Nächste Seite
Rede des Bundespräsidenten:

Mal wieder nichts begriffen

Bundespräsident Horst Köhler hat eine Rede gehalten. Eine ‚Berliner Rede’. Überraschend war daran so gut wie nichts, das hat man alles schon mal von ihm gehört. Und bestimmte Dinge blendete er auch wieder aus - so etwa die Hartz-IV-Realität, wenn er sagt: „Die Riester-Rente, die Rente mit 67 und die Agenda 2010 waren ein guter Anfang. (…) Wir sollten (…) beherzt vorangehen auf dem Weg, der sich als der richtige erwiesen hat. Dafür brauchen wir eine Agenda 2020.” Mehr Flexibilität, weniger Kündigungsschutz - dann klappts auch mit der Vollbeschäftigung, meint er.

Im Mai sagte er noch, die internationalen Finanzmärkte hätten sich zu einem Monster entwickelt und bräuchten Zügel. Davon in seiner „Berliner Rede” kein Ton, stattdessen: „Je mehr Wohlstand andere Nationen sich mit Fleiß und guten Ideen erarbeiten, desto mehr werden sie auch nach den schönen kleinen Dingen des Lebens fragen, die wir herstellen - vom Füllfederhalter bis zur Armbanduhr. Gutes Handwerk hat auch in der Globalisierung goldenen Boden. (…) Wachstum macht die Welt heiler, als sie es heute ist.”
Weiter Köhler: „Unsere Maschinenbauer, unsere Logistikbranche, die deutsche Umweltschutzindustrie und die Kraftwerksbauer, unsere Spezialisten für saubere Energieerzeugung aus Sonne, Wind und Wasser und die deutschen Automobilhersteller, die längst an Antriebssystemen wie der Brennstoffzelle und an besseren Batterien fürs Autofahren mit Solarstrom tüfteln - sie alle stehen vor einem Weltmarkt voller Möglich-
keiten.” Ah ja, und die Rüstungsexporte? Und ist es gut, dass die deutschen Autokonzerne viel stärker auf dicke Limousinen und schnelle Sportwagen setzen als die Konkurrenz?

Zur Einwanderung: „Wie geht kluge Einwanderungspolitik? (…). Es geht darum, begabte Ausländer für uns zu gewinnen, statt sie bloß zu dulden; es geht darum, ihnen selbstbewusst zu sagen: Wir in Deutschland sind ein starkes Team, wir bieten Euch attraktive Bedingungen und freuen uns darauf, wenn Ihr bei uns mitspielt.” Tja, und das Asylrecht? Die Flüchtlingsströme? Köhler meint: Einwanderung ist klasse - solange die kommen, die wir gebrauchen können.

Und so weiter. Es war eine Heile-Welt-Rede. Köhler war versucht, Mut zuzusprechen. Dieser Präsident hat (ähnlich wie sein  Vorvor- gänger Herzog) wenig bis nichts begriffen von dem, was die Mehrheit dieses Landes bewegt. Die von ihm gelobte Agenda 2010 hat eine Massenarbeitslosigkeit hervorgebracht, Menschen ab 50 hunderttausendfach zu Überflüssigen degradiert, Niedriglohnsklaven geschaffen und das solidarische Gesundheitssystem an den Rand der Zerstörung katapultiert.

Aber das ist Herrn Köhler noch nicht genug. Er fordert eine Agenda 2020, damit die Bundesrepublik endgültig nach  betriebswirtschaft- lichen Grundsätzen funktioniert und nicht so, wie die Verfassung es vorschreibt. Die Allgemeinplätze tun weh, und zwar denen, die nichts oder nur wenig haben. Was soll das denn mit der hohlen Phrase von einer Agenda 2020? Er wird – wie auch in den anderen Artikeln - als neoliberaler Sprechblasenproduzent entkleidet, der er ja auch entsprechend seiner Herkunft ist.

Es ist radikales Umdenken notwendig, aber anders als es dieser Präsident im Sinne hat, denn es müsste den wohlhabenden, meinungs- führenden Schichten ans Leder gehen, die sich an diesem Staate gütlich tun. Warum dieser Bundespräsident plötzlich so hoch gelobt wird, er würde allen wichtigen politischen Kräften ins Gewissen reden, ist unerklärlich und muss an allgemeinpolitischer  Bewusstseinstrübung liegen.

 (csk)