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Industrie und bürgerliche Parteien wollen AKW länger laufen lassen:

Die Märchen der Atomiker

Schon alles vergesen? Harrisburg, Tschernobyl, Leukämie in den Elbmarschen, Wassereinbrüche im Gorlebener Salzstock,Transformator Brand in Krümmel, Kurzschluss in Brunsbüttel? Zwei Jahre ist es gerade erst her, dass es im Vattenfall Atomkraftwerk Forsmark in Schweden beinahe zu einer Kern-
schmelze kam. In den Wochen darauf versicherte der Konzern der deutschen  Öffentlichkeit hoch und heilig, dass ein ähnlicher Unfall hierzulandeunmöglich sei. Bis sich schließlich herausstellte, dass auch im deutschen Vattenfall-Meiler Brunsbüttel ähnliche Bauelemente verwendet werden, deren Versagen in Forsmark zu einem zeitweisen Ausfall der Notstromversorgung geführt hatte. Die Atomiker hatten schlicht die Unwahrheit gesagt.

Und nun wollen uns diese Leute, Vattenfall, E.on & Co., sowie ihre Wasserträger in den bürgerlichen Parteien, weismachen, dass ihre Pannenreaktoren noch länger laufen müssen, damit wir die Klimaschutz-
ziele erreichen und die Energiekrise beheben können. Wir sollen ihnen vertrauen, sie wissen mal wieder, was für uns am besten ist. Nur eine Klitzekleinigkeit vergaßen sie zu erwähnen: Die Atomenergie ist ein überaus lohnendes Geschäft: Jedes Jahr, das die alten, abgeschriebenen Reaktoren länger laufen, bescheren sie den Betreibern pro Anlage je nach Typ 200 bis 400 Millionen Euro. Derzeit laufen noch 17 Reaktor-
blöcke an 14 Standorten in Deutschland, es geht also um einen Reingewinn von irgendwas zwischen drei und sechs Milliarden Euro jährlich, der auf dem Spiel steht.

Das erklärt auch der enormen Propagandaufwand, der betrieben wird, um uns die Atomkraft wieder schmackhaft zu machen. Inhaltlich Neues hat man dabei trotz des großen Getöses nicht zu bieten: Da die beiden Schrottreaktoren Brunsbüttel und Krümmel nach ihren Pannen im Juni 2007 noch immer stillstehen, betrug der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung 2007 nur 22,1 Prozent. Die 30 Prozent, mit der die CDU-Bundestagsfraktion hausieren geht, sind frei erfunden. Trotz des Ausfalls war Deutschland auch 2007 eine Netto-Stromexporteur. Von der viel beschworenen Stromlücke war weit und breit nichts zu sehen.

Auch die ins Feld geführte Sicherheit der Energieversorgung kann nicht wirklich ernst gemeint sein. Zum einen sieht man gerade an den Ausfällen von Brunsbüttel und Krümmel, dass für die Großanlagen enorme Ersatzkapazitäten vorgehalten werden müssen. Zum anderen ist auch Uran ein endlicher Brennstoff. Schon seit Ende der 1990er Jahre übersteigt weltweit der Verbrauch die Förderung. Derzeit werden die AKW zum Teil mit Spaltmaterial aus Lagerbeständen und dem Abbau veralteter Atomwaffen betrieben. Entsprechend ist der Preis für Uran in den letzten Jahren kräftig gestiegen, ein deutliches Zeichen für Verknappung. Die deutsche Expertengruppe Energy Watch Group schätzt, dass die globalen Uranvorkommen beim heutigen Verbrauch gerade noch für 60 Jahre reichen.

Hingegen könnten wir schon heute praktisch fast sofort auf den größten Teil der deutschen Atomkraftwerke verzichten: 2007 lieferten sie 140,5 Milliarden Kilowattstunden (KWh) Strom. 78 Milliarden KWh könnten allein schon eingespart werden, wenn die  Warmwasser- bereitung und das Heizen mit Strom verboten würde. Hausbesitzer und Wohnungsbaugesellschaften müssten vom Gesetzgeber zum raschen Umrüsten gezwungen werden. Das würde nicht nur die Umwelt schonen und das Leben in der Nachbarschaft der Meiler sicherer machen, das wäre auch eine erhebliche finanzielle Entlastung für die Mieter. Stattdessen hat der Bundestag kürzlich mit den Stimmen der großen Koalition beschlossen, dass  entsprechende Anlagen noch bis zu 30 Jahre betreiben werden dürfen. Warmwasser lässt sich selbst in unseren Breiten ohne weiteres mit Solarkollektoren gewinnen.

Auch das unlängst von der Internationalen Energie Agentur und von der EU-Kommission vorgetragene Argument, neue Atomkraftwerke müssten her, lässt sich leicht entkräften. In Großbritannien will die Labour-Regierung tatsächlich welche bauen, und E.on scheint wild entschlossen, seine hierzulande gemachten traumhaften Profite auf der Insel in AKW zu stecken. Doch das erste AKW wird frühestens im Jahre 2018 ans Netz gehen. Bis dahin ließen sich in Großbritannien Windräder aufstellen, die soviel Strom wie sieben zehn oder mehr AKW liefern könnten. In Deutschland, wo sich das Neubautempo der Wind-
industrie in den letzten Jahren bereits verlangsamt hat, sind 2007 883 Anlagen installiert worden. Diese hatten übrigens eine Nennleistung von 1632 Megawatt (MW), womit in etwa ein AKW wie Brunsbüttel ersetzt werden kann. Das hat zwar eine Leistung von 770 MW, ist  besser ausgelastet, wenn es nicht gerade wie derzeit stillsteht. Der Neubau von Atomkraftwerken ist übrigens in etwa so teuer, wie jener einer vergleichbaren Zahl von Windrädern, nur das letztere keine Brennstoffkosten haben.

Inzwischen investieren die großen Stromkonzerne auch in Windenergie, und zwar vor allem in die Offshore-Parks, die in den nächsten Jahren vor den deutschen Küsten entstehen sollen. Ihr Hauptinteresse gilt aber weiter den Großkraftwerken, seien sie mit Kohle oder Atomkraft betrieben. Das liegt zum einen sicherlich an der zentralistischen Struktur der Konzerne, die am einfachsten mit großen Investitionen umgehen kann. Zum anderen geht es aber auch um die Verteidigung einer quasi-monopolhaften Stellung. Wenn die Energieversorgung weiter von Öl, Kohle und Atom abhängig bleibt, dann winken den Konzernen nämlich in den nächsten Jahrzehnten angesichts sich verknappender Ressourcen unermessliche Profite. Die würde man sich ungern entgehen lassen.

(wop)