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Kasernenunterbringung in Neumünster:

Flüchtlinge protestieren

Einmal mehr gab es im Jahreswechsel 2008/09 Proteste in der Gemeinschaftsunterkunft (ZGU) für Flücht-
linge in der Scholz-Kaserne Neumünster. Insbesondere der – inzwischen abgebrochene – Hungerstreik von mindestens zwei Bewohnern der Kaserne demonstriert, dass die in der Kaserne „Wohnverpflichteten“ sich in ihrer Verzweiflung nicht mehr zu helfen wissen. Ob die vom Land beim migrationspolitischen Hearing im Oktober angedeutete Überprüfungen der landeszentralen Unterbringungspraxis im neuen Jahr Änderung bringt, bleibt abzuwarten. Der Protest wird vor allem von Flüchtlingen erhoben, die aus Aserbeidschan stammen. Viele von ihnen sind schon länger als zwei, einige sogar mehr als drei Jahre in den Kasernen in Lübeck (Erstaufnahme) und Neumünster (Zugeordnete Gemeinschaftsunterkunft des Landes) untergebracht und eine dezentrale Umverteilung ist für sie nicht abzusehen.

In den meisten der Fällen ist das Asylverfahren beendet und die Betroffenen sind ausreisepflichtig. Dennoch lassen sich Ausreise oder Abschiebung nicht durchführen, da keine Reisepapiere von den Herkunftsländern ausgestellt werden. Oft wurde gerichtlich festgestellt, dass weder eine Staatsbürgerschaft von Aserbeid-
schan, Armenien oder Russland in Frage käme. Dass die Botschaften keine Papiere oder schriftlich ab-
schlägige Bescheide ausstellen, ist hierzulande hinlänglich amtsbekannt. Dennoch sind einige seit zehn, andere seit ca. 24 Monaten Ausreisepflichtigkeit weiterhin in der Landesgemeinschaftsunterkunft unter-
gebracht. Eine Frist, die aus Sicht von  Flüchtlings- organisationen und Verbänden höchstens für eine kurze Übergangszeit (früher 6 Monate) zumutbar ist.

Fotos: Pewe; Gruppe Arbeiterfotografie Kiel
Fotos: Pewe; Gruppe Arbeiterfotografie Kiel

Betroffene beklagen, dass ihnen seitens des sie verwaltenden Landesamtes i.d.R. nicht verständlich gemacht wird, was sie tun können oder müssen, um ihren Mitwirkungspflichten ausreichend nachzukommen, wann diese erfüllt sind und wann die Prüfung ihrer  Ausreisemöglichkeit abgeschlossen ist. Sie sehen sich also einer aussichtslosen, kafkaesken Situation ausgesetzt. Die so betroffenen Menschen leben mittlerweile zwei bis drei Jahre in der Gemeinschaftsunterkunft, mit täglicher Meldepflicht, dem Verbot sich selbst Essen zu kochen, mit zehn Euro Taschengeld wöchentlich und mit all den psychischen Belastungen, die eine nicht selbst gewählte Unterbringung in Großunterkünften mit sich bringt. Möglichkeiten der sinnvollen Alltagsge-
staltung sind kaum gegeben, die Privatsphäre beschränkt sich auf ein Zimmer, das sich mehrere Familien-
angehörige oder sich Fremde teilen. Zukunftsperspektive fehlt. Fehlende Möglichkeit ausreichend Deutsch zu lernen führt zudem zu Verständigungsproblemen untereinander. Der Stress entlädt sich schon bei kleinen Missverständnissen. Flüchtlinge berichten dass es z. B. in der Kantine zunehmend zu Schlägereien und anderer Gewalt komme.

Fotos: Pewe; Gruppe Arbeiterfotografie Kiel
Fotos: Pewe; Gruppe Arbeiterfotografie Kiel

Diese Situation und Umgebung ist insbesondere für Kinder gänzlich ungeeignet und schädlich, dies gilt für die dort geborenen Kleinkinder ebenso wie für diejenigen, die schon zur Schule gehen und keinerlei Mög-
lichkeit haben in Ruhe zu lernen und die entsprechend kaum Chancen haben mit dem Lernfortschritt der MitschülerInnen mitzuhalten.

Die Situation in der Scholz-Kaserne in Neumünster belegt einmal mehr, dass ein Aufenthalt in einer Landesgemeinschaftsunterkunft mit bis zu 500 Plätzen über die vom Gesetzgeber empfohlene Frist hinaus unzumutbar ist.Das gilt unabhängig davon, ob Ausreisepflicht besteht oder nicht. Den Betroffenen muss unmissverständlich schriftlich mitgeteilt werden, was für Mitwirkungspflichten sie haben und wie sie diese erfüllen können. Die Aufenthaltsdauer in der ZGU muss maximal auf die gesetzlich vorgeschlagene Dauer von sechs Monaten befristet sein. Insbesondere muss die Situation für Kranke und für Familien mit Kindern umgehend beendet werden. Rechtlich ist diese Befristung möglich. Für die Praxis des Landes Schleswig-
Holstein, Flüchtlinge aus zehn Herkunftsländern bis zu ihrer vermeintlich möglichen Ausreise nicht auf die Kreise und Gemeinden zu verteilen, gibt es keine zwingende Notwendigkeit. Es handelt sich um eine politische Entscheidung seines Vorgängers, die der amtierende Innenminister dringend revidieren sollte.
 

(Astrid Willer aus „Schlepper“ 46)