Nächste Seite
Bundestag ignoriert kritisches Gutachten zu Ilisu Staudamm
im Südosten der Türkei

Der Entwicklungsausschuss des Bundestages entschied sich in seiner Sitzung am 18. Juni mit den Stimmen der Regierungs-Parteien SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP gegen einen Antrag der LINKEN, der den sofortigen Rückzug Deutschlands aus dem umstrittenen Ilisu-Staudammprojekt in der Türkei fordert.

Anlass für den Antrag war ein im März veröffentlichter Bericht eines im Auftrag der deutschen, österreichischen und schweizerischen Exportkreditagenturen tätigen ExpertInnengremiums. Der Bericht bestätigt die Kritik der Internationalen „Kampagne zur Rettung von Hasankeyf“ und zahlreicher Menschenrechts- und Umweltaktivistinnen. Nur ein Bruchteil der 153 Auflagen, die die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz als Bedingung für die Vergabe von Exportrisikogarantien erteilte, hat die Türkei bisher erfüllt.

Der Staudamm soll den Tigris kurz vor der Grenze zu Syrien und zum Irak im überwiegend kurdisch bewohnten Südosten der Türkei aufstauen. Die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz bewilligten Ende März 2007 Exportkreditversicherungen über ca. 450 Millionen Euro. Die in Frankfurt ansässige Deka Bank steuert zur Finanzierung bei. Die deutsche Baufirma Züblin ist ebenfalls am Bau beteiligt.

Die BewohnerInnen des Gebietes versuchen seit langem die Öffentlichkeit zu alarmieren, Sie befürchten die Zerstörung ihres kulturellen Erbes und die Vertreibung der vorwiegend kurdischen Bevölkerung. Sie glauben nicht, dass der Staudamm der Entwicklung des Landes dient. So räumte denn auch der Gouverneur der Provinz Batman gegenüber Reportern der Financial Times ein, der Bau sei „aus Sicherheitserwägungen“ für die Regierung „sehr wichtig“. Die Aufstauung des Tigris ermöglicht der türkischen Regierung die Kontrolle über den Wasserzufluss in den Irak und die Überflutung von Verbindungswegen und Höhlen, die von der kurdischen Guerilla genutzt werden. Die Zahl der von Umsiedlung und von der Vernichtung ihrer Existenzgrundlage als Bauern betroffenen Bewohnerinnen des Tigris-Tales ist nach Meinung des Expertengremiums weit höher als die bisher angenommen 55.000. Bis heute hat die Regierung kein neues Farmland für diese Menschen vorweisen können. So droht ihnen das Schicksal, das bisher die meisten Binnenvertriebenen ereilte – die Abwanderung in die Elendsgebiete am Rand der nahegelegenen Großstädte Batman oder Diyarbakir.

Dort herrscht eine Arbeitslosigkeit von über 60%. Weiterhin kritisiert der Bericht, dass die geforderten Studien zu den  ökologischen Folgen einer Aufstauung des Tigris bisher nicht durchgeführt wurden. Zur versprochenen Rettung einiger antiker Monumente aus der durch den Staudamm bedrohten 9.000 Jahre alten Stadt Hasankeyf  hat die Türkei bisher keinen realistischen Projektplan vorgelegt. Zudem bestätigen die ExpertInnen, dass viele der historischen Monumente nicht transportierbar sind ohne ihre völlige Zerstörung zu riskieren. „Dieses Projekt kann nicht durch Auflagen verbessert werden. Es muss sofort gestoppt werden,“ so das Fazit des Wasserbauingenieurs Ercan Ayboga von der internationalen Kampagne zur Rettung von Hasankeyf.

Noch im Mai protestierten kurdische Kulturschaffende unterstützt von Menschenrechts- und Umweltorganisationen  wie dem NABU, International Rivers, WEED, der Berliner Aktionsgruppe Ilisu-Hasankeyf sowie kurdischen Vereinen vor dem Auswärtigen Amt und forderten mit Verweis auf den ExpertInnenbericht Außenminister Steinmeier auf, die Bürgschaft zurückzuziehen. Selbst die deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Wieczorek-Zeul erklärte nach Vorlage des Berichts, die Vergabe der Hermes Bürgschafen müssten unverzüglich gestoppt werden, wenn der Staudammbau internationalen Kriterien nicht entspreche. Wie die aktuelle Entscheidung des Entwicklungsausschusses zeigt, hat der Bericht die Bundesregierung nicht wie gehofft zum einlenken bewegt. In Österreich finden noch Sitzungen der Exportkreditagenturen zum Ilisu-Projekt statt.

Grund genug nicht nur in der Türkei, sondern auch hier den Protest weiterzuführen. Im März haben verschiedene Mitglieder der Initiative „Rettet Hasankeyf“ in den betroffenen Gebieten erklärt, massenhaft Asylanträge in den Ländern zu stellen, die am Staudammprojekt beteiligt sind. Am 30.4.2008 sind in Hamburg die ersten Asylanträge überreicht worden.

Auch in Schleswig-Holstein gibt es einen Aktionskreis „Rettet Hasankeyf“, der unter dem Motto „Global denken, kommunal handeln“ in den vergangenen Monaten Informationsveranstaltungen und Anfang Juni in Kiel und in Rendsburg gemeinsam mit der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft mit Infoständen auf das Problem aufmerksam machte. Weitere Veranstaltungen sollen folgen.

Hintergrundinformationen unter www.weed-online.org/ilisu, www.isku.org,  www.stopilisu.com

 (AW)