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Auseindersetzung um Mega-Kraftwerk:

Kohlefans niveaulos

Nach dem die Ratsversammlung sich im September mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei gegen ein neues Kohlekraftwerk auf dem Ostufer ausgesprochen hat, geht es hoch her in der Kieler Kommunalpolitik. Der Betriebsrat der Stadtwerke, der bisher dem dortigen Arbeitsplatzabbau tatenlos zugesehen hat (2004 waren es 1341 Mitarbeiter, Ende September 2007 nur noch 1137) ruft auf einmal zu Demonstrationen auf, weil angeblich der Arbeitsplatz der etwas über 100 Mitarbeiter im Gemeinschafts-
kraftwerk Kiel in Dietrichsdorf gefährdet sein könnte. Irgendwann im nächsten Jahrzehnt. Dass in einem neuen, modernen Kraftwerk weniger Mitarbeiter gebraucht würden, obwohl sich die elektrische Leistung mehr als verdoppeln soll, fällt dabei völlig unterm Tisch. Nach Angeben des Fraktionschefs der Grünen, Lutz Oschmann, wären es noch 90.

Viel Wind hat auch eine große Anfrage gemacht, die CDU und FDP gemeinsam eingereicht hatten, und die auf der letzten Ratssitzung beantwortet wurde. Schon in der Fragestellung wird klar, dass es nicht wirklich um seriöse Antworten geht. Nach Auswirkungen von Windrädern auf Fische und Vögel wird gefragt, aber nicht nach den erheblichen Emissionen von Quecksilber, Blei, Stickoxiden, Schwefeldioxid, Cadmium und Feinstäuben, die ein 800-MW-Kohlekraftwerk mit sich brächte.

Zahlentricksereien

Auffällig ist auch, dass ein wesentlicher Teil der Antworten nicht von der Stadtverwaltung erarbeitet wurde, sondern direkt von den Stadt werken kam. Die sind allerdings in der Auseinandersetzung selbst Partei. Immerhin hat der Stadtwerke-Vorstand nach dem  Ratsbe- schluss im September angekündigt, nun die Planungen für das Kraftwerk vorantreiben zu wollen.Entsprechend fallen die Antworten aus: Auf der Grundlage der Kohle-, Öl- und Gaspreise von Mitte Juli 2008 wird suggeriert, dass ein Kohlekraftwerk für die  Fernwärmekunden die billigste Variante sei. Blockheizkraftwerke oder ein Gaskraftwerk seien um bis zu ein Drittel teurer.

Diese Rechnung hat allerdings mindestens vier Haken:

1. Gibt es erhebliche Einsparpotenziale beim Heizen, wenn der Gebäudebestand vernünftig saniert würde. Die rund 1,5 Milliarden Euro, die in das neue Kraftwerk gesteckt werden sollen, wären da sicherlich besser angelegt und würden zudem jede Menge Arbeitsplätze im Handwerk schaffen.

2. Kann zusätzlich ein Teil des Wärmebedarfs mit Sonnenkollektoren gewonnen werden. Deren Einsatz lohnt sich durchaus auch in unseren Breiten und schafft zusätzliche Arbeitsplätze.

3. Kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass die Preisrelationen der Brennstoffe untereinander im Juli 2008 atypisch waren. Der Ölpreis, an den der Gaspreis gekoppelt ist, hat seitdem über die Hälfte verloren. Der Kohlepreis war für die Kraftwerke aufgrund langfristiger Lieferverträge noch relativ niedrig, hat aber an den Spotmärkten, an denen kurzfristige Lieferungen gehandelt werden, schon seit über einem Jahr erheblich angezogen. Mit ziemlicher Sicherheit wird auch Kohle langfristig wesentlich teurer werden, weil der Bedarf in den USA, China und Indien steigt.

4. Fernwärme aus dem Kohlegroßkraftwerk ist nur dann günstig, wenn der Betreiber mit seinem Kohle-
strom richtig Gewinn macht. Andernfalls wird er versuchen, sich das Geld bei den Wärmekunden zu holen, und denen gegenüber hat er eine Monopolstellung. Die Berechnungen der Stadtwerke basieren nach den Angaben von Lutz Oschmann darauf, dass das Kraftwerk 7.300 Stunden im Jahr, also fast rund um die Uhr Vollast fahren kann. Schleswig-Holstein wird aber schon bald mehr Windstrom haben, als es verbrauchen kann, und der hat Vorrang. Dann werden die Kohlekraftwerke öfter mal bei gutem Wind still stehen müssen. Auch schon deshalb, weil die Leitung überlastet würden, die den Strom in die Verbrauchszentren im Süden abführen könnten.

Erbärmlich

Richtig erbärmlich wird das Frage-Antwort-Spiel an der Stelle, wo es um die Kosten für alternative Energieträger geht. Jeder, der die Entwicklung in den letzten Jahren etwas verfolgt hat, weiß, dass es eine steile "Lernkurve" gibt. Technologische Entwicklung und Massenfertigung machen Wind- und Solarstrom immer billiger. Eine Mitte Oktober vom Bundesumweltministerium veröffentlichte Studie geht davon aus, dass Windstrom ab 2015 mit konventionellen Kraftwerken konkurrieren kann. Für Fotovoltaik (Solarstrom) wird dieser Zeitpunkt für 2020 erwartet. Im Vergleich zu Angaben aus der Wind- und Solarbranche ist das eher eine konservative Schätzung. (Zum Vergleich: Der Betreiber einer Windanlage erhält derzeit durch-
schnittlich zwischen acht und neun Cent pro Kilowattstunde, während der private Stromkunde mehr als das Doppelte zahlt.) Aber was antworten die Stadtwerke durch ihr Sprachrohr in der  Verwaltung? In der Fachliteratur würde zu dem Thema dieses und jenes stehen und: „Grundsätzlich kann aber davon ausgegangen werden, dass die regenerativen Energien ohne öffentliche Förderung zurzeit noch nicht wettbewerbsfähig sind.“ Einen derartigen Umgang mit Fakten in einer derart ernsten Frage erwartet man eher von einem überforderten Gemeinderat einer Winzgemeinde, aber nicht unbedingt von der Verwaltung einer Großstadt.

Kein Klimaschutz

Die oben erwähnte Studie hat übrigens dem Bundesumweltminister in Sachen Kohlekraftwerke die Leviten gelesen: Das Klimaschutzziel der Bundesregierung, bis 2020 die Treibhausgase um 36 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, sei mit den geplanten neuen Kohlekraft- werken nicht zu erreichen. Bei dem Werk handelt es sich um die "Ausbaustrategie Erneuerbare Energien", die sich der Umweltminister jährlich vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt schreiben lässt. Da er bisher selbst stets behauptet, an den neuen Kraftwerken führe kein Weg vorbei, hat er das Papier anders als in den Vorjahren praktisch unter den Teppich gekehrt, und nur still und heimlich auf die Internetseite des Ministeriums stellen lassen.

Dabei ist dieses Klimaschutzziel, mit dem die Bundesregierung gerne angibt, weil es sich nach viel anhört, eher bescheiden. Das  Ausgangsniveau war nämlich 1990 ziemlich hoch. Eine Reduktion um 36 oder 40 Prozent bedeutet immer noch eine jährliche Emission von rund neun Tonnen Treibhausgas pro Einwohner. Langfristig muss der Ausstoß aber auf zwei Tonnen pro Kopf und Jahr runter gefahren werden, wenn noch die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindert werden sollen.

 (wop)