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Kieler Stadtparlament:

Ratsversammlung im Ausnahmezustand

Am 12. Juni trat zum ersten Mal der neu gewählte Kieler Stadtrat zusammen. Ihr gehört mit Hermann Gutsche ein Vertreter der faschistischen NPD an. Seine Partei hatte zur Feier dieses Ereignisses auf dem Rathausplatz eine Kundgebung angemeldet, auf der der bekannte Hamburger Nazi Thomas Wulff als Redner auftrat. Nur eine Handvoll Nazis begrüßte bei diesem Anlass ihren neuen Ratsvertreter. Eine andere Gruppe „autonomer Nationalisten“ um den mehrfach verurteilten Gewaltverbrecher Peter Borchert überfiel derweil einige hundert Meter entfernt vom Kundgebungsort eine Gruppe junger Antifaschisten, von denen einer so schwer verletzt wurde, dass er sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Mehrere Nazis wurden festgenommen. Der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus, die Autonome Antifa-
Koordination und andere hatten zu Protestaktionen aufgerufen, an denen sich etwa 150 Personen beteiligten. 750 Polizisten waren im Einsatz. Während der Ratssitzung gab vor allem von der Fraktion der Grünen sichtbaren Protest gegen die NPD.

Bürgerrechte eingeschränkt

Vom Runden Tisch wurde bereits im Vorfeld auf die unerhörten Begleitumstände hingewiesen, unter denen die konstituierende Sitzung des neuen Stadtparlaments vor sich gehen musste. „Wer am 12. Juni ins Rathaus will, steht in vielen Fällen vor verschlossenen Türen: Zahlreiche Ämter schließen am eigentlich 'langen' Donnerstag frühzeitig. Wer ins Einwohnermeldeamt will, muss umfangreiche Kontrollen über sich ergehen lassen. Die eigentlich öffentliche Ratssitzung darf nur besuchen, wer eine nicht übertragbare Platzkarte ergattert hat. Aus dem Bürgerhaus wird eine von Ordnungskräften und Polizei gesicherte Festung…“ So wurde in einem Flugblatt des Runden Tisches die zu erwartende Situation beschrieben. So kam es dann auch. Völlig berechtigt war deshalb auch die in dem genannten Flugblatt aufgeworfene Frage: „Einschränkung von Bürgerrechten zum Schutz der Nazis?“ Wer die in dieser Frage zum Ausdruck gebrachte Sorge nicht teilt, muss darlegen, welchen Sinn die Einschränkung von Bürgerrechten, die ja ohne Zweifel stattgefunden hat, sonst haben soll. Und er muss die Frage beantworten: Soll das jetzt so weitergehen? Bei jeder kommenden Ratsversammlung? Womit wird denn der Polizeieinsatz, womit werden die Einschränkungen unserer Rechte begründet? Ist es etwa nicht so, wie es im Flugblatt heißt: „Antifaschistisch engagierte EinwohnerInnen, die keinen Hehl daraus machen, dass sie einen Einfluss der Nazis auf die Politik in unserer Stadt nicht hinnehmen wollen, werden offensichtlich als Störenfriede angesehen“?

Das Problem liegt grundsätzlich darin, dass der NPD immer noch entgegen den Bestimmungen des Grundgesetzes der Status einer legalen Partei zugebilligt wird. All die Tricksereien, die unternommen werden, um angeblich die Bewegungsfreiheit der Nazis  einzu- schränken, ohne das Verbot vollziehen zu wollen, beschädigen in Wahrheit allgemeine demokratische Rechte. Das hatte sich in Kiel bereits vor dem 12.6. gezeigt. Völlig zu Recht hatte der Runde Tisch in seiner bereits in der letzten „LinX“ veröffentlichten  Presseer- klärung festgestellt: „Es ist ein Skandal, dass Bürgerinnen und Bürger Kiels am 25. Mai 2008 von der Stimmauszählung im Rathaus ausgeschlossen und mit Hausverbot belegt wurden. Als Begründung der Landeshauptstadt Kiel wird das offene Auftreten dieser Menschen gegen Faschismus und Rassismus genannt. Es ist unglaublich und nicht hinnehmbar, dass gegen eine Sprecherin des `Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus Kiel´ polizeilich ermittelt wird. Zum Anlass wird ein mündlich vorgetragener Protest gegen die Kandidatur der NPD während der Sitzung des Kreiswahlausschusses im April genommen.“ Richtig bleibt auch die Forderung: „Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die Kieler Bevölkerung, sondern sind auch die Ratsmitglieder und ihre Parteien aufgefordert für ein offenes antifaschistisches Klima in unserer Stadt einzutreten. Dazu gehört nicht nur jegliche Zusammenarbeit mit der NPD zu verweigern, sondern auch endlich Schluss zu machen mit der Kriminalisierung von Antifaschistinnen und Antifaschisten.“

