Nächste Seite
Die Krise erreicht die Seefahrt

Zu den großen Globalisierungsgewinnern zählte auch der internationale Seehandel. Wie kaum ein anderer profitierte dieser Sektor mit Zuwachsraten von bis zu 20% im Jahr von den Entwicklungen, die den Welthandel nach vorne trieben – das Wachstum Chinas, das Handelsgefälle zwischen den USA und dem Rest der Welt, und die Verlagerung von Fertigungskapazitäten in Niedriglohnländer. Rund 90% des Welthandels werden über die Schifffahrt abgewickelt. Es erscheint nur natürlich, dass der internationale Seehandel auch zu den Branchen zählt, der durch die stockende Weltkonjunktur nun gelähmt ist. Auch wenn die aktuellen Handelszahlen für dieses Jahr „nur“ einen Rückgang von rund zwei Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2008 prognostizieren, so trifft diese Entwicklung den Seehandel an einem wunden Punkt.

Während sich  die Schüttgut-Frachtraten nach einem dramatischen Absturz im Herbst letzten Jahres zwar auf niedrigem Niveau stabilisieren konnten, sind nun die Frachtraten für Container im freien Fall, weil durch den Konjunktureinbruch immer weniger Waren über die Weltmeere transportiert werden. Besonders europäische Reeder haben – angefeuert durch kreative Steuerabschreibungsmodelle für Besserverdiener – voll und ganz auf Gigantismus und endloses Wachstum gesetzt. Wenn die Weltkonjunktur nicht schnell wieder an Fahrt gewinnt, droht Teilen der Branche der wirtschaftliche Ruin. Noch schlimmer trifft es allerdings die Werften und deren Zulieferer – auf absehbare Zeit hin wird niemand mehr ein Frachtschiff oder einen Tanker ordern, da der Markt bereits jetzt an Überkapazitäten zu ersticken droht. Für uns im Norden könnte dies dramatische Folgen haben; hier sind schon jetzt mehr Arbeitsplätze akut gefährdet als bei Opel.

Der sogenannte Baltic Dry Index (BDI) ist der Frühindikator für den Schüttgutfrachtpreis. Der Transport von Rohstoffen wie Eisenerz und Kohle geht damit in diesen Index ein – Güter, die als erste Stufe im Produktionsprozess stehen und daher als Frühindikator für die Konjunktur gelten. Das stetige Wachstum der chinesischen und indischen Volkswirtschaften hat den BDI über Jahre hinweg steigen lassen. Am 20. Mai 2008 notierte der BDI mit 11.793 einen historischen Höchststand. Mit dem weltweiten Finanzcrash stürzte der BDI ins Bodenlose – am 5. Dezember 2008 schloss er mit einem Schlussstand von 663 Punkten – dies entspricht einem Rückgang um 94,4 Prozent. Musste man im Juni 2008 noch 233.988 $ bezahlen, wenn man einen der Ozeanriesen, die zu groß sind, um durch den Suez-Kanal zu fahren, für einen Tag chartern wollte, so bezahlte man Anfang Dezember 2008 nur noch 2.316 $. Dies entspricht dem Mietpreis für einen Ferrari 355, nur dass man für ein Auto nicht mindestens 20 Mann Besatzung mitbezahlt. Ein Schiff dieser Größenordnung verursacht dem Besitzer rund 19.000 $ Kosten pro Tag – die Charterpreise im Dezember waren also ruinös. Dank des chinesischen Konjunkturprogramms konnte der BDI sich zu Beginn des Jahres wieder auf 2.000 Punkte hocharbeiten – selbst auf diesem Niveau deckt die Frachtrate allerdings nur die Betriebskosten und nicht die Fixkosten. Mittlerweile hat der BDI seine Konsolidierungsphase wieder beendet und sinkt kontinuierlich – momentan notiert er bei 1.782 Punkten. Jeden Tag verlieren die Reeder dadurch Geld – viel Geld, wenn die Konjunktur nicht bald wieder anzieht.

So wie der BDI als Frühindikator für konjunkturelle Entwicklungen gilt, ist der Harper Petersen Charterraten Index (Harpex), der die Frachtpreise für Container misst, ein Indikator für den gegenwärtigen Zustand des Warenhandels. Im Gegensatz zum BDI brach der Harpex auf dem bisherigen Höhepunkt der Finanzkrise im Sommer 2008 nicht ein, sondern gab bis heute kontinuierlich nach – eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Schnitt kann ein Reeder gerade einmal ein Drittel des Frachtpreises vom letzten Sommer verlangen. Am schlimmsten ist die Frachtroute von Asien nach Europa betroffen. Dort kostet der Transport eines Containers auf dem Spotmarkt teilweise nur noch 250 $ - normal sind 2.500 $. Das reicht noch nicht einmal, um die Kosten zu decken. Aber ehe ein Containerschiff ganz stillgelegt wird, akzeptieren einige Reeder lieber diese desaströsen Preise, da so zumindest die Fixkosten zum Teil refinanziert werden können.

