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Klima- und Antirassismus-Camp in Hamburg:

Eine Woche voller Aktionen

Schon im letzten Jahr fand in Großbritannien ein „Klima-Camp“ der linken außerparlamentarischen Bewegung statt. Der große Erfolg dort und die Suche nach Antworten von links auf die Klimakatastrophe brachte einige Menschen auf die Idee auch in Deutschland ein solches Camp zu veranstalten. Neben vielen unabhängigen AktivistInnen waren auch Organisationen wie [’solid], ATTAC, die grüne Jugend, die interventionistische Linke, Avanti u.v.m. an den Planungen beteiligt. Nachdem erst Frankfurt als Ort angedacht war, kristallisierte sich bald heraus, dass das Camp in Hamburg gemeinsam mit dem Anti-
rassismus-Camp stattfinden würde. Die Platzsuche gestaltete sich allerdings als schwierig. Erst anderthalb Wochen vor Campbeginn konnte sich die Vorbereitungsgruppe mit dem Schwarz – Grünen hamburger Senat auf einen geeigneten Platz in Lurup für die vielen Zelte einigen. Dabei hat sicherlich geholfen, dass klar war: Wir würden sowieso kommen – Mit festem Platz oder wild campend; verstreut in der ganzen Hamburger Innenstadt.

Der Aufbau der Infrastruktur begann schon am Mittwoch, den 13.8., zwei Tage vor dem offiziellen Beginn. Bio – und Dixi – Klos, Worschop- Info- Presse- und Sanitäterzelte, Feuerstellen, die Bar und die VoKü (VolxKüche für leckeres veganes Essen) mussten errichtet werden. Außerdem wurden Windräder und Solarzellen für eine umweltfreundliche Stromversorgung aufgestellt.
 

Am Samstag stellte sich das Camp den Hamburgern vor. Mehr als 1000 TeilnehmerInnen kamen zur friedlichen, bunten, fröhlichen Auftaktdemonstration durch die hamburger Innenstadt. Auch eine ganze Menge KielerInnen aus dem Meiereispektrum, der  Bürger- initiative für eine umweltfreundliche Energie-
versorgung der Region Kiel, von ATTAC und von [’solid] liefen mit. Auch ich war ab diesem Tag dabei.

Kopfstoff und Aktionen

Am Sonntag nahm ich an keiner Aktion teil und nutzte das vielfältige Workschopprogramm, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu diskutieren. Neben den thematischen Schwerpunkten Klima und Antirassismus wurde auch viel anderes z.B. zum Abbau von Grundrechten bis hin zu Marx angeboten.

Um auf die schlechte Stellung der Beschäftigten bei Discountern, die Ausbeutung von „Papierlosen“ bei der Erzeugung günstiger Produkte sowie die niedrigen ErzeugerInnenpreise hinzuweisen und für das Recht von allen Menschen auf gesunde Nahrung blockierten wir am Montag einen ALDI in Altona. Just in dem Moment, in dem der große Demozug um die Ecke bog, kamen einige als Tomaten Verkleidete mit palettenweise Tomaten und Schokolade aus dem Supermarkt gestürmt und einige AktivistInnen standen mit  Transparenten auf dem Dach des Discounters. Da vorher nichts über den Ort der gut vorbereiteten Aktion bekannt geworden war, hatte sich die Polizei an die Demonstration gehalten und sogar die AktivistInnen auf dem Dach konnten am Ende mit Hilfe von Leitern unerkannt wieder zurück in die Menge steigen. Vor dem Discounter fanden noch Straßentheater und Redebeiträge statt. Da niemand festge-
nommen wurde und die Aktion mit unseren Forderungen breiten Widerhall in der Presse fand, konnte sie als voller Erfolg gewertet werden.

Am Vormittag hatte ich noch an einer Jubeldemo vor dem Kundenzentrum von Vattenfall teilgenommen, die ATTAC und andere organisiert hatten. Mit Schildern wie „Sozialtarif ist was für Looser“ oder „Für Kohlestrom – Tropen an die Nordsee holen“ bejubelten wir den Konzern für seine weisen Entscheidungen und schützten ihn vor bösen Chaoten.

Am Dienstag widmete ich wieder den Workschops und genoss den Tag im Camp, andere nahmen an den zwei Aktionen des Tages teil. In Lübeck wurde gegen Frontex demonstriert und im Hamburger Hafen eine Agrodieselraffinerie blockiert.

Frontex stellt Personal und Bewaffnung für die Bewachung an den Außengrenzen der EU und ist mitverantwortlich für den Tod von Menschen, die, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen, versuchen aus ihren Heimatländern nach Europa zu fliehen.

Agrodiesel verringert einzig die Abhängigkeit des Westens von Ölländern. Die CO2 – Bilanz ist durch die Abholzung der Regenwälder und den hohen Einsatz von Düngemitteln genauso schlecht. Hinzu kommt, dass auf Grund des Anbaus von Pflanzen zur Gewinnung von Agrodiesel der Weltmarktpreis für Nahrungsmittel steigt und Menschen verhungern müssen.

