Nächste Seite
Krise der Finanzmärkte:

Nur ein Märchen?

Die kleinen Schweinchen Hank und Ben bauten sich ein Haus aus Stroh und genossen ansonsten ihr Leben in vollen Zügen auf Pump. Als der große böse Wolf kam, hatte er es einfach. Hank und Ben wollten ihn zwar nicht hereinlassen, aber er konnte ihr Haus ohne Probleme wegpusten und Hank und Ben fressen. Als ihr Nachbar, das kleine Schweinchen Peer, dies sah, lachte er über die Dummheit von Hank und Ben. Peer hatte sein Haus nämlich aus Holzstöckchen gebaut und war sich ganz sicher, dass sein Haus sicher sei. Als der große böse Wolf zu Peer kam, verging ihm das Lachen jedoch sehr schnell und auch Peer fand sich rasch im Magen des großen bösen Wolfes wieder.

Peer Steinbrück holte in einem Anflug von Hybris zu einem Rundumschlag gegen die USA aus und frohlockte zunächst, dass Deutschland eine Insel der Seligen in einem Ozean der Finanzkrise sei. Unter Steinbrücks Verantwortung hatte zwar bereits die IKB-Pleite den Steuerzahler rund zehn Milliarden Euro gekostet. Der Löwenanteil entfällt dabei auf Abschreibungen bei der staatlichen KfW-Bank, die den insolventen Lehman Brothers erst vor zwei Wochen 536 Millionen Euro überwies. Geld, das dem Steuerzahler gehört. Der Freistaat Sachsen bürgt mit 2,75 Mrd. Euro für die Spätfolgen der hochriskanten Spekulationen der SachsenLB, die für den Discountpreis von 300 Millionen Euro an die LBBW verscherbelt werden musste. Der genaue Verlust von Steuerzahlergeldern lässt sich bei dieser Pleite nicht berechnen, er dürfte aber erheblich sein. Die staatliche BayernLB musste bereits 4,3 Milliarden Euro abschreiben, die direkt auf die Finanzkrise zurückzuführen sind – weitere Ausfälle durch den Zusammenbruch von Lehman Brothers werden folgen, zumal man nach der Wahl wohl ein wenig gründlicher unter dem Teppich nachschauen wird. Die WestLB hat ebenfalls rund 2 Mrd. Euro abgeschrieben und das Land Nordrhein-Westfalen hat in Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Sparkassenverband  Sicher- heiten in Höhe von fünf Milliarden Euro zugesagt. Die staatliche HSH Nordbank musste bis jetzt ebenfalls 1,1 Milliarden Euro  ab- schreiben. Summiert sind dies Abschreibungen in Höhe von 18 Milliarden Euro, hinzu kommen staatliche Sicherheiten in Höhe von 7,8 Milliarden Euro – und dies betrifft nur die genannten Banken. Weitere Abschreibungen und Verluste von staatlichen Banken sind wahrscheinlich.

18 Milliarden Euro aus dem Volksvermögen – verbrannt. Wie Finanzminister Steinbrück angesichts dieser desaströsen Zahlen von einer „amerikanischen Krise“ sprechen konnte, die dem „stabilen“ deutschen Finanzsystem nichts anhaben könne, bleibt sein Geheimnis. Wenn die Banken sich untereinander nicht trauen und sich gegenseitig kein Geld leihen, warum sollte der Kunde eben diesen Banken sein Vermögen anvertrauen? Während Steinbrück noch genüsslich über die Fehler der US-Regierung schwadronierte und die  Not- wendigkeit eines staatlichen Hilfsprogramms für Deutschland weit von sich wies, schrillten in der Münchner Zentrale der Hypo Real Estate Bank (HRE) die Alarmglocken – wenn der Bank keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt würden, wäre die im DAX notierte Bank wohl illiquide, so die interne Befürchtung. Wenige Tage später rief Georg Funke, der Vorstandsvorsitzende der HRE, den Chef der Bankaufsicht (Bafin) Sanio an und teilte ihm die Hiobsbotschaft mit. Was die Märkte angeblich überraschte, war eine beinahe logische Folge. Bei der HRE stellt das Eigenkapital nur 0,6% des Wertes der Vermögenswerte. Kaum eine andere Bank ist derart verschuldet wie die HRE. Wenn man sein Geld damit verdient, langfristig vergebene Kredite mit kurzfristig geliehenen Geldern zu refinanzieren, ist man im momentanen Finanzumfeld bei einer derart niedrigen Eigenkapitaldecke der Erste, der für schlachtreif erklärt wird. Wenn Steinbrück diese Schieflage nicht kannte, hat er sein Ministerium nicht in Griff. Wenn er die Schieflage kannte, war seine vollmundige Regierungserklärung nichts anderes als ein Haltet-den Dieb-Ruf vom Dieb selbst.

