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„Mitarbeiterbeteiligung“

Kommste mit zum Sozi?

Jeder Spatz pfeift es von allen verfügbaren Dächern: „ROT-ROT-GRÜN“ wird kommen, in den Ländern und irgendwann im Bund. Kein Tag vergeht ohne Fernsehtalkshow oder „Expertenrunde“, in der die spannende Frage erörtert wird: wie halten „wir“ es denn mit den LINKEN? Ob die LINKE überhaupt und - wenn ja – unter welchen Bedingungen sie in zukünftige Regierungskoalitionen eintreten will, diese Frage erscheint als eher nebensächlich, denn DIE LINKE muß es ja wollen, um glaubwürdig zu bleiben. Zugleich wird ihr nach der Devise „Wandel durch Annäherung“ schon jetzt eine gehörige „Entzauberung“ ange-
kündigt: es werde sich erweisen, daß sie trotz einer Reihe von weltfremden Radikalinskis und Spinnern in ihren Reihen sowieso nur sozialdemokratische Realpolitik betreiben könne, dann sei sie aber überflüssig und solle sich schleunigst mit der SPD vereinigen bzw. ihr beitreten. LINKE und SPD deckten zusammen nicht mehr als das bisherige Wählerpotential der SPD ab, was da noch zwei Parteien sollten? Zumal ein sozial-
demokratischer Herr Wiefelspütz den Mitgliedern und Funktionären der LINKEN jüngst vor laufender Kamera pauschal zugestand, nein, sie seien „keine Verbrecher?“ Ach, wie gut das tat! Wir sind ganz harmlos.... Vaterlandslose Gesellen sowieso nicht, und Verbrecher schon gar nicht....  Man könnte dies alles bloß lustig finden, gäben sich nicht auch einige führende Politiker der LINKEN konstant erhebliche Mühe, die Unterschiede zwischen ihr und der SPD zu relativieren bzw. zu verwischen, allen voran Gregor Gysi und Oskar Lafontaine.

Gebetsmühlenartig wiederholt Gregor seit Jahren den Satz, die SPD müsse „wieder sozialdemokratisch
werden“, erst dann sei ein Zusammengehen mit ihr in größerem Ausmaße möglich. Aber das sei in nächster Zeit sicherlich nicht zu erwarten... Die sich logisch daraus ergebende Frage, bis wann denn die SPD sozialdemokratisch gewesen sei und ab wann nicht mehr, wirft der in der gnadenlosen Demontage der Argumente der Gegner der LINKEN zuweilen gewiefte Gregor jedoch nicht auf: war sie sozialdemokratisch bis zur Bewilligung der Kriegskredite 1914? Bis zum Zusammenschießen der Aufständischen der Novemberrevolution im Auftrag des  SPD- Reichswehrministers Noske Anfang 1919? Bis zum Godesberger Parteitag, auf dem sie sich von allen sozialistischen  Zielvorstellungen verabschiedete? Bis sie in der Großen Koalition mit der CDU Ende der 60er Jahre die Notstandsgesetze  verabschiedete? Bis ihr Bundeskanzler Brandt ab 1972 den „Extremistenbeschluß“ durchexerzieren und hunderttausende von Menschen verdächtigen und bespitzeln ließ? (Was er später immerhin als „Irrtum“ bezeichnete). Bis ihr Bundeskanzler Schmidt Anfang der 80er Jahre den  „Nato- Doppelbeschluß“ rechtfertigte? Bis – und da kommen wir nun doch ganz nahe an die Gegenwart heran – die SPD 1998 in die  ROT- GRÜNE Bundesregierung einstieg? Oder bis Oskar Lafontaine sein Amt als Bundesvorsitzender hinwarf? Oder... bis zu welchem Irrtum?

Schwer zu beantworten? Die Lösung ist eigentlich ganz einfach: die SPD war einmal sozialistisch und später (im aktuellen Sinn:) immer sozialdemokratisch und bleibt es auch. Sie war es 1914 und 1919, 1972 und 1982, 1998 und ebenso 2008: eine Partei, die keine grundlegende Veränderung der Gesellschaft will, und deren aktueller „linker Flügel“ bei jeder entscheidenden Abstimmung im Bundestag ein bißchen Gedöns veranstaltet und dann umfällt. Diese Partei muß nicht sozialdemokratisch werden, sie ist es permanent.

