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Neoliberalismus – Pseudotheorie des Kapitals

„Das war's, Neoliberalismus“, so der Titel eines Gastkommentars in der FTD (Financial Times Deutschland). Ein erstaunlicher Kommentar in einer Zeitschrift aus dem Verlagshaus Gruner und Jahr. Vor allem erstaunlich, wenn man sich klar macht, dass das Verlagshaus Gruner und Jahr zu 74,9% dem Bertelsmannkonzern und nur 25,1% der Familie Gruner und Jahr gehören. Liegt es daran, dass die Familie Jahr (Gruner ist bereits 1969 ausgestiegen) auf den redaktionellen Teil der unter ihrem Logo laufenden Zeitschriften trotz Minorität noch wirklichen Einfluss nehmen kann? Im Gegensatz zu fast allen anderen Zeitschriften gab es auch schon in der Vergangenheit immer wieder mal Kommentare in der FTD, deren kritischer Inhalt wie eine Sternschnuppe am Pressehimmel für einen kurzen Moment aufblitzte. Wir werden es nicht erfahren, also betrachten wir den Inhalt des Beitrags. Eigentlich sagt der Autor nichts Wesentliches aus, was nicht auch schon andere Ökonomen seit Jahren sagen.

Nur, er sagt es in einem Presseorgan, das ansonsten eher auf dem Kurs fährt, dem er hier den Tod prognostiziert. Eine Aussage ganz am Ende des Artikels steigt mir dabei aber besonders ins Auge:

Der neoliberale Marktfundamentalismus war immer eine politische Doktrin, die gewissen Interessen diente. Sie wurde nie von ökonomischer Theorie gestützt, ebenso wenig von historischen Erfahrungen.

Ich halte das für die wichtigste Aussage in dem Kommentar, demaskiert sie doch eine Reihe von Wirt-
schaftsinstituten wie

• das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin

• das HWWA Hamburgische Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) für Wirtschaftsforschung, Hamburg

• das Ifo-Institut (Prof. Sinn, Information und Forschung) Institut für Wirtschaftsforschung e.V., München

• das IfW Institut für Weltwirtschaft, Kiel

• das IWH Institut für Wirtschaftsforschung Halle

• das IW Institut der deutschen Wirtschaft, Köln (INSM)

• das ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim

• das Rheinisch Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.RWI

• Das IZA-Institut (Institut zur Zukunft der Arbeit) Bonn

und das Wirken der so genannten Wirtschaftsweisen und natürlich auch jede Menge von Universitäts-
professoren, die wenig und Falsches lehren, dafür aber mit Beiträgen für die Wirtschaft und für Pressever-
öffentlichungen viel unredlich erworbenes Geld einstreichen. Der Satz demaskiert die Unternehmensbe-
ratungen wie Roland Berger, McKinsey, KPMG, PricewaterhouseCoopers ebenso wie Stiftungen a la Bertelsmann, Meinhard Miegel, Roman Herzog und viele andere Stiftungen dieser Art, die als gemeinnützig deklariert Konzernen und einer Kapitalelite helfen, Steuern zu sparen, obwohl sie gemeinschädlich sind.

Das was der Kommentator Stiglitz als Reagonomics und Thatcherismus bezeichnet, begann mit der Präsidentschaft eines drittklassigen Schauspielers in den USA, der den liberalen Einflüsterungen der Chicagoer Schule (Milton Friedman) und den Theorien des Liberalen Arthur B. Laffer folgte. Ein Rezept, dass Margret Thatcher (die eiserne Lady) übernahm und das von dort nach Deutschland schwappte. Es war und ist ein simples Konzept, das besagt, streiche bei den sozialen Kosten, senke die Spitzensteuersätze, erhöhe die  Rüstungs- ausgaben, verramsche alles, was Steuerzahler in Jahren mit ihren Steuergeldern aufgebaut haben, für ein Trinkgeld. Von den Gewinnen der Reichen wird dann auch etwas zu den Armen durchsickern (Trickle Down Theorie). Der Ökonom John Kenneth Galbraith spöttelte über die Trickle Down Theorie: "Wenn man den Pferden genug Hafer gibt, kommt am anderen Ende auch etwas Futter für die Spatzen heraus".