Antifaschistische Politik zu betreiben, hieße für die Kieler Ratsversammlung natürlich nicht nur, sich demonstrativ von dem Repräsentanten des NPD-Faschismus abzugrenzen. Das muss als für Demokraten selbstverständlich vorausgesetzt werden. Entscheidend wäre, das in unserer Stadt Mögliche zu einer politischen Neuorientierung zu tun. Weg von einer Politik zum Nutzen der Kapitalbesitzer auf Kosten der arbeitenden und der in die Erwerbslosigkeit gezwungenen Menschen. Sozialpolitik statt sozialer Demagogie. Tariflöhne statt Ein-Euro-Jobs. Stärkung der Einwohnerrechte und Ermutigung der Menschen in Kiel zu sozialem und antifaschistischem Engagement. Es gilt auch, dafür zu kämpfen, dass den Kommunen wieder die zur Erfüllung ihre Aufgaben notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Geld ist genug da, nur in den falschen Händen.

Antifaschistische Einheit stärken

In der nächsten Zeit wird es darauf ankommen, die mit der antifaschistischen Demonstration am 25. Mai erzielten Erfolge auf dem Gebiet der antifaschistischen Arbeit zu befestigen und auszubauen. Alle Versuche, das größte antifaschistische Bündnis – den Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus – in Misskredit zu bringen, müssen zurückgewiesen werden. Solche Versuche wurden leider nicht nur von der CDU, sondern auch von der Führung des Kieler DGB und der Kieler SPD unternommen; nicht von ungefähr besteht hier eine Personalunion: Ralph Müller-Beck ist künftig nicht nur DGB-Vorsitzender in Kiel, sondern auch Chef der SPD-Ratsfraktion.

Es ist nicht vergessen, dass Müller-Beck versucht hatte, dem Runden Tisch die Organisierung antifaschistischer Aktivitäten vor der Kommunalwahl aus der Hand zu nehmen und stattdessen eine Kundgebung der Parteien SPD, CDU, FDP und Grüne – die Partei „Die Linke“ war nicht eingeladen – mit Prominenten-Beteiligung  am 23. Mai auf die Beine zu stellen, zu der der Runde Tisch gern hätte aufrufen dürfen, die er aber nicht hätte mitgestalten dürfen und auf der er auch nicht zu Wort gekommen wäre. Dieser Versuch schlug fehl, aber SPD-Mitgliedern wurde die Beteiligung an der Demonstration am 24. Mai sehr schwer gemacht. Dennoch beteiligten sich viele, die Jungsozialisten hatten mit aufgerufen. Noch nach der Demonstration mussten sich Sozialdemokraten wegen ihrer Beteiligung üble Beschimpfungen von Seiten ihrer Parteiführung gefallen lassen.

Die Gewerkschaft ver.di, die Ralph Müller-Beck aufgefordert hatte, zur Demonstration aufzurufen und selbst in seiner Funktion als DGB-Vorsitzender daran teilzunehmen, wurde im DGB-Vorstand heftig kritisiert. Der ver.di-Bezirksvorstand hat inzwischen seine positive Bewertung der Demonstration und seine Unterstützung für die Arbeit des Runden Tisches nachdrücklich bekräftigt.Dass der DGB-Vorsitzende nun der stärksten Fraktion in der Ratsversammlung vorsteht, könnte eigentlich eine Chance sein. Viele Gewerkschafts- mitglieder sehen das so. Und darum muss Ralph Müller-Beck immer wieder an seine Verpflichtungen erinnert werden, aus den  Gewerkschaften und aus seiner Partei heraus. Wir werden uns sicher nicht in unnützen und schädlichen persönlichen Anfeindungen ergehen, sondern mit unseren Anliegen immer wieder an alle Ratsmitglieder herantreten, das Gespräch und wenn nötig die Auseinandersetzung suchen, um die größtmögliche Einheit im Vorgehen gegen die Nazis zu erreichen. Denn das ist das Ziel.

Dass Angelika Volquartz sich einer solchen Politik verweigert und entgegenstellt, hat sie oft genug bewiesen und vor wie nach der Kommunalwahl erneut deutlich betont. Mit dem Runden Tisch will sie nichts zu tun haben – da arbeiten ja Kommunisten mit! Der von Volquartz geführten CDU zu Liebe die Zusammenarbeit und Aktionseinheit mit den Kräften zu verweigern, die seit Jahren in Kiel antifaschistische Arbeit machen und entscheidend dazu beigetragen haben, das Vordringen der Faschisten in Kiel zu behindern, darf niemals gewerkschaftliche Orientierung werden.

Anmerkung: Mit der Nicht-Übertragbarkeit der Platzkarten für den Besuch der Ratsversammlung wurde es dann offensichtlich nicht so genau genommen. Mehrere BesucherInnen verließen die Versammlung vorzeitig und gaben ihre Karten an Interessierte weiter, die dann ohne Probleme eingelassen wurden.

(D.L.)