Die Debatte über die neuen Kohlekraftwerke – 20 sind
derzeit im Genehmigungsverfahren und sieben im Bau – dreht sich meist um
die Kohlendioxidemissionen oder um die beachtlichen Mengen an Feinstäuben,
Schwermetallen und anderen giftigen Abfallprodukten, die bei der Kohleverstromung
entstehen und in die Luft geblasen werden.Frauke Wiese, Wirtschaftsingenieurin
an der Uni Flensburg, ist das Thema hingegen einmal von einer anderen Seite
angegangen. Was passiert eigentlich, fragte sie sich in ihrer Diplomarbeit,
die sie am Anfang November in Berlin vorstellte, wenn in Brunsbüttel
wie vorgesehen vier Kraftwerksblöcke á 800 Megawatt (MW) gebaut
werden und dann auch noch die Offshore-Windparks ihren Betrieb auf-
nehmen? Herauskam, was Fachleute eigentlich schon seit
einiger Zeit erwarten: Kohle- und Windstrom geraten in eine direkte Konkurrenzsituation.
Wenn an der Vorrangregelung des Erneuerbare Energien Gesetzes festgehalten
wird, können die Kraftwerke in Brunsbüttel nur noch 4.100 bis
6.200 Stunden im Jahre (von 8.760) laufen. Häufiges An- und Abfahren
machen sie zusätzlich unwirtschaftlich.
Hintergrund ist die Tatsache, dass das Städtchen am südlichen Ende des Nord-Ostsee-Kanals, bisher eher durch seinen Pannenreaktor bekannt, zur „Steckdose E.ons“ werden sollen. Der größere Teil der vor der Küste Schleswig-Holsteins geplanten Offshore-Windparks werden hier an das Netz angeschlossen. Im derzeit vorgesehenen Endausaubau, so Frauke Wiese, werden es einmal 11.500 MW elektrische Leistung sein, die allein hier ins Netz eingebunden werden müssen. Die könnten in einem sehr guten Windjahr schon allein etwa acht Prozent des heutigen deutschen Stromverbrauchs abdecken. Hinzu kommen noch die 3.200 MW Leistung der drei geplanten Kohlekraftwerke. Diese würden noch einmal etwa halb soviel elektrische Energie liefern, wenn sie tatsächlich die 7.000 bis 8.000 Stunden im Jahr laufen würden, für die sie technisch ausgelegt und betriebswirtschaftlich kalkuliert sind.
Dass die heutigen Netzkapazitäten in Brunsbüttel
nicht ausreichen, ist klar. Frauke Wiese hat daher in ihrer Arbeit eine
Verdoppelung auf 7.000 MW vorausgesetzt. Das entspricht, so die Autorin,
den in einer Unter-
suchung der Deutschen Energieagentur dena im Jahre 2005
festgestellten Ausbaubedarf in Brunsbüttel. So dann hat sie sich von
den Meteorologen im Geesthachter Forschungszentrum (in der Nähe von
Hamburg) Winddaten für ein ganzes Jahr besorgt, mit deren Hilfe sich
der potenzielle Ertrag von Offshore-Anlagen ermitteln lässt.Eine weitere
Rahmenbedingung ist, dass Windstrom Vorrang hat, das heißt, wenn
es weht muss zu erst der Strom der Windkraftanlagen ins Netz eingespeist
und Kohlekraftwerke ggf. herunter-
gefahren werden. So sieht es seit einigen Jahren das
Erneuerbare-Energiengesetz (EEG) vor.
Mit diesen Grundvoraussetzungen und Daten hat die junge
Wissenschaftlerin eine Modellrechnung durch-
geführt, mit der sie die zu erwartenden Netzauslastung
und die Laufzeiten der Kohlekraftwerke berechnen konnte. Heraus kam, dass
zum einen das Netz in Zeiten von optimalem Wind nicht einmal für die
Wind-
parks ausreichen wird, und dass nur einer der vier 800-MW-Blöcke
überhaupt über 6.000 Stunden Volllast kommen wird. Statt mit
den erhofften 8.000 Stunden Laufzeit im Jahr unter optimalen Bedingungen,
können die Betreiber nur mit 4.111, 4.411, 5.243 und 6.190 rechnen,
und das ist mit Ausnahme vielleicht des letzten Falles, eindeutig nicht
mehr rentabel. Zur verminderten Ausnutzung kommt nämlich noch, dass
Kohlekraftwerke dieser Größenordnung sehr träge sind. An-
und Abfahren brauchen Zeit während der der Wirkungsgrad vermindert
ist, außerdem führen sie zur schnelleren Materialermüdung.
