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Demos in Berlin und Frankfurt:

Ein prima Auftakt

Wer Hunderttausende erwartet hatte, wird enttäuscht gewesen sein, aber eigentlich war es ein guter, kämpferischer Auftakt zu einer Welle von Protesten, die jetzt kommen muss. Am 28. demonstrierten in Berlin und Frankfurt am Main zusammen über 50.000 Menschen – nach Angaben der Veranstalter, mag sein, dass es auch nur 45.000 waren – unter dem Motto „Wir bezahlen nicht für eure Krise!“. Trotz der Weigerung de Gewerkschaftsvorstände, aufzurufen, hatten auch zahlreiche Gewerkschaftsgliederungen mobilisiert. Aus Kiel waren zwei Busse gefahren, die von ver.di und der IG Metall bestellt worden waren.

Viel Antikapitalismus

Die Berliner Demo war in verschiedene Blöcke aufgeteilt. Ein erfreulich großer Jugendblock machte Werbung für den Schul- und Unistreik am 17. Juni. Auch der antikapitalistische Block hatte reichlich Zulauf, organisiert war er unter anderem von der Interventionistischen Linken und dem Berliner May-
Day-Bündnis. Antikapitalistische Statements dominierten allerdings auch sonst das Bild der Demo, und zwar nicht nur bei den linken Gruppen, sondern auch bei vielen Gewerkschaftern. Am Rande gab es auch ein paar Aktionen. So führten Klimabewegte des May-Day- Bündnisses ein „greenwashing“ durch. Die Aktivisten in Overalls mit Logos von Energiekonzernen wie Vattenfall oder e.on malten sich gegenseitig grün an. Damit wurde darauf aufmerksam gemacht, dass sich viele Konzerne in ihrer Außendarstellung „grün“ geben, obwohl sie eigentlich erheblich zur Ausweitung der Klimakatastrophe beitragen.
 

Überhaupt war das breite organisatorische und thematische Spektrum erfreulich. Auch Umweltgruppen wie der BUND hatten aufgerufen. Vielen Teilnehmern war offenbar klar, dass es um mehr als Job- und Gehaltfragen geht, sondern um die Frage eines grundsätzlichen Umsteuerns in der Krise und den Kampf gegen eine für Mensch und Umwelt desaströse Industriepolitik. Einziger Wermuttropfen: Einwanderer-
organisationen glänzten weitgehend mit Abwesenheit. Nur DIDF und ATIF waren zu sehen, allerdings auch nur mit vergleichsweise kleinen Kontingenten. Offenbar ist die Linke nicht in der Lage, unter den mehreren 100.000 Einwanderern in Berlin nennenswert zu mobilisieren. Dabei gehören gerade diese zu den am härtesten Betroffenen.
 

Wie auch unter der Regierung der Linkspartei in Berlin leider üblich, ging die dortige Demonstration nicht ohne Provokationen ab. Die Polizeiführung hatte im Vorfeld versucht, Gewalt herbei zureden. Die geplante Demoroute durch die Friedrichstraße zum  Gendarmenmarkt (Nobelviertel) war nicht genehmigt worden, weil ein Teil der Demo „gewaltbereit“ sei. Der antikapitalistische Block musste entsprechende streckenweise im Spalier laufen, und beim Erreichen des Platzes der Abschlusskundgebung wurde dann massiv in die Demo hineingeprügelt. Mehrere Personen wurden dabei festgenommen, und die Kundgebung zeitweise massiv durch provozierende Präsenz von Polizisten in Kampfmontur und mit Schusswaffen unter den Demonstranten gestört.

Ein Anfang

Bernd Riexinger, ver.di-Sekretär aus Stuttgart und einer der Aufrufer, sieht die Demonstrationen in Berlin und Frankfurt als „volle(n) Er- folg. Damit ist klar, dass auch in Deutschland ein großer Teil der Bevölkerung für eine soziale Form der Krisenpolitik eintritt, die die Kosten der Krise nicht auf die ärmeren Bevölkerungsgruppen abwälzt. Für uns sind die Demonstrationen der Beginn einer Protestwelle. Die Profiteure müssen zur Kasse gebeten werden.“

Einhellig forderten die Redner und Rednerinnen auf den Kundgebungen, dass die Verursacher der Krise für die Kosten aufkommen, beispielsweise durch eine Millionärssteuer und eine Sonderabgabe auf hohe Vermögen. Sie forderten mehr Geld für Bildung, Umwelt- und Klimaschutz, öffentliche Infrastruktur und Gesundheit sowie einen sozialen Schutzschirm für Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner. Hartz IV müsse ebenso weg wie die weiteren Gesetze der Agenda 2010. Stattdessen seien ein „armutsfester“ Mindestlohn und die existenzsichernde Erhöhung des Eckregelsatzes notwendig. Am deutlichsten wurden in diesem Punkt die Erwerbslosenorganisationen, die zehn Euro Mindestlohn, die 30 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich und ALG-II-Erhöhung auf 500 Euro forderten. Einig ist sich das aufrufende Bündnis auch in seiner Forderung nach einer strengen Regulierung des weltweiten Finanzsystems. Steueroasen müssten geschlossen, Hedgefonds und andere spekulative „Instrumente“ verboten werden. Der Versuch, die Krise auf die Menschen des globalen Südens abzuwälzen, die heute schon stark unter den Folgen der Krise leiden, sei ebenso zurückzuweisen wie ein weiterer Raubbau an der Natur und Belastung des Klimas.
 