Abends fand dann die Party unseres „Reclaim Power“ - Barrios (Campabschnitt) von [’solid] statt.

Kraftwerk besetzt

Am Mittwoch sollte eigentlich ein Straßenfest in Hamburg – Wilhelmsburg stattfinden, um die AnwohnerInnen auf die Gefahren des geplanten Kohlekraftwerks hinzuweisen. Wilhelmsburg, ein Stadtteil, der mit Gaarden vergleichbar ist, liegt in der Windschneise des Kohlekraftwerks und wäre massiv von den Abgasen betroffen. Insgesamt würde der CO2 – Ausstoß von Hamburg um 40% steigen und die Energieversorgung wäre jahrzehntelang auf Kohle als Energieträger festgelegt statt Geld in die Entwicklung von erneuerbaren Energien aus Wasser, Wind und Sonne zu stecken. Es kam allerdings anders. Spontan hatten sich einige Menschen entschlossen der Kraftwerksbaustelle schon früher als angekündigt einen Besuch abzustatten und wir zogen zur Überraschung der Polizei, die uns erst kurz vorm Gelände einholte, ebenfalls in Richtung Baustelle. Nach einigem Hin und Her durften wir dann in einer Spontandemonstration bis vor das Tor des Bauplatzes ziehen, wo uns hoch oben an einem Kran das Transparent „Energiekonzerne enteignen“ begrüßte.

Da wir den Abtransport von BesetzerInnen der Baustelle verhindern wollten, blockierten wir das Haupttor der Baustelle. Bis auf die Menschen auf dem Kran wurden allerdings alle anderen durch einen Hinterausgang abtransportiert. Wir harrten trotzdem aus, um den Menschen auf dem Kran unsere Solidarität zu beweisen. Daraufhin entschied die Polizei juristisch höchst fragwürdig unsere vorher genehmigte Spontandemonstration mit der Begründung der Demonstrationscharakter unserer Versammlung sei wegen eines  Laut- sprecherwagens, der Musik spielte, nicht mehr erkennbar und sei nur noch eine Tanzveranstaltung, auf. Wir wollten trotzdem erst mit den GenossInnen auf dem Kran den Ort verlassen und entschieden uns in unserem Plenum für eine Sitzblockade. Diese wurde dann mit Hilfe von Würgegriffen, Armverrenkungen u.ä. gewaltsam durch die Polizei aufgelöst. Einige, auch ich, erhielten daraufhin noch eine Anzeige wegen „Widerstandes gegen die Staatsgewalt“, weil sie sich zu lange an ihren Nebenmenschen festgehalten haben sollen. Wohl auch als Einschüchterungsversuch, der vor Gericht keinen Bestand haben wird.

Am Donnerstag erholten wir uns erstmal vom Vortag. In der Presse wurde über die Auflösung des Camps spekuliert und die Jusos erblödeten sich den Begriff „Terrorcamp“ zu benutzen, um uns zu diffamieren. Außerdem fanden wieder, wie auch an anderen Tagen, Aktionstrainings für die geplante massenhafte Besetzung des Bauplatzes am Samstag statt.

Flughafenaktion

Am Freitag startete dann die erste große Aktion. Um gegen Abschiebungen zu protestieren, sollte unter dem Motto „Fluten 3.0“ der Hamburger Flughafen lahmgelegt werden. An der zentralen Demonstration nahmen ca. 1.000 Menschen teil, von denen einige auch ins Terminal gelangten und ihren bunten Protest u.a. durch kreative Transparente und Straßentheater vor Ort ausdrücken konnten.

Unser Barrio hatte sich zum Ziel gesetzt abseits der zentralen Demonstration eine zentrale Zufahrtsstraße zum Flughafen zu blockieren. Wir machten uns später als die Hauptdemo auf den Weg und zogen einige Zeit ungestört von der Polizei in Richtung Flughafen, während sich hinter uns die Autoschlangen stauten. Irgendwann baute sich dann aber doch eine Polizeikette vor uns auf und wir erhielten einen Platzverweis mit der Auflage zum S-Bahnhof zurückzuziehen. Nach kurzer Diskussion leisteten wir der Anweisung folge. Allerdings stiegen wir eine S-Bahn-Station später gleich wieder aus und versuchten abermals auf einer der großen Zufahrtsstraßen zum Flughafen zu gelangen. Daraufhin drängte uns die Polizei ohne Ankündigung von der Straße und kesselte uns. Kurze Zeit später wurden wir, darunter das halbe [’solid] – Barrio, in Gewahrsam genommen und mit zwei Reisebussen in eine Gefangenensammelstelle gebracht. Da wir uns nicht provozieren ließen und die Polizei ebenfalls friedlich blieb, war die Stimmung recht ungetrübt. Die PolizistInnen auf dem Revier guckten etwas verdutzt als die zwei Busse mit singenden jungen Menschen ankamen. Vier Stunden später durften wir dann auch zurück ins Camp, nachdem wir uns die Zeit in den Sammelzellen mit Dosenwerfen, Papierflieger bauen, Arbeiterlieder singen und Fußball vertrieben hatten. Dies war mit Hilfe von Papier und Papptrinkbechern möglich. Ein bisschen mulmig war mir allerdings bei der Vorstellung gegen meinen Willen eingesperrt zu sein.

