Nächste Seite
„Ein Hauch von Sydney“:

Kieler Größenwahn

Gelegentlich kommt es vor, dass mich die Lektüre unserer Lokalzeitung schon am frühen Morgen in einen Zustand temporärer Fassungslosigkeit versetzt. In letzter Zeit war dies leider häufiger der Fall und zwar immer dann, wenn in den KN über Pläne zur Kieler Stadtentwicklung berichtet wurde, die sich allerlei findige Investoren, „Projektentwickler“ usw. erdacht haben. „Rathausgalerie“, „Megamarina“, „Science-
Center“, Uhlenkrogrampe, neue Bürokomplexe an der Hörn sind einige der jüngsten Beispiele. Dazu wird man bereits auf der Titelseite mit computeranimierten Grafiken dieser Projekte belästigt, die das eigene ästhetische Empfinden schon auf harte Proben stellen.

Doch der Irrsinn ist steigerungsfähig, wie ich am Mittwoch letzter Woche feststellen musste. „Gigantische Pläne für Kiel“ konnte ich da lesen und darüber die futuristisch anmutende „Vision“ der Kieler Altstadt betrachten – entwickelt von der ECE Projektmanagement GmbH&Co. KG aus Hamburg, ihrerseits europäischer Marktführer im Bereich innerstädtische Einkaufszentren. Deren Chef Alexander Otto, Sohn des Gründers des gleichnamigen Versandhauses, stellt sich also eine Philharmonie, ein Hotel-Hochhaus mit Kongresszentrum sowie (Überraschung!) eine Einkaufsgalerie vor, das Ganze auf einer Gesamtfläche von 50 000 Quadratmetern im Bereich Alter Markt, Schloss- und Eggertstedtstrasse bis zum Seegarten, realisierbar bis 2012. Nach Vorstellungen der ECE könnte die oben erwähnte Rathausgalerie aber auch errichtet werden, nur eben etwas kleiner. Warum so bescheiden, dachte ich mir, wenn man schon mal dabei ist könnte man doch gleich die gesamte Innenstadt umbauen, überdachen und somit zu einer einzigen Einkaufsgalerie machen? Doch zurück zum geplanten „Altstadtquartier“. Schlappe 300 Millionen Euro soll der Spaß kosten, nebst öffentlicher Förderung kein Problem. Kiel hat´s ja, wie wir alle wissen. Und da sich auch Peter Harry Carstensen als „vehementer Verfechter einer neuen Konzerthalle für Kiel erwiesen hat“, kann es eigentlich sofort losgehen.

Nun sind die „Visionen“ eines Millionärssohnes aus Hamburg natürlich eine Sache, es kann ja schließlich jeder fantasieren, wovon er gerne möchte. Eine andere ist es, wenn derlei Größenwahn von den KN wohlwollend bis begeistert aufgenommen und uns sodann auf bald zwei Seiten zugemutet wird. Die Redakteure waren offenbar sehr angetan. Da wird dann etwa ECE-Chef Alexander Otto als „Mann mit sicherem Blick für Potenziale“ porträtiert. Bei seinen Projekten sei „ein Flop bisher noch nicht dabei gewesen, versichert er glaubhaft“. Und Herr Otto kennt die Stadt, z.B. „von der Color-Fähre aus, auch aus dem Landtag“. Also ein wahrer Kiel-Experte - wer mag da noch misstrauisch sein? „Nur Mut, es lohnt sich für Kiel“ kommentiert dann auch ein Herr Konrad Bockemühl, denn schließlich setzten die „hoch-
professionellen Visionen“ von ECE „konkrete Sehnsüchte der letzten Jahre um“.

Sehnsüchte. Mir war zunächst nicht klar, was damit gemeint sein könnte. Doch nach nochmaliger Lektüre verstand ich schnell: die Wasserseite soll „erlebbar gemacht“ werden! Und so freue ich mich schon darauf,  2012  mit meinen Kollegen die Förde bei Nacht von oben betrachten zu können, wenn wir nach einem anstrenden Tag im Kongresszentrum im neuen Hochhaus-Hotel nächtigen werden, fünf Sterne natürlich. Ein Vergnügen, dass bei der allgemeinen Gehaltsentwicklung sicherlich vielen Kielern zuteil werden dürfte. Und dann noch „ein Hauch Opernhaus Sydney und Elbphilharmonie Hamburg“! Kiel wird also endlich Weltstadt!

Schluß mit lustig! Kiel ist keine Weltstadt und muss es auch nicht werden. Man kann hier auch so ganz gut leben. Gegen die Pläne von Global Playern wie ECE, die schon eine ganze Reihe von Städten mit ihren „Shopping-Centern“ verunstaltet haben, ist Widerstand angesagt. Ebenso gegen Politiker und Medien, die diesen Irrsinn protegieren. Hier ist auch die Linksfraktion in der  neuen  Ratsversammlung gefragt.

Öffentliche Gelder brauchen wir nicht für Luxusprojekte wie eine Philharmonie, sondern soziale Ein-
richtungen, die der Mehrheit der Menschen zugute kommen. Und Widerstand gegen immer neue Konsumtempel kann erfolgreich sein, z.B. in Städten wie Cottbus oder Celle, wo ECE mit seinen Plänen am Protest der Menschen gescheitert ist. Breiten Protest gibt es auch anderenorts, so z.B. in der Schweiz, wo ECE im Kanton Glarus ein Rieseneinkaufszentrum auf der grünen Wiese plant. Hier kämpft sogar der Verkehrsclub der Schweiz gegen die befürchtete Umweltverschmutzung durch 125 Mio. Autokilometer und 24 000 Tonnen CO2-Ausstoß. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch Kieler Linke in diese Debatten ein-
mischen und dabei möglicherweise ungewöhnliche Koalitionen nicht scheuen.

(cg)