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Kooperationsvertrag von SPD und Grünen:

Widersprüchliches

SPD und Grüne haben letzte Woche ihren Kooperationsvertrag veröffentlicht, der die Zusammenarbeit regeln soll, mit der sie in den nächsten fünf Jahren im Rathaus regieren wollen. Der SSW mochte der Vereinbarung nicht beitreten, hat sich aber an den Gesprächen beteiligt und will die Koalition unterstützen.

Gleich Eingangs, in der Präambel, wird es interessant: "Rot-Grün setzt auf mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger... Wir stehen daher zusammen mit der Partei der dänischen Minderheit für eine tolerante und offene Bürgergesellschaft..." Man fragt sich unweigerlich, wie sich das mit der Zutrittverbot für bekannte Antifaschistinnen und Antifaschisten im Rathaus vereinbaren lässt, oder mit dem massiven Polizeiaufgebot, mit dem Bürger, die während der ersten Ratssitzung ins Rathaus wollten, drangsaliert wurden.

Ansonsten ist sehr viel von Kreativität, Klimaschutz und sozialer Stadt die Rede, aber Haushalts-
konsolidierung wird als erste von vier Querschnittsaufgaben genannt. Das ist mit Sicherheit kein Zufall, denn bei den Grünen tobt hinter den Kulissen ein Streit um diese Frage. Offenbar ist die Fraktionsführung der Ansicht gewesen, "Haushaltskonsolidierung", also weitere Kürzungen, müssten oberste Priorität haben, und hätte daher lieber die Zusammenarbeit mit der CDU fortgesetzt. Von anderen Grünen, die im Kieler Kreisverband nicht ganz ohne Einfluss sind, ist zu hören, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen der Haushalt ohnehin nicht zu sanieren, und eine entsprechende Politik daher für Partei, Umwelt und Soziales verheerend sei.

Entsprechend findet sich manches Widersprüchliches in der Vereinbarung. So wird zum Beispiel die soziale Verantwortung wiederholt unterstrichen, aber zugleich angekündigt, dass Aufgaben aus dem Kinder- und Jugendhilfedienst ganz oder teilweise auf freie Träger übertragen werden sollen. Soll heißen, sie werden privatisiert und kommerzialisiert, damit die Stadt Geld sparen kann. Sehr sozial! Bisherige Erfahrungen zum Beispiel aus der Altenpflege lassen Schlimmes befürchten.

Überhaupt ist man mit den sozialen Zielen überaus anspruchsvoll: "Alle politischen Entscheidungen sollen darauf geprüft werden, ob und wie sie Kinderarmut eingrenzen können." Nicht "vermeiden" oder "bekämpfen" sondern "eingrenzen". Unter anderem will man zu diesem Zweck prüfen, ob Kinder aus Familien mit geringem Einkommen Vergünstigungen im öffentlichen  bekommen sollen. Wie wäre es mit Nulltarif für alle Kinder bis zum Abschluss des 14. Lebensjahres, oder am Besten gleich für alle Kinder und Jugendlichen? Das würde sicherlich einiges an Bürokratie vermeiden; man bräuchte sich keine Kriterien und mehr oder weniger aufwändige Antragsprozeduren ausdenken.

Positiv ist immerhin die Zusage, dass die Zahl der Krippenplätze ausgeweitet wird. Von derzeit 15 Prozent soll die Versorgungsquote bis 2013 auf 35 Prozent steigen. (In dem Tempo wird Kiel in nur 20 Jahren DDR-Niveau erreicht haben. Glückwunsch!). Bei den drei- bis sechsjährigen von 93 auf 100 Prozent. Außerdem will man sich beim Land für mehr Ganztagsschulen einsetzen. Die Parteien rechnen mit erheblichen Kosten für Baumaßnahmen im Zuge der Schulreform, die zur Zusammenlegung von Schulen führen wird.

Ein anderer Schwerpunkt ist die Klimaschutz- und Energiepolitik. Trotz einer Intervention der Betriebsräte der Stadtwerke in letzter Minute spricht sich der Vertrag klar gegen den Bau eines neuen Kohlekraftwerks aus. Nachvollziehbar war die entsprechende Erklärung der Betriebsräte ohnehin nicht. Mit einer klima-
freundlichen Energiepolitik, die auf dezentrale Erzeugung, Gebäudesanierung und ähnliches setzt, lassen sich in Kiel mit Sicherheit mehr Arbeitsplätze schaffen, als jene knapp hundert, die in einem modernen Kohlegroßkraftwerk entstehen würden. (Wobei eine größere Zahl im alten Kraftwerk wegfiele und unterm Strich ein Arbeitsplatzabbau stattfände.)

Mehrdeutiges findet sich zum Thema Rekommunalisierung der Stadtwerke in dem Vertrag. Während an andere Stelle explizit und begrüßenswerter Weise vom Rückkauf der Anteile der KVG gesprochen wird, bleiben die Äußerungen zum Thema Stadtwerke schwammig. Die verwendete Lesart des Begriffs "Rekommunalisierung" kann auch so gedeutet werden, dass es lediglich um mehr Einfluss der Ratsversammlung auf den Betrieb geht.

Hier wie an andere Stelle ist offensichtlich noch mehr politischer Druck notwendig. So ist in dem Papier von einem "Zukunftskonzept 'Klimaverträgliche Energieerzeugung und -versorgung'" die Rede, das mit dem Umland gemeinsam erarbeitet werden soll. Ein solches ist ohne Frage nötig, aber müsste unbedingt in einer breiten öffentlichen Debatte entstehen. Der Vertragstext bietet für Letzteres aber nur bedingt die Gewähr.

Bemerkenswert ist, dass unter den Anforderungen an das "Zukunftskonzept" auch der "Erhalt einer angemessenen Dividende der Stadtwerke nach Abschaltung des jetzigen GKK" gezählt wird. GKK ist die Abkürzung für das bestehende Kraftwerk in Dietrichsdorf, das irgendwann im nächsten Jahrzehnt aus Altersgründen vom Netz gehen muss. Kein Wort ist hingegen in diesem Zusammenhang von einem Sozialtarif zu lesen, mit dem ärmere Haushalte entlastet werden könnten. An anderer Stelle wird lediglich von einem kostenneutralen Beratungskonzept in Sachen Energiesparen für Sozialhilfeempfänger geschrieben.

Andere interessante Schwerpunkte des Vertrages wie Finanzen, Verwaltungsmodernisierung, Verkehrs-
politik, "Demokratie in Kiel stärken", Wirtschaftspolitik und anderes konnten hier nicht angesprochen werden. Vielleicht findet sich in den nächsten Wochen ja der eine oder die andere, die einige dieser Aspekte für die LinX-Leserinnen und -Leser analysieren.

(wop)
Der Vertrag ist im Internet auf der Seite der Grünen zu finden: http://www.gruene-kiel.de/