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HSH-Nordbank

Das Prinzip der drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Peter Harry Carstensen wurde zu Beginn seiner Zeit als Ministerpräsident hauptsächlich als Li-La-Launebär der Politik wahrgenommen. Fachliche Defizite kompensierte er mit oftmals derbem Humor. Die Hochfinanz war naturgemäß nicht das Metier des diplomierten Bauers – für einen Provinzpolitiker von echtem Schrot und Korn ist das wohl auch nicht notwendig. Die nördlichste Landesbank, an der das Land Schleswig-
Holstein 30% hält und an der daneben die Hansestadt Hamburg, die Finanzheuschrecke JC Flowers und die Sparkassen beteiligt sind, war für ihn stets das, was die kleine Sparkasse für einen Provinzpolitiker nun einmal ist – eine Quelle, aus der Dividendenzahlungen jedes Jahr Geld in die Kassen spülen, mit dem sich die Gunst der Wähler und der Interessenvertreter hinter den Kulissen kaufen lässt. Die HSH Nordbank ist aber etwas anderes als die Sparkasse Eiderstedt – das musste nun auch Carstensen erfahren. Die Politik wollte höhere Dividenden und ließ ihr landeseigenes Spielzeug mit am Tisch des globalen Finanzcasinos spielen.


Aktion der Linkspartei vorm Landeshaus anlässlich der Landtagsdebatte
über die HSH-Nordbank.

Das große Spiel begann, die Landesbanken setzten alles auf eine Zahl - und plötzlich ging nichts mehr. Das Totalversagen der Politik bei der skandalösen Nichtaufsicht ihrer Landesbanken hat dem Steuerzahler bereits Milliardenlasten auferlegt. Im Falle der HSH Nordbank offenbart sich indes auch, dass sich die Politik auch bei der Krisenbewältigung durch puren Dilettantismus auszeichnet. Faktenresistente und inkompetente Landespolitiker scheinen in ihrem Vorhaben, eigenes Fehlverhalten verschleiern zu wollen, gewillt zu sein, immer neue Milliardenbeträge im schwarzen Loch HSH Nordbank zu versenken. Die Folgen könnten dramatisch sein – wegen der nachlaufenden Gewährträgerhaftung könnten die Anteilseigner auf Verbindlichkeiten in Höhe von 65 Mrd. Euro sitzen bleiben. Dann würden sich die Schulden der beiden norddeutschen Bundesländer verdoppeln, was den Steuerzahler über Generationen hinweg belasten wird. Die Zeit der politischen Geschenke ist damit erst einmal vorbei.

Aktion der Linkspartei

Doch wer trägt die Schuld an diesem Desaster? Wer übernimmt die Verantwortung? Die Politik spricht in diesem Zusammenhang gerne von Sachzwängen und höherer Gewalt. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was der ehemalige schleswig-holsteinische Wirt- schaftsminister Werner Marnette in einem Interview mit dem SPIEGEL sagt, ist die Krisenpolitik der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg nicht nur stümperhaft, sondern sogar mit Vorsatz kriminell.

Werner Marnette leitete einst die Norddeutsche Affinerie, die unter seiner Führung zu einem der welt-
größten Kupferproduzenten aufstieg. Im Juli 2008 holte Carstensen den Praktiker Marnette in sein Kabinett und machte ihn zum Wirtschaftsminister. In dieser Funktion saß er auch im Beirat der HSH Nordbank. Dies war ein Novum – ein versierterer Manager, der Bilanzen lesen konnte und nicht den Grüßaugust machen wollte, in einem Gremium, dessen politische Vertreter normalerweise alles abnicken, was der Vorstand empfiehlt. Marnette wurde unbequem – er wollte Zahlen sehen und hinterfragte die vagen Versprechen der Landesbanker. Während der hamburgische Finanzsenator Freytag noch im Oktober letzen Jahres phantasierte, dass man ihn „um eine solche Bank beneide“, schrillten bei Marnette bereits die Alarmglocken. Ende September warnte er Carstensen, dass seine Netzwerke in der Hamburger Wirtschaft ihm berichteten, dass sich die Lage bei der HSH Nordbank dramatisch zuspitze.