Die Idee des Liberalismus ist aus meiner Sicht für jeden denkenden Menschen eine irrwitzige Idee. Das Konzept, den Markt zu deregulieren, Zollgrenzen abzuschaffen (Freihandel) und so auf der Basis eines rein angebotsorientierten Marktes Wohlstand für alle zu schaffen, kann nur in die Katastrophe führen. Der Faktor Mensch wird in diese Theorie offenbar nur als Konsument einbezogen. Das Ursprungskonzept (Adam Smith) entstand allerdings in einer Zeit reiner Agrarkultur mit strikten natürlichen Grenzen der  Produktions- kapazitäten. Diese Grenzen sind durch die Technik längst aufgehoben. Waren zu Zeiten eines Adam Smith längere Transportwege ein natürliches Hindernis überbordender Ex- und Importe, weil die hauptsächlichen Handelsgüter aus verderblichen Waren bestanden und die Transportkosten mit zunehmender Entfernung jeden Angebotsvorteil (niedriger Preis) zunichte machten, hat die Technik diese Einschränkungen der damaligen Zeit völlig überwunden.

Die Folge zeigt sich heute in wirklich aberwitzigen Konstrukten. Um nur eine zu nennen: Nordseekrabben werden nach Marokko transportiert, um sie dort zu pulen, um dann zurück nach Deutschland für den Markt gekarrt zu werden. Krabben pulen war in der Vergangenheit ein Job an den Küsten und auf den Inseln Deutschlands. Ein einfacher und sicherlich nicht gut bezahlter Job, aber er ergänzte für viele Familien das Einkommen. Der Liberalismus hat dieser Einkommensergänzung ein Ende gesetzt, weil das Pulen plus Transportkosten nach und von Marokko durch ein erheblich niedrigeres Lohnniveau in Marokko gering-
fügige Kostensenkungen gegenüber einer deutschen Verarbeitung bringt. Das Argument der Liberalen ist dann immer das zu hohe Lohnniveau in Deutschland, blendet dabei aber das Niveau der Lebenshaltungs-
kosten und den Unterschied dieser Kosten in den beiden Ländern völlig aus.

Der Freihandel, das von Liberalen so gepriesene Konzept, ist die Aushebelung von Schutzmechanismen der Vergangenheit. Zölle waren nicht nur ein Schutzwall für die heimische Wirtschaft, sondern auch für die Bevölkerung. Der Wegfall der Zollgrenzen hat erst den Industrietourismus ermöglicht.  Würde wohl Adidas die Arbeitnehmer im asiatischen Raum so ausbeuten, wie es der Konzern tut, wenn Einfuhrzölle den damit erwirtschafteten Profit wieder auffressen würden? Würde Elektrolux (AEG) die Standorte in Deutschland schließen, wenn die Einfuhrzölle höher wären, als der Profit durch die Herstellung in Billiglohnländern?

Solche Fragen kann und muss man für viele Wirtschaftsbereiche stellen. Aber man muss die Fragestellung erweitern. Politik und Wirtschaft beklagen einen Rückgang technischer Innovation in Deutschland. Dabei gelingt es ihnen immer, öffentlichkeitswirksam die Schuld der Bevölkerung in die Schuhe zu schieben, wegen zunehmender Bildungsdefizite. Spezialisten für Vorwürfe solcher Art sind die neoliberalen Wirtschaftsinstitute und Stiftungen, ob nun INSM, IFO-Institut, Bertelsmann-Stiftung etc., die dabei wiederum die Ursachen ausblenden. Ursache ist vor allem der Umstand, dass Produktionsstandorte für die unterschiedlichsten Technologieprodukte ins Ausland verlagert wurden, Produktionen, deren technische Weiterentwicklung in Deutschland einen enorm hohen Standard hatte. Aber der Wegfall der Zollgrenzen versprach den Konzernen bei einer Verlagerung ins Ausland höhere Profite mit der Folge, dass hochqualifizierte Spezialisten plötzlich hierzulande auf der Straße standen, weil für ihre Kenntnisse in Deutschland keine Verwendung mehr vorhanden war.

