James K. Polk hätte ein Denkmal verdient. Der elfte Präsident der USA ist weitgehend unbekannt, obwohl er doch ein Politiker der ganz besonderen Art war. Er machte nämlich genau das, was er im Wahlkampf versprach - die Gebiete Oregons und Texas dem Staatsgebiet der USA hinzuzufügen und dann, nach einer Wahlperiode, abzutreten. Er hielt Wort, trat ab und starb 103 Tage später. Andrea Ypsilanti hat noch viele Jahre Lebenszeit vor sich, doch auch für sie wird wohl nie ein Denkmal errichtet werden. Darüber wird sie auch nicht sonderlich traurig sein – wenn man den Volkszorn betrachtet, würde ihr zu Ehren wohl am ehesten das Mahnmal der anonymen Wahllüge errichtet werden. Sie hat zwar nichts anderes getan, als weiland Holger Börner, der 1982 den GRÜNEN noch eins „mit der Dachlatte in die Fresse hauen“ wollte, sich zwei Jahre später im Wahlkampf deutlich von jeglicher Zusammenarbeit mit den GRÜNEN distanzierte, nur um sich nach der Wahl von ihnen tolerieren zu lassen und ein Jahr später die erste rot-grüne Koalition zu bilden.
Holger Börner hatte es damals auch einfacher als seine Beinahe-Nachfolgerin. Er wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, zusammen mit der CDU eine Große Koalition in Hessen einzugehen, da hat der gewissenlose Lügner sich lieber mit Linksextremisten ins Bett gelegt. Zwar wetterten die Medien damals auch von einem „rot-grünen“ Chaos und der Turnschuhprolet Joschka Fischer ließ als Minister die bürgerliche Presse erschaudern. In der Bonner Republik aber gab es in der SPD eines noch nicht - das Gewissen.
Das Gewissen steht natürlich als ethisch-moralische Komponente nicht unter der Interpretationshoheit der gottlosen Sozen, sondern es ist Gott selbst, der über die Gewissensentscheidungen der Menschen zu urteilen hat. Da Gott aber bis heute weder eine Kommentarspalte in der WELT noch einen Internetauftritt hat, ist es sein politischer Arm in Deutschland, dem das Urteil zusteht, wann in der Politik das Gewissen einmal eine Rolle spielen darf. Ähnlich wie es im Klerus selbst keine Sünde gibt, gibt es in der Partei mit „C“ in ihrem Namen auch kein Gewissen – zumindest haben christdemokratische Abgeordnete davon noch nie öffentlich Gebrauch gemacht. Das Gewissen ist eine Tugend der SPD, was nicht unproblematisch ist, da der politische Gegner alter Zeiten ja die Interpretationshoheit innehat.
Die SPD gilt zu Recht als die modernste Partei Deutschlands, sie ist hipp und hat den Zeitgeist inhaliert. Während früher der Beziehungszwist zweier Schreihälse elegant mit einem Besenstoß der Untermieterin beendet wurde, schaut diese sich die verbalen Durchfälle heute mit Vorliebe im Fernsehen an. Dieser modernen Methode des öffentlichen Gedankenaustausches kann sich natürlich auch die Volkspartei SPD nicht verweigern, daher tingeln Politdeppen der SPD in diesen Wochen durch die Talkshows der Nation, erzählen rührselig von ihrem Gewissen und inszenierten sich selbst als Opfer.
Den Auftakt machte Andrea Ypsilanti selbst, die per Fernschalte
ihre Wortbruchbeichte und ihre tiefe Trauer über den Dolchstoss der
vier Renegaten dem geneigten Zuschauer von Anne Will entgegenheuchelte.