Nun soll der Steuerzahler auch in Deutschland einspringen, um eine Privatbank zu retten, die zu groß und wichtig ist, um sie fallen zu lassen. Der Steuerzahler springt flugs mit Sicherheiten in Höhe von 26,6 Milliarden Euro ein, private Banken garantieren 8,4 Milliarden Euro. Damit wird sich die Kreditwürdigkeit der privaten Banken, die sich auf den Deal eingelassen haben, nicht eben steigern. Anders als in den USA, lässt sich Steinbrück die noble Tat auf Kosten der Steuerzahler auch nicht durch eine Beteiligung am zu rettenden  Unter- nehmen absichern. Den Sicherungsgebern wurden zwar 42 Mrd. Euro Vermögenswerte der HRE als Gegenleistung übertragen; bei einer Bank, die nur 0,6% Eigenkapitalquote hat, würde sich der Staat im Falle eines Konkurses der HRE diese Vermögenswerte allerdings mit anderen Gläubigern teilen müssen. Wenn keine Bank der HRE gegen diese „Sicherheiten“ Kredit gewährt, warum sollte der Staat dies machen?


Brennmaterial

Eine konsequente Lösung wäre ein AIG-Modell gewesen. Der Staat übernimmt die Sicherheiten von 35 Mrd. Euro in voller Höhe, dafür wird die HRE, deren Marktkapitalisierung mittlerweile unter einer Milliarde liegt, verstaatlicht. Dann könnte der Staat die Bank in aller Ruhe filetieren und brauchbare Geschäftsbereiche an andere Staatsbanken auslagern, während Geschäftsbereiche, die Reminiszenzen an den Turbokapitalismus angelsächsischer Prägung darstellen, abgewickelt werden könnten. Der Steuerzahler würde aus diesem  Unter- fangen bestmöglich herauskommen und die Shareholder, wie z.B. der 25% Anteileigner JC Flowers, ein PE-Fonds, hätten sich die Finger an riskanten Investments verbrannt, was durchaus lehrreich wirken könnte. HRE Chef Funke bezeichnet die Rettungsaktion des deutschen Staates auch erwartungsgemäß als „innovativen Ansatz“. Was an einer Rettungsaktion, bei der der Steuerzahler das Risiko trägt nun sonderlich innovativ sein soll, weiß wohl nur Funke.

Steinbrück machte das „wahnsinnige Streben nach Rendite“ und die „Laissez-faire-Haltung” des amerikanischen Gesetzgebers für die Finanzkrise verantwortlich. Die Botschaft hört man wohl, allein es fehlt der Glaube, dass Steinbrück seine eigene Botschaft überhaupt im Ansatz verstanden hat. Es war die „Laissez-faire-Haltung“ der Bundesregierungen Schröder und Merkel, die sowohl die Verluste der Staatsbanken, als auch die Schieflage der HRE überhaupt erst möglich gemacht haben.

Wer – zu recht – internationale Reglementierungen der Banken und Finanzmärkte fordert, aber vor der eigenen Haustür den Besen zum Auskehren entweder stehen lässt oder gar direkt an die Institute übergibt, die kontrolliert werden sollen, hat nicht nur seine Hausaufgaben nicht gemacht – er hat das Problem schlichtweg nicht verstanden.