„Statt die Verluste zu sozialisieren, muss der Finanzsektor vergesellschaftet werden“, forderte Christina Kaindl von der Berliner Gruppe Soziale Kämpfe. „Wir wollen eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft und deren Ausrichtung an sozialen Bedürfnissen statt an Renditen. Die Dominanz der Profitlogik und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche muss beendet werden.“ „Die Krise ist nicht vom Himmel gefallen oder das Ergebnis der Gier einiger Manager. Ursache der Krise ist die neoliberale Politik der Liberalisierung der Märkte, von Deregulierung und Privatisierung. Die Verantwortlichen sind in den Regierungen zu finden“, sagte Alexis Passadakis von Attac. „Der Kapitalismus steckt in seiner gravierendsten Krise seit 1929. Es reicht deshalb nicht, die Fassade mit einigen neuen Regulierungsmaß- nahmen der G20 neu zu tünchen. Das Weltwirtschaftssystem muss auf ein grundsätzlich anderes Fundament gestellt werden.“ Als beispielshafte Gegenwehr bezeichnete das Bündnis die millionenfach befolgten Generalstreiks in Frankreich. „Auch in Deutschland muss das politische Streikrecht für alle gelten. Ein in Etappen vorbereiteter Generalstreik würde wesentlich zur Durchsetzung der sozialen und politischen Forderungen beitragen“, betonte Bernd Riexinger.

Das bundesweite Bündnis ruft als nächsten Schritt zu den Demonstrationen gegen den Nato-Gipfel am 3. und 4. April in Strasbourg und Baden-Baden auf. verschiedene Redner machten immer wieder deutlich, dass die Demos erst der Anfang gewesen sein kann und forderten zur breiten Teilnahme an den 1.-Mai-
Demos und an der zentralen Demo des DGB am 1. Mai auf. Michael Prütz vom Berliner Demobündnis rief auf, in den Stadtteilen und Betrieben Initiativen zu gründen, die weitere Aktionen vorbereiten.Vorschläge gibt es auch: Peter Grottian, ehemals Politologe an der Freien Universität Berlin und Urgestein der dortigen linken Szene,  meinte, man könne ja mal die eine oder andere Bank symbolisch besetzen, um der Forderung nach Vergesellschaftung Nachdruck zu verleihen. Außerdem schlug er vor, dass sich auch die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften an den Bildungsprotesten der Schüler und Studenten vom 15. bis zum 19. Juni beteiligen.

Demos in aller Welt

Auch in anderen europäischen europäischen Städten wurde am Samstag demonstriert. Rom gingen 6.000 Menschen auf die Straßen, in Wien 6.500 nach Polizeiangaben, die Veranstalter hatten eher 20.000 gezählt. Die größte Demonstration fand in London statt, wo sich 35.000 Menschen für die Proteste gegen das G-20-Krisentreffen warm liefen.

Zur G20 gehören Argentinien, Australien, Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Italien, die USA, die EU, Großbritannien, Mexiko, Indonesien, Russland, Japan, Südkorea, Saudi Arabien, Südafrika, die Türkei und Brasilien. Die Staats und Regierungschefs dieser Länder treffen sich am 1. und 2. März in London, um über die Weltwirtschaftskrise zu sprechen.

Großbritanniens Hauptstadt befindet sich in dieser Woche im Belagerungszustand. Zahlreiche Parks und andere öffentliche Einrichtungen werden geschlossen. Die Polizei macht mit Horrormeldungen Stimmung gegen die angekündigten Proteste. Die Demonstration am letzten Samstag verlief jedoch friedlich. Aufge-
rufen hatte ein breites Bündnis aus sozialen Bewegungen, linken Parteien und Gewerkschaftsgruppen unter dem Motto „Jobs, Justice, Climate“ (Arbeit, Gerechtigkeit, Klimaschutz).

Weltweit war der 28. der Auftakt zu einer Aktionswoche gegen Krise, G-20-Treffen und die Besetzung Palästinas. Auch die Aktionen gegen die NATO-Jubiläumsfeiern in Baden-Baden und Strasbourg am 3. und 4. April sollen in die internationale Kampagne eingebunden werden. Die Aktionswoche war im Januar auf dem Weltsozialforum im brasilianischen Belem beschlossen worden. Aktionen gab es am Samstag unter anderem auch in Brüssel und Kenia, wo Frauengruppen gegen die Krise und für die Unterstützung von Künstlerinnen protestierten. In Spanien gingen Menschen Albacete, Almeria, Barcelona, Bilbao, Cadiz, Cordoba, Alicante, Elche, Madrid, Murcia, Pontevedra, Tarragona und Valencia auf die Straße. Auch in Paris gab es ein kleine Demonstration. In diversen französischen Städten gab es an diesem Tag im Rahmen der Kampagne gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete kleine Veranstaltungen. Weitere Demonstrationen werden in dieser Woche in Sao Paulo, Melbourne, Toronto, Montreal, Edinburgh, Rom, Neu Delhi, Oslo und natürlich in Strasbourg und London organisiert. In den USA sind Aktionen in Santa Cruz, Los Angeles, San Diego und New York geplant.

(wop)