Rohe Gewalt

Am Samstag ging dann die zweite zentrale Aktion los. Die Baustelle des Kohlekraftwerks in Moorburg sollte massenhaft besetzt werden. Allerdings dezimierte der Dauerregen, der seit Freitagmittag herrschte die TeilnehmerInnenzahl. Einige CamperInnen hatten wegen nicht regenfester Zelte nachts nicht geschlafen und waren samt ihrer Klamotten komplett durchgenässt. Auch viele SymphatisantInnen wurden wohl vom Dauerregen abgeschreckt. Der Rest ließ sich dadurch erstmal nicht entmutigen und eine wiederum bunte, fröhliche Demonstration mit ca. 700 Menschen zog in Richtung Kohlekraftwerksgelände. Ca. einen Kilometer vor dem Bauplatz schlugen sich wie verabredet fast alle DemoteilnehmerInnen in Gruppen von ca. 100 Menschen in die Büsche, um auf das Gelände zu gelangen. Erst einmal lief auch alles nach Plan. Die Polizei, obwohl stark präsent, gab es recht schnell auf, die Gruppen zu verfolgen. Über Spülfelder, Schleichwege und durchs Gebüsch gelangten alle bis kurz vor den Zaun, der allerdings von noch etwas unkoordinierten Polizeikräften in Überzahl bewacht wurde. Die erste Verwirrung nutzten einige und erreichten den Zaun. Leider eskalierte die Situation nun, und die Polizei knüppelte alles nieder, was sich in der Nähe des Zaunes bewegte. Wasserwerfer sowie Pfefferspray und Tränengas wurden eingesetzt. Auch Menschen mit Presseausweis und am Boden Liegende wurden nicht verschont, so dass wir uns bald zurückziehen mussten. Wir waren leider ein paar zu wenig, um unser Ziel, die Baustelle zu besetzen, zu erreichen. Allerdings sind die Bauarbeiten schon wegen unserer Ankündigung vorsorglich an diesem Tag nicht aufgenommen worden, und es ist klar geworden, dass  Kohlekraft- werke in Deutschland nur noch mit Polizeihundertschaften und roher Gewalt durchzusetzen sind. Bei dieser Gelegenheit möchte ich nochmal betonen, dass wir uns alle einig waren keine Angriffe auf PolizistInnen durchzuführen und dies auch nicht taten. Am Sonntag ging das Camp dann mit dem Abbau zu Ende.

Fazit

Das Camp war pressetechnisch ein voller Erfolg. Es ist uns gelungen die beiden Themen des Camps, Klimawandel und Antirassismus sowie deren Zusammenhänge an die Öffentlichkeit zu tragen. Außerdem war wieder zu sehen, dass eine linksradikale Bewegung viel erreichen kann, wenn sie ihre Widersprüche akzeptierend massenhaft, entschlossen, bewusst Regeln brechend und ohne Gewalt gegen Personen anzuwenden auftritt. Dies sollte Ansporn für alle sein sich außerhalb von Gremienarbeit einzubringen. Die Grünen haben mal wieder auf ganzer Linie bewiesen, wie beliebig ihre Positionen geworden sind. Den völlig überzogenen gewaltvollen Polizeieinsatz am Samstag haben sie mit zu verantworten. Von den Grünen ist kein Widerstand gegen das geplante Kohlekraftwerk mehr zu erwarten.

Inhaltlich steht die Auswertung des Camps noch aus. Sie könnte und wird wohl Anfang Oktober auf den Perspektiventagen in Hamburg erfolgen.Die Mobilisierung muss besser werden. Die im Vorfeld genannte Zahl von 2500 CamperInnen wurde nicht erreicht. Alle, die dabei waren, müssen vor Ort kommunizieren, wie sinnvoll, erlebnisreich und Freude bringend ein solches Camp ist. Es ist wunderbar zu sehen, wie sich so viele unterschiedlichste Individuen zusammen demokratisch organisieren. Jeden Tag fanden elegiertenversammlungen mit Delegierten der verschiedenen Barrios statt und innerhalb der Barrios fand jeden Abend ein Plenum stand, auf dem der Tag  ausge- wertet wurde und alle wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Als Beispiel für die gute Organisation sei hier auch die VoKü genannt. Zehn Tage 1000 hungrige Menschen mit leckerem veganen Essen zu versorgen, ist eine unglaubliche Leistung. Ich persönlich hatte auf dem Camp definitiv viel Freude. Ich habe neue nette Menschen kennen gelernt und alte Bekannte wieder getroffen. Die Abende am  Lager- feuer waren absolut gemütlich und die freundliche, solidarische Atmosphäre war überwältigend.

 (Björn Thoroe)