Carstensen und Finanzminister Wiegard wollten von Marnettes Kritik allerdings nichts wissen. Sogar seiner Kernforderung, von der Bank endlich verlässliche Zahlen einzuholen, widersetzte sich das Dilettantenduo mehrfach. Im Kieler Kabinett wollte man nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Die Politik der drei Affen – Probleme aussitzen, und in Krisenzeiten nur Berater zu Wort kommen lassen, die einem sagen, was man hören will. Für die Vorstände der HSH Nordbank war dies ein leichtes. Blumige, vage Worte, anstatt harter Zahlen. Ein Zukunftskonzept, das Marnette als katastrophal beschreibt.

Marnette blieb hartnäckig und nervte Carstensen und Wiegard per Fax und SMS: „Dramatischer Liquiditätsverlust“ und „es droht der völlige Verlust des Eigenkapitals“ - Sätze, die man in Kiel nicht hören wollte. Vor versammelter Mannschaft rüffelte Carstensen seinen renitenten Wirtschaftsminister mit den Worten „da kriegt man sogar nachts SMS und E-Mails von dem Kerl“. Kritiker aus den eigenen Reihen umschrieb der Diplom-Landwirt mit den Worten: „Das sind Leute, die ihre Hausaufgaben in ihrer Schlosserei oder ihrem Elektrogeschäft nicht hinkriegen, die aber hier große Finanzwelt spielen wollen“. Eine dreiste Aussage von einem friesischen Landwirt, dessen Finanzminister jüngst kleinlaut einräumen musste, im blinden Vertrauen auf den HSH-Vorstand mit Falschinformationen an die Öffentlichkeit gegangen zu sein und der – wie sich jüngst herausstellte – seit über einem Jahr als damaliger Aufsichtsratsmitglied über das mangelhafte Risikomanagement bei der Bank informiert war, hieraus jedoch keinerlei Konsequenzen zog, geschweige denn sein Wissen mit dem Parlament teilte.

Marnette hatte – wen wundert es – in allen Punkten recht. Nach einem langwierigen Eiertanz gab die HSH Nordbank zu, im Jahre 2008 fast 3 Milliarden Euro verbrannt zu haben. Doch das ist längst noch nicht alles. Die Bank weist in ihrer Bilanz strukturierte Wertpapiere im „Wert“ von 23 Mrd. Euro aus, und ein Volumen von 33 Mrd. Euro steckt in der krisenbedrohten Schiffsfinanzierung. Laut Marnette kalkuliert die Bank hier mit einem Ausfall von 1%. Angesichts der bedrohlichen Lage auf dem Schiffsmarkt gehen Experten allerdings von einer Ausfallquote von 20% aus – dies wären 6,5 Mrd. Euro zusätzliche Belastungen. Damit wäre nicht nur die jüngst beschlossene Eigenkapitalerhöhung der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg noch in diesem Jahr „verfrühstückt“, wie es Marnette ausdrückt. Auch die verabschiedeten Garantien der Länder in Höhe von 10 Mrd. Euro müssten in diesem Falle schnell aufgestockt werden. Schlechtem Geld wird kofferweise gutes Geld hinterher geworfen und die Verantwortlichen stellen sich nicht ihrer Verantwortung.

Carstensen und Wiegard sind direkt verantwortlich – nicht nur für die skandalöse Nichtaufsicht ihres Finanzspielzeugs, sondern auch und vor allem für die katastrophale Krisenpolitik. Um ein landeseigenes Institut zu erhalten, das den Landeshaushalt Jahr für Jahr um 50 bis 70 Millionen Euro verschönert hat, verspielen die CDU-