Der Liberalismus hat einen Vernichtungsfeldzug eingeleitet, von dem einzig das Kapital profitiert hat. Seit den 80er Jahren ist in Deutschland das Nettolohneinkommen nicht nur stagnierend, sondern sinkend, trotz permanenten Wachstums. Doch das gilt nicht nur für Deutschland. Mit der Liberalisierung wurde die Armut weltweit gesteigert, denn die Verlagerung von Produktion in Länder mit niedrigem Einkommensniveau hat dort nicht zu wachsendem Wohlstand geführt, sondern lediglich die Profite des Kapitals unermesslich gesteigert. Heimische Produktion der Länder der dritten Welt wurden aber durch die Subventionspolitik der Industrienationen abgeblockt, kleinbäuerliche Strukturen zerschlagen. Die dann aufgebauten Monokulturen dienen dann nicht der Ernährung der eigenen Bevölkerung, sondern dem Export. Daraus ist abzuleiten, dass hinter der liberalen Politik ausschließlich die Mächte des Großkapitals stehen, denen es, auf welche Art auch immer, gelungen ist, eine verantwortungsvolle Politik der Staaten und der Staatsorgane zu verhindern. Die Ergebnisse des Neoliberalismus sind so offensichtlich negativ, dass kein Politiker behaupten kann, sie nicht erkannt zu haben.

Neoliberalismus ist marktradikaler Raubtierkapitalismus übelster Art. Nicht von seiner Namensgebung her, sondern von dem, was die internationale Wirtschaft und die Politkartelle daraus gemacht haben. Man muss sich dabei klar machen, dass die vorgenannten Institute, weite Kreise der Universitätslehrer und die Politikerkaste Teil eines internationalen Netzwerkes sind. Dieses Netzwerk ist nicht neu, ebenso wenig wie der jetzt praktizierte Neoliberalismus, der auch nach dem 1. Weltkrieg bis zum 2. Weltkrieg praktiziert wurde, mit bekannten Folgen. Nur dass dieses Netzwerk heute viel effizienter ist als in der damaligen Zeit ist, dank Computertechnik. Geldtransfers in Sekundenschnelle ermöglichen es, Geld bequem und verlustfrei zu waschen und hat damit kriminellen Organisationen die Möglichkeit gegeben, massiv in die Wirtschaft einzusteigen und auch dort ihre kriminelle Energie auszuleben. Diese blitzschnellen Transfers ermöglichen die Verschleierung von Einkünften und durch die Deponie riesiger Summen in Steueroasen Steuerhinter-
ziehung in großem Stil zu betreiben. Ein Bericht im Spiegel zeigt, dass das auch die US-Behörden nicht mehr unwidersprochen hinnehmen mögen. Aber die Schweiz und Lichtenstein sind nur die Spitze des Eisbergs, denn Steuerparadiese gibt es zuhauf.

Liest man solche Dinge, kann leicht Resignation aufkommen. was können wir schon dagegen tun? Ich sage immer noch: VIEL. Wir müssen Demokratie neu denken, eine Demokratie erfinden, die ein vorbeiregieren am Volk unmöglich macht. Wir müssen uns informieren und wie das Kapital vernetzen. Wir müssen die Bereitschaft aufbringen, aktiv zu werden, denn WIR sind es, die alles erwirtschaften, alles produzieren, alles konsumieren. Wir, das sind weltweit mehr als 6 Milliarden Menschen. Mit Gewalt werden wir nichts erreichen, denn die Kartelle haben auch die Hoheit über die Gewalten (Militär und Polizei). Aber mit Solidarität, einer vernetzten Informationsbasis und dem Willen, auch Verluste (finanzieller Art) für eine gewisse Zeit hinzunehmen, können wir Produktionen lahmlegen, Produkte in den Regalen verrotten lassen und die Kartelle dort packen, wo es ihnen weh tut, am Profit.

csk