Die weltweite Containerflotte wurde nämlich in den letzten Jahren erheblich ausgebaut. Die großen Linienreedereien besitzen dabei nur relativ wenig eigene Schiffe – was zusätzlich gebraucht wird, wird von Charterreedereien geleast oder gechartert. Linienreeder, die große Kapazitäten langfristig geleast haben, stehen bereits jetzt vor dem Problem, diese Kapazitäten nicht auslasten zu können. Charterreeder, deren Flotte größtenteils zu kurzfristigen Spotmarktpreisen gechartert wird, stehen dabei vor einem existenziellen Problem. Die Leihgebühren sind seit dem vergangenen Jahr zum Teil um über 80 Prozent gefallen, und mehr als 450 Containerschiffe liegen bereits ohne Auftrag in den Häfen - doppelt so viele, wie noch im Januar, fast elf Prozent der weltweiten Containerflotte. Claus-Peter Offen, einer der größten Containerreeder der Welt geht davon aus, dass sich die Situation noch weiter verschärfen wird. Für das Jahr 2011 prognostiziert er etwa 1.000 aufliegende Schiffe weltweit. Dabei ist die schleppende Weltkonjunktur nur ein Teil des Problems.

Noch dieses Jahr wird die weltweite Containerflotte um bis zu 15 Prozent wachsen, da die Reeder in den letzten Jahren auf  schiere Größe setzten und den Werften volle Auftragsbücher bescherten. Zusammen haben Werften Containerschiffe, Tanker und Massengutfrachter im Wert von rund 540 Mrd. $ in ihren Auftragsbüchern stehen. Etwa 1.350 Containerschiffe werden in den nächsten Jahren fertig gestellt – laut Branchenkennern wäre dies sogar ohne Weltwirtschaftskrise ein Problem. Ob diese Flotte allerdings wirklich die Weltmeere befahren wird, ist fraglich. Schiffe werden meist nur zu einem kleinen Teil vom Auftraggeber finanziert – häufig sind dies Charterreeder oder Schiffsfonds, die sich vor allem in Deutschland als geliebtes Anlageobjekt für Besserverdiener einer großen Resonanz erfreuten. Rund 80 Prozent der durch Fonds finanzierten Schiffe sind Containerriesen. In einem komplett übersättigten Markt gibt es für diese Schiffe nun keine Verwendung mehr. Da die Werften kein Interesse an einer Stornierung der Aufträge haben, werden viele neue Schiffe aufgrund der fehlenden Endfinanzierung keinen Abnehmer mehr finden und so von den Banken, die als Finanzpartner bei diesen Geschäften mitgemacht haben, übernommen werden müssen. Ein Containerschiff, das jetzt vom Stapel läuft, kann auf dem freien Markt kaum verkauft werden. Ein Standardschiff mit einer Ladekapazität von 1.700 Standardcontainern, das im letzten Jahr noch 35 bis 40 Mio. Euro gekostet hat, ist heute gerade noch die Hälfte wert.

Was können die Banken also mit diesen Schiffen anfangen? Als weltgrößter Schiffsfinanzier ist die landeseigene HSH Nordbank mit einem Schiffsfinanzierungsportfolio von rund 27 Mrd. Euro im Geschäft. Wenn man den Wert der Schiffe nur um 20% abwertet, was angesichts der Krise sogar sehr konservativ ist, stünde der Bank ein Verlust von fast 6 Mrd. Euro ins Haus. Erst vor wenigen Tagen warnte die BaFin vor einem bevorstehenden Kollaps der HSH Nordbank, wenn der Staat nicht die Eigenkapitalquote erhöht. Mit den zu erwartenden künftigen Abschreibungen aus Schiffsfinanzierungen entsteht so den SteuerzahlerInnen das nächste Milliardengrab.

Annähernd 50 Prozent der weltweiten Containerschifffahrt werden von Norddeutschland aus kontrolliert. Rund 60.000 Arbeitsplätze in unserer unmittelbaren Umgebung hängen direkt mit dieser Branche zusammen – doppelt so viele wie bei Opel. Bei den meisten Reedern ist die Situation zwar angespannt, aber noch nicht dramatisch – ein guter Reeder legt sich in besseren Zeiten Geld zurück, mit dem er schlechtere Zeiten durchsteht. Sollte die Konjunktur wieder anspringen, werden die Überkapazitäten in einigen Jahren vom Markt verschwunden sein. Bis dahin werden allerdings viele – vor allem kleinere – Reedereien ebenfalls vom Markt verschwinden. Düsterer sieht die Situation für Werften und Finanzierer aus. Der Markt für Frachtschiffe wird für viele Jahre tot sein – neben den deutschen Werften trifft dies allerdings vor allem Südkorea, dessen Werften zur Kernindustrie des Landes gehören.

Es ist leider absehbar, dass die Krise auf den Meeren länger anhalten und die Branche schwer beschädigen wird. Da es vor allem im wirtschaftlich wichtigen Europa nicht den politischen Willen gibt, die Nachfrage durch konjunkturelle Maßnahmen wieder zu stärken, besteht die Gefahr einer langen Rezession, wie sie schon Japan durchmachte. Wann die Konjunktur dreht, ist momentan noch nicht vorherzusehen. Die Preise für Rohstoffe scheinen sich mittlerweile stabilisiert zu haben, die Folgen für die Realwirtschaft sind allerdings noch nicht abzusehen. Je länger die Krise dauern wird, desto härter werden die Folgen für die Seeschifffahrt. Uns stehen damit harte Zeiten bevor.

csk