Kein neues Kohlekraftwerk in Kiel
„In Kiel wird kein neues Kohlekraftwerk gebaut. Mit gutachterlicher
Unterstützung entwickelt die Landes-
hauptstadt Kiel ein Zukunftskonzept „Klimaverträgliche
Energieerzeugung- und Versorgung“. Grundlage ist das am 15. Mai 2008 von
der Ratsversammlung beschlossene Energie- und Klimaschutzkonzept.
Zu den Anforderungen an das Zukunftskonzept gehören insbesondere folgende
Potenzialuntersuchungen:
• Minimierung der CO2 Emissionen,
• Energieeinsparungen im privaten, gewerblichen und öffentlichen Bereich,
• Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung und rationelle Energienutzung,
• Nutzung der erneuerbaren Energien (Biomasse, Solarenergie, Wasserkraft, Windenergie, Geothermie),
• Optimierter Ausbau von Fern- und Nahwärmenetzen einschließlich Einsatz- und Umrüstungsmöglichkeiten der schon vorhandenen Anlagen der Wärme- und Stromerzeugung,
• Maximale Arbeitsplatzeffekte in der Kieler Region,
• Bezahlbare Energiepreise für private und gewerbliche Kunden,
• Erhalt einer angemessenen Dividende der Stadtwerke nach der Abschaltung der jetzigen GKK.
Für die Erstellung des nachhaltigen ökonomischen und ökologischen Konzepts und seiner Umsetzung sind Fördermittel des Bundes und des Landes einzuwerben.”, so lautet der Beschluss der Ratsversammlung am 9.10.2008 gegen die Stimmen von CDU und FDP. Die Linke hatte noch versucht einen Spiegelstrich hinzuzufügen: “Rückkauf der Stadtwerke-Anteile im Zuge der Rekommunalisierung.”
Vor dem Rathaus demonstrierten zur gleichen Zeit ca. 300
von dem MVV-Konzern und E.on mobilisierte Mitarbeiter des Gemein-
schaftskraftwerkes und der Stadtwerke. Sie starteten eine Stunde vorher
bei der ehemaligen Verwaltung im Knooper Weg mit Transparenten wie: “Ohne
Kohle ist Papa bald arbeitslos” und gedruckten Plakaten “Gestatten:
Ihre Heizung ab 2016!”. Aufgerufen hatten verdi-Vertrauensleute und der
Betriebsrat der Stadtwerke. Der Betriebsrat hat in der Vergangenheit nichts
getan um den Arbeitsplatzab-
bau bei den Stadtwerken zu stoppen. Servicebereiche werden
ausgelagert, Arbeitsbereiche stillgelegt und gerade wurde z. B. die Zentralwerkstatt
demontiert. Tatsächlich ist der weitere Arbeitsplatzabbau bis auf
ca. 700 Mitarbeiter bereits beschlossene Sache, aber der Betriebsrat wehrt
sich nicht. Jetzt seien angeblich tausend Arbeitsplätze gefährdet,
wenn kein Kohlekraftwerk gebaut wird. Damit haben sie sich vor den Karren
von EON und MVV spannen lassen, denen es allein um die Steigerung ihrer
Gewinne geht.
Kollegen haben uns allerdings mitgeteilt, dass die Mitarbeiter
gespalten sind, und viele gar nicht für Kohle-
kraft demonstrieren wollen. Allerdings wurden sie offiziell
“aufgefordert” hinzugehen und vom Stadt-
werke-Vorstand wurde gewünscht, mit der ganzen Familie
zu
erscheinen. Wer nicht teilnimmt fällt auf und riskiert als nächster
beim Personalabbau auf der Liste zu stehen. Die Demo fand während
der Arbeitszeit statt und war somit Pflicht. Der Vorstand versucht seit
einiger Zeit mit allen Tricks, wie z.B. Pflichtver-
anstaltungen die Mitarbeiter mit der Konzernpolitik von
MVV zu beeinflussen. Die Kollegen haben durch die ständigen
Umstrukturierungen Existenzangst und müssen ihre Meinung vor dem Werkstor
ablegen. Es ist dringend nötig, innerhalb des Betriebes und über
die Positionen des Fachbereiches Versorgung innerhalb von verdi eine offene
Auseinandersetzung über die Zukunft der Stadtwerke zu führen.
Sie müssen klären welche Interessen eine Dienstleistungsgewerkschaft
in Hinblick auf die Daseinsvorsorge und Arbeitsplatz-
sicherheit grundlegend sind.
Am gleichen Tag beschloss die Ratsversammlung den Grünen Willi Voigt, Ratsherr und Mitstreiter der BI gegen ein neues Kohlekraftwerk in Kiel nicht nur in den Konsortialausschuss (Stadtwerke-Ausschuss des Rats) sondern auch in den Aufsichtsrat der Stadtwerke zu entsenden um zusammen mit Jürgen Hahn (SPD) dort die Position der Ratsmehrheit zu vertreten. Dort ersetzt er dann den bisherigen CDU-Vertreter und Kohlekraftwerk-Befürworter Robert Cordes.
Folgende Mitglieder saßen zuletzt im Aufsichtsrat
der Stadtwerke Kiel AG: Für die Stadt: Gerd Reimers (CDU), 1. stellvertretender
Vorsitzender, Jürgen Hahn (SPD), Geschäftsführer Altstoff-Recycling
Kiel GmbH. Für die Gewerkschaft: Barbara Neumann, stellvertretende
Vorsitzende, der Betriebsratsvor-
sitzende Holger Buchholz, der Gewerkschaftssekretär
Ver.di Timo Carstensen, die geschäftsführenden Betriebsratsmitglieder
Detlef Falk und Holger Malterer (zugleich Bezirksgeschäftsführer
ver.di), Nebahat Pak, Gruppenleiterin. Für den MVV-Konzern:
Hans-Jürgen Farrenkopf, Vorstandsmitglied MVV Energie AG, Rudolf
Schulten, Vorstandsvorsitzender MVV Energie AG, Werner Dub, Vorstandsmitglied
MVV Energie AG, Matthias Brückmann, Vorstandsmitglied der MVV Energie
AG.