Der andere, Oskar Lafontaine, bekannte jüngst in einem SPIEGEL-Interview: „Nach meinem Verständnis ist die SPD schon lange nicht mehr sozialdemokratisch.“ Ganz schön tiefsinnig: „Schon lange nicht mehr“... Wie lange ? Oskar des weiteren: „Die SPD war eine Partei des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit. Heute ist sie eine Partei des Krieges und des Sozialabbaus.“ Eine „Partei des Friedens“? 1914? Und als sie sich in den 50er Jahren „rückhaltslos zur Landesverteidigung“ bekannte? Auf die SPIEGEL-Frage „Herr Lafontaine, wann wird Die Linke ihr Godesberg erleben?“ kommt die extrem schlaue Antwort: „Sie sollten besser fragen, wann die SPD wieder ihr Godesberg erleben wird. In den Grundsätzen des Godesberger Programms stehen Sätze wie ‚Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein’ oder Aussagen zur Wirtschaftsordnung, die heute kein Sozialdemokrat mehr kennt.“ Also: die SPD begebe sich zurück auf den Stand des Godesberger Programms, dann könne die LINKE mit ihr koalieren? Das ist alles andere als witzig.

Daß unser Oskar, der sich auf dem Dortmunder Vereinigungsparteitag 2007 darin gefiel, in einer wütend vorgetragenen Kampfrede die Tradition Rosa-Luxemburgs und Karl Liebknechts für sich und die LINKE zu reklamieren, je nach Gelegenheit völlig anders redet, zeigen seine jüngsten Äußerungen zum Thema „Verstaatlichung“. Anstatt unter Berufung auf Artikel 15 des Grundgesetzes die Möglichkeit einer Vergesellschaftung von „Grund und Boden, Naturschätze(n) und Produktionsmittel(n)“ und ihre Überführung „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu betonen, weist Oskar die Diffamierung der „Forderung der Linken nach umfassender Mitarbeiterbeteiligung“ als angebliche „Verstaatlichungsforderung“ entschieden zurück.

Alles vergessend, was im dreiundzwanzigsten der Blauen Bände geschrieben steht, z. B. daß dem sogenannten Arbeitnehmer außer seiner Arbeitskraft, die er zu verkaufen (bzw. genauer:) zu vermieten hat, gar nichts eignet, spricht Oskar von einer ständigen  „Ent- eignung von Arbeitnehmern, indem das von ihnen erarbeitete Unternehmensvermögen nur den Anteilseignern der Unternehmen zufällt“; dies müsse „durch eine Mitarbeiterbeteiligung beendet werden.“ Sozusagen automatisch also seien die „Mitarbeiter“ im Besitz der Früchte ihrer Arbeit, von denen sie aber beispielsweise durch „milliardenschwere Familiendynastien“ böserweise „enteignet“ worden seien – was leider „bei der Mehrheit der Deutschen das Vertrauen in die jetzige Wirtschaftsordnung“ untergraben habe. Als Lösung empfiehlt unser Chefarzt am Krankenbett unserer „jetzigen Wirtschaftsordnung“ eine Mitarbeiterbeteiligung, welche Erkenntnis „lange Zeit Bestandteil der Programme aller Parteien“ gewesen sei. Nichts anderes als die regelmäßig immer mal wieder in den Ring geworfene „Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen“ kann hier gemeint sein, eine Theorie, die immer dann aus der Versenkung hervorgeholt wird, wenn ein großer Tarifkonflikt bzw. Verteilungskampf ansteht und die Gewerkschaften nach Meinung der Kapitalseite mit „völlig überzogenen Forderungen“ auftreten. Danach spricht dann keiner mehr davon. Außer der LINKEN und ihrem Oskar: „Für DIE LINKE ist die Mitarbeitergesellschaft das Unternehmen der Zukunft.“

„Mitarbeitergesellschaft“? Eine gruselige Vorstellung. Ruhet sanft, Karl und Rosa...
 

Rainer Beuthel - Quelle: DER SPIEGEL 35/2008