Die HRE ist – Angaben aus der Finanzwirtschaft zufolge – durch eine massive Schieflage der Tochter „Depfa Bank“ an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten. Die „Depfa Bank“ wurde 1922 als Preußische Landespfandbriefanstalt gegründet und war bis 1990 eine Bundesanstalt, deren Geschäftsfeld vor allem die Finanzierung von Kommunen und staatlichen Organen war. 2001 wurde diese Bank privatisiert und fortan führte die „Depfa Bank“ ihre Geschäfte als irische AG vom schönen Dublin aus. Dorthin zog man aber nicht etwa wegen der geringen Lohnkosten oder des leckeren irischen Biers, sondern wegen der laschen irischen Reglementierungen für Banken und nicht zuletzt der niedrigen Steuern. Der deutsche Staat privatisierte also eine Bundesanstalt, deren Geschäftszweck die Finanzierung der öffentlichen Hand ist. Renditeerwartungen der privaten Investoren wurden somit vom Steuerzahler erfüllt. Warum eigentlich vergab der Staat seine Finanzierungsdienstleistungen an eine private irische Bank, deren Gewinne teils privaten Investoren, teils dem irischen Steuerzahler zugute kommen?

Wenn der deutsche Staat auf diese Art und Weise seine eigenen geringen Reglementierungen bei hoheitlichen Aufgaben selbst aushebelt, kann er nicht gleichzeitig mit dem Finger über den Atlantik zeigen und dort den alleinigen Buhmann ausmachen. Die HRE hat die „Depfa Bank“ gekauft, um Geschäfte zu machen, die in Deutschland legal nicht zu realisieren sind und um die gemachten Gewinne vor dem deutschen Fiskus zu retten. Nun springt der deutsche Staat willfährig ein, um dieses Institut zu retten und außer wohlklingenden Worten ist nicht zu hören, wie der Staat solche Auswüchse in Zukunft verhindern will. Steinbrück scheint außer markiger Häme in Richtung Washington nichts mehr im Köcher zu haben. Die deutsche Politik hat mit ihrer „Laissez-faire-Haltung“ die Grundlagen geschaffen, die dafür verantwortlich sind, dass Deutschland keine Insel der Seligen in einem Ozean der Finanzkrise sein kann. Merkel und Steinbrück täten gut daran, nicht nur über den Atlantik zu geifern, in der Hoffnung, der deutsche Wähler könne so von den eigenen Missetaten abgelenkt werden. Sie täten gut daran, Missstände zu beseitigen und im eigenen Vorgarten den Besen zu schwingen.

Als die Spitzen-Banker anfingen, von immer höheren Renditen zu schwafeln, bezeichnete man sie als besonders geschäftstüchtig; heute nennt man sie verantwortungslos. Karl Marx wusste, noch bevor das Wort Investmentbanking erfunden wurde, wie beides  zusammen- hängt: „Das Kapital hat einen Horror vor der Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit  ent- sprechendem Profit wird Kapital wach, 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; 100 Prozent, es stampft alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

Steinbrück ließ die Banker gewähren und will nun auch deren Schäden übernehmen. Er funktioniert als eine Art Rückversicherung für die Hochfinanz. Beseitigen will er zwar nicht die Gier, wohl aber den Galgen. Dass es auch anders geht, zeigt Spanien. Dort ist der Auslöser der Finanzkrise, die Immobilienblase, zwar so ausgeprägt, wie in keinem anderen europäischen Land. Dennoch haben spanische Banken kein Problem mit der weltweiten Finanzkrise. Dies hat einen einfachen Grund. Nach der spanischen Bankenkrise in den 1980ern hat der spanische Staat eine rigide Bankenaufsicht etabliert und spanischen Banken all das verboten, was ihrer internationalen Konkurrenz nun das Genick bricht.

Während die Schweinchen Hank, Ben und Peer gerade eben vom großen bösen Wolf gefressen werden, scheint es kein Schweinchen Schlau zu geben, das auf die Idee käme, sein Haus lieber aus Ziegelsteinen zu bauen. Auch wenn Hank, Ben und Peer über die Schweinchen lachen, die stabile Häuser bauen wollen, so sollte man sich das Schicksal der dummen Schweinchen vor Augen halten und sich vielleicht doch eines besseren besinnen.

(De Kloogschieter)