Brunsbüttel sei in gewisser Weise beispielhaft, so Olav Hohmeyer,
der die Diplomarbeit an der Uni Flensburg betreute. Ähnliches gelte
an anderen Netzkontenpunkten in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern,
wo an den Küsten überall überdimensionierte Kohlekraftwerke
in Planung sind, für deren Strom es in den jeweiligen Regionen gar
keinen Bedarf gibt.
Wie eng es schon jetzt werden kann demonstrierte Anfang Oktober ein historisches Ereignis. Am ersten Wochenende des Monats bekamen an der Leipziger Strombörse Verbraucher erstmals Geld bezahlt, wenn sie Strom abnahmen. Der Grund: Während einer nächtlichen Abnahmeflaute hatte es an den Küsten besonders kräftig geweht. Fast der ganze Strombedarf konnte für einige Stunden durch die erneuerbaren Energieträger gedeckt werden.
In Zukunft wird derlei sicherlich häufiger geschehen,
denn der Zuwachs an Kapazitäten ist rasant. Alle Vorhersagen zur Entwicklung
der Erneuerbaren sind bisher übertroffen worden, meinte DUH-Ge-
schäftsführer Rainer Baake letzte Woche in
Berlin bei der Vorstellung der Studie. Denkbar ist gar, dass schon in wenigen
Jahren zeitweise mehr Strom durch Wind & Co. zur Verfügung gestellt
wird, als ver- braucht werden kann. Daher müsste man sich eigentlich
dringend Gedanken über Speichermöglichkeiten machen. Grundlastkraftwerke,
die wie bisher die Atomkraftwerke und die meisten Kohlekraftwerke Tag und
Nacht laufen, wird man jedoch nicht mehr brauchen, ist sich Olav Hohmeyer
sich. Als Ergänzung zu den Erneuerbaren seien mittelfristig moderne
Gaskraftwerke viel besser geeignet, weil sie besser zu Regeln sind.
Wenn außerdem die CO2-Zertifikate künftig versteigert
würden, was voraussichtlich ab 2013 der Fall sein wird, dann seien
Gaskraft- werke auch günstiger als Kohlekraftwerke. Bei den gegebenen
Bedingungen mit dem Vorrang für die Erneuerbaren seien die Kohlekraftwerke
künftig kaum noch wirtschaftlich zu betreiben. Hohmeyer und Baake
gehen daher davon aus, dass es zu erheblichen Interessenskonflikten kommen
wird. Seitens der Konzerne sei schon bald eine Kampagne gegen das EEG und
den Ausbau der Erneuerbaren zu erwarten, wie es sie bereits zur Laufzeitverlängerung
der Atomkraftwerke gibt. Als Druck-
mittel werden dazu sicherlich die jetzt getätigten
Investitionen herhalten müssen. Nicht zuletzt in den Kommunen, deren
Stadtwerke sich an neuen Kohlekraftwerken beteiligen, wird ein erheblicher
politischer Druck gegen die Erneuerbaren entstehen, weil die erhofften
Einnahmen ausbleiben.
Denkwürdiges Ereignis Anfang Oktober 2008. In der
Nacht von den 4. auf den 5. Oktober wurde nahezu der gesamte deutsche
Strombedarf von den erneuerbaren Energieträgern abgedeckt. Die Folge:
An der Leipziger Strombörse wurde Kohle- und Atomstrom nicht nur verschenkt,
Kunden bekamen sogar noch Geld, wenn sie Strom abnahmen. Dargestellt sind
Stromverbrauch (rot) und Angebot der Erneuerbaren (grün), beides
in Megawatt (linke Achse), über die Zeit, beginnend mit dem 2. Oktober.
Der Stromver-
brauch hat einen typischen Tages- und Wochengang. Mit
einem Minimum jeweils Nachts und Spitzen am Morgen und am Abend. Besonders
niedrig ist es in der Nacht von Samstag auf Sonntag.