Die „fantastischen Vier“ (FAZ) legten beim knallharten Powertalker Reinhold
Beckmann nach und schauten dabei mit ihren betretenen Gesichtern aus wie
Pennäler, die sich beim Schuldirektor dafür erklären mussten,
warum sie der kleinen Andrea einen bösen Streich gespielt haben. Zum
Glück hatten sie aber das Gewissen auf ihrer Seite und konnten so
selbst konkrete Fragen, warum das geheimnisvolle Gewissen sich erst so
spät manifestierte, mit küchenpsychologischen Rechtfertigungen
entgegnen. Der Druck war gar übermensch-
lich und man heulte gar auf dem Küchenboden. Geheime
Abstimmungen, in denen man seinem Gewissen freien Lauf lassen konnte? Nein,
das gildet nicht – man habe ja schließlich erwähnt, dass man
solche Abstimmungen nicht so toll fände, da könne man das Kreuzchen
auch an der falschen Stelle machen. Warum man bei jeder Gelegenheit öffentlich
Ypsilantis Kurs unterstützt habe? Ach weh, der übermensch-
liche Druck, den man nur als SPD-Politiker kennt, und
außerdem habe man ja im kleinen Rahmen aus seinem Herzen auch keine
Mördergrube gemacht. Nein, diesen vier Häufchen Elend kann man
einfach nicht böse sein. Opfer des Gewissens und Opfer der unmenschlichen
eigenen Partei – letztendlich sogar Opfer der LINKEN, der Nachfolgepartei
der SED, also Opfer des Kommunismus´ und Opfer der Mauermörder.
Ihren Frieden mit der Partei haben sie aber bereits gemacht – Thorsten
Schäfer-Gümbel, ein Name, den man sich nicht merken muss, unterstützten
sie ohne Vorbehalt, schließlich zeige sich dieser auch offen gegenüber
einer Koalition mit der CDU. Doch Herr Schläfer-Gambel sollte aufpassen
– wenn er mit den Kommunisten zu paktieren gedenkt, könnte in seiner
Partei wieder das Gewissen erwachen.
Während die vier rechten Aufrechten bei Beckmann
wenigstens würdig im Beiprogramm des neuen bayerischen Ministerpräsidenten
Seehofer auftreten durften, mussten sich Ypsilanti und ihr Famulus Schlaffer-Gimpel
tags darauf vom noch knallhärteren Powertalker Johannes Baptist Kerner
in einer Freak-
show im Rahmenprogramm von Ufologen und Löffelbiegern
vorführen lassen. Um es vorwegzunehmen – weder Ypsilanti noch Schräger-Bembel
haben etwas über Hitlers Autobahnen gesagt und durften das Studio
auf regulärem Wege verlassen. Im Fernsehen durfte Frau Ypsilanti natürlich
auch nichts gegen das Gewissen der gewissenlosen Verräter sagen, da
der Vorzeigejournalist des Trash-TVs sich von seinen Assistenten für
einen solchen Fall sicher knallharte Fragekärtchen hat vorbereiten
lassen. Die Quintessenz Ypsilantis lautete daher auch wenig überraschend,
dass auch sie ein Opfer sei. Opfer der Medien, Opfer der Parteirechten
und Opfer des knappen Wahlergebnisses. Auf die Erkenntnis, dass sie Opfer
ihrer eigenen Dummheit, Opfer ihres Dilettantismus´ und Opfer ihrer
eigenen Hybris ist, warteten sowohl Kerner als auch die Zuschauer vergebenes.
Wenigstens Schlaffer-Kimble durfte sich erstmalig und
wahrscheinlich auch letztmalig einem größeren Publikum zeigen
und es mit dem Mutterwitz eines Verwaltungsbeamten für sich einnehmen.
Der Wahlver-
lierer in spe kann einem dabei fast leid tun – er ist
sicher ein talentierter Nachwuchspolitiker, der zur falschen Zeit in den
Ring gezerrt wird, um sich vom amtierenden Champion des Populismus abschlachten
zu lassen. Aber in der Politik und in der Liebe ist nun einmal alles erlaubt
und Herr Schnöder-Krempel scheint momentan auch genug Zeit für
seine Hobbykandidatur zu haben. Vielleicht gelingt es ihm, was James K.
Polk und Andrea Ypsilanti verwehrt bleibt, vielleicht wird eines Tages
ihm zu Ehren ein Denkmal des unbekannten Politikers errichtet.
Gerüchte, dass die Damen Yspilanti und Metzger demnächst beim knallharten Powertalker Oliver Geißen zum Thema „Meine Freundin hat mich verlassen“ eingeladen sind und dass Jürgen Walter am Sonntag im ZDF-Nachtstudio zusammen mit Jürgen Habermas und Walter Jens über die Bedeutung von Adornos „Minima Moralia“ für die politische Gewissensethik philosophieren will, fanden bisher keine Bestätigung. Schade, findet