Angeblich hat die Stadt im Rahmen der Privatisierung der Stadtwerke zwei Sitze an die Gewerkschaft ver.di abgegeben, sozusagen als Entschädigung für den Arbeitsplatzverlust, was vermutlich im geheimen Konsortialvertrag geregelt wurde. Der MVV-Konzern hatte also zusammen mit den städtischen Vertretern Jürgen Harms (SPD) und CDU-Ratsherr Reimers und Abwicklungsexperten (bei der Fa. Hell) immer eine Mehrheit, da der Vorsitzende von MVV die ausschlaggebende Stimme hat.Die OB und die CDU haben bereits angekündigt, den Ratsbeschluss anzufechten, da dieser laut Gemeindeordnung rechtswidrig sei. Danach erhalten immer die beiden stärksten Parteien die Aufsichtsratsposten.
In einer Presseerklärung der Linken heißt es dazu: „Die Aufregung der CDU-Ratsfraktion angesichts der Weigerung von SPD und Bündnis90/Die Grünen, einen Vertreter der CDU in den Konsortialausschuss der Stadtwerke Kiel AG zu entsenden stößt, bei der Ratsfraktion DIE LINKE auf Unverständnis. Die CDU hat zwar recht, wenn sie feststellt, dass durch eine von d’Hondt abweichende Besetzung des Gremiums bisher übliche demokratische Gepflogenheiten nicht beachtet werden. Allerdings hat sich die CDU zusammen mit SPD und eines Teils von Bündnis90/Die Grünen erst in der letzten Ratsversammlung vor gerade mal drei Wochen geweigert, Vertreter der Ratsfraktion DIE LINKE und der FDP-Ratsfraktion in den Vorstand der „Stiftung Jugend in Kiel“ zu entsenden und damit die jetzt beschworenen demokratischen Gepflogenheiten missachtet.
Hier wird wieder einmal deutlich, dass es der CDU lediglich
um den eigenen Vorteil und die Durchsetzung eines neuen Großkohlekraft-
werkes in Kiel gehen kann und demokratische Werte für die CDU-Rats-
fraktion eher unbedeutend sind.“ Der MVV-Konzern und
E.ON halten trotz des Ratsbeschlusses an der Planung eines 800-MW-Kohlekraftwerkes
fest. Vor dem Ratsbeschluss hatte der MVV-Konzern versucht, in Zusammenarbeit
mit der CDU mit aggressiver Propaganda und Falschmeldungen über die
Presse einen Beschluss zu verhindern. Die CDU brachte eine große
Anfrage mit verschiedenen Themenkomplexen zur Preisentwicklung, Dividendenentwicklung,
sozialen und arbeitsmarktpolitischen und ökologischen Auswirkungen
ein, die meistens von den Stadtwerken beantwortet wurden, also von der
Interessenver-
tretung der Energiekonzerne. Entsprechend unsachlich
und unüberprüfbar waren die Ergebnisse: Wenn in Kiel keine Kohlekraft
verwendet wird,
• würden die Fernwärmepreise um 40% steigen,
• die Stadt müsste größtenteils auf ihre Dividende verzichten,
• Arbeitsplätze würden verloren gehen, weil den Unternehmen die preiswerte Energie fehle.
• Viele Arbeitnehmer müssten ALG beziehen, weil der Lohn nicht mehr reicht.
• Die Stadt müsste Millionen mehr an Sozialausgaben zahlen.
• Sie könnte nach Wegfall der Dividende den Öffentlichen Personalverkehr nicht mehr fördern und in der Folge würden die Fahrpreise auf 2,50 Euro pro Einzelfahrschein steigen.
• Die Mieten würden wegen erhöhter Energiepreise steigen.
• Bei dezentraler Energieversorgung bräuchte Kiel 70 Blockheizkraftwerke in der Größe der Lessinghalle
• und viele weitere Horrormeldungen befinden sich in der Antwort auf die CDU-Anfrage.
Eins ist sicher: Die Energiekonzerne haben bei all diesen
Berechnungen ihre Renditeerwartungen bei einem 800 MW-Kohlekraftwerk mit
eingerechnet. Wenn die wegfällt geht es besser. Auch für die
Stadt Kiel bleibt dann möglicherweise mehr.All diese Drohungen des
MVV- Konzerns und EON haben auch den Hinter-
grund, die beabsichtigten Preiserhöhungen durchzusetzen.
Glücklicherweise hat sich die Ratsmehrheit davon nicht einschüchtern
läßt und einen eindeutigen Beschluss fasst, der ein 800 MW Kohlekraftwerk
verhindern hilft. Es schadet auch nicht, darüber nachzudenken, wie
die Stadt Kiel möglichst bald wieder selber die Kontrolle über
die Stadtwerke und die Energie- und Wasserversorgung zu erlangen kann.
Die BürgerInnen-
initiative gegen ein neues Kohlekraftwerk in der Region
Kiel wird auf ihrer Sitzung am kommenden Montag ein weiteres Vorgehen zu
beraten und konkrete Vorschläge für eine umweltfreundliche
Energieversorung in Kiel diskutieren.