsbremse zu treten und erklärten, die Kritik sei doch das demokratisch Normale und ohne den Saarländer wäre die neue Linke nicht annähernd so erfolgreich. Der auf diese Weise überhöhte Lafontaine steht dann - nicht uneitel - in Cottbus auf der Bühne und sagt: „Im Vorfeld des Parteitages sind auch einige Tricks versucht worden. Einer dieser Tricks ist, um etwas Unmut unter den Delegierten zu schüren, einen Vorsitzenden zum Alleinherrscher, gar zum Stalinisten zu stilisieren."

Apropos Stalinisten: Kurios aber nicht zum Lachen ist es, dass jene, die gern die Wahlergebnisse Erich Honeckers als Beweis für den schlimmen Charakter der SED anführen (als ob es nicht bessere Belege geben würde), nun in Aufregung geraten, wenn einmal ein Parteivorsitzender nicht die 90-Prozent-Marke erreicht. Sind Journalisten heute nur noch folgsame Delegierte gewöhnt, Herdentiere, die en bloc zur Abstimmung schreiten? Vielleicht, bei der Konkurrenz gibt es sie noch, die SED-Ergebnisse: Die Ost-Frau Angela Merkel erhält in der Westmänner-Partei CDU stolze 93 Prozent. Und Kurt Beck wurde sogar mit 95,1 Prozent zum SPD-Chef gewählt.

Sicher: Auch Beck darf nicht auf mediale Milde hoffen, wenn er dereinst zur Wiederwahl antreten sollte und dann möglicherweise mit 78 Prozent „abgestraft" wird. In seinem wie im Fall Lafontaine wird man aber den Eindruck nicht los, dass sich da ein Berufsstand an Bildern von Politikern abarbeitet, die die Medien zuvor selbst geschaffen haben. Beck ist der unglückliche, etwas einfältige SPD-Chef - und siehe, seine Umfragewerte sinken immer weiter. Lafontaine ist der von seinen Parteifreunden ungeliebte Alleinherrscher - und siehe: Er bekommt einen ‚Dämpfer’. Dass das mit anderen Beschreibungen in Konflikt gerät, die dieselben Journalisten ebenso für allgemeinverbindlich erklärt haben, stört kaum. War nicht Lafontaine auch der Populist, dem alle so begeistert hinterher rennen?

Der Alleinherrscher Lafontaine und der populistische Oberlinke - beide entstammen dem Setzkasten der Medien. Für alle, die es nicht mehr wissen können: Ein Setzkasten enthielt, als noch per Hand und in Blei gesetzt wurde, immer nur Typen derselben Schriftart und Schriftgröße. In unserem Fall, um im Bild zu bleiben, derselben Aussage.

Bei n-tv liest sich das dann so: „Hinter den Kulissen knirscht es allerdings, zwischen Ost und West, zwischen Fundis und Realos, zwischen Lafontaine-Fans und -Gegnern, die dem selbstbewussten früheren SPD-Vorsitzenden seinen Führungsstil übel nehmen. Die bisherige Vizevorsitzende Katina Schubert trat aus Protest gegen Lafontaines Kurs nicht mehr für den Vizeposten an." Das ist der immergleiche Sound der Berichterstattung über die Linke: Realos versus Fundis, Ossis gegen Wessis, PDS kontra WASG.

Es gibt diese Frontverläufe, aber ganz so einfach ist es nicht. Zu den Fundis der Linken werden gern auch Leute gezählt, die nur graduell andere Auffassungen vom Mitregieren vertreten als die Realos. Auch die Ost-West-Geschichte ist viel komplizierter: Es gibt einen Apparat der alten PDS, in dem übrigens eine ganze Menge Leute aus dem Westen saßen, der befürwortete ein Sozialismusverständnis, welches dem einer Mehrheit der Ost-Basis nicht schmeckte. Der ‚alte PDS-Ossi’ war dann über die auf Opposition getrimmten Sprüche der neuen Mitstreiter aus der West-WASG ganz froh. Bei der Rente, um ein anderes Beispiel zu nennen, erhält Parteivize Katja Kipping (Ex-PDS) von fränkischen Delegierten Unterstützung für die Idee einer Grundrente, während sich andere Linksparteipolitiker aus dem Osten hinter die von West-Gewerk-
schaftern geprägte Parteilinie stellen, die die Grundrente ablehnt.

In etwa so verlaufen sie tatsächlich, die Linien in der neuen Linken. Wer will da schon so einfach sagen, ob jemand von wem abgestraft wird und warum? Die Funktionäre der Linken spielen das Spiel notgedrungen mit. Am Abend der Vorsitzendenwahl von Cottbus trat unter anderem die Parlamentarische Geschäfts-
führerin der Linksfraktion vor die Kamera. Dagmar Enkelmann gehört ein wenig zu den Realos, aber irgendwie auch nicht. Als Polit-Managerin im Bundestag genießt sie Ansehen und steht ein paar Zentimeter über der parteiinternen Strömungsvielfalt.

Während im Hintergrund gerade die Wahl über die Bühne geht, wird Enkelmann mehr gelenkt als gefragt, wie es denn um den ‚Spaltpilz’ bestellt sei, vor dem Bisky soeben gewarnt habe. Enkelmann musste reagieren und sagte: Eine "Spaltung kann ich nicht erkennen". Was bleibt hängen - das „nicht erkennen" oder die „Spaltung"? Genau! Das Bild einer Partei, auf die man besser nicht setzen sollte, fügt sich zusammen. Was Bisky tatsächlich gesagt hat? In seiner Rede hatte er davon gesprochen, wie eine verantwortungsvolle Linke seiner Meinung nach aussehen müsste. Es wäre eine Linke, so Bisky mit Blick auf historische Trennungserfahrungen, „die erfolgreich gegen den tödlichen Spaltpilz geimpft wurde.”

Auch von dem „Machtkampf zwischen ideologischen Strömungen”, vor dem Bisky in seiner Rede tatsächlich warnte, war in Cottbus eher nur Rande etwas zu spüren. Im Gegenteil: Man durfte den Eindruck gewinnen, die Flügel hätten ihren Streit zuvor in den abgesicherten Modus heruntergefahren. Ein paar spitze Bemerkungen von Sarah Wagenknecht zu Gregor Gysis außenpolitischen Vorstellungen. Ein paar der schon üblichen Seitenhiebe auf die hauptstädtischen Regierungslinke. Ein bisschen Streit über die Familienpolitik.

Womit wir bei den programmatischen Eck- und Knackpunkten wären, über die ausführlich zu diskutieren man kein Anhänger dieser Linkspartei seine muss. Aber, so steht es Tag für Tag in den Zeitungen, die Linke hat doch gar kein Programm. Auch das ist einer dieser Standards aus dem Setzkasten. Im Fach gleich daneben wartet sein kleinerer Bruder und ruft: „Die anderen Parteien schreiben ständig aus dem Programm der Linken ab.”

Ja, was denn nun, lachte sich in Cottbus ein unbeliebter Alleinherrscher Lafontaine ins Fäustchen. „Entweder die anderen übernehmen Programmpunkte von uns oder wir haben kein Programm. Aber beides zusammen geht nicht!” Der Beifall in der von Spaltung bedrohten Partei’ wollte gar nicht aufhören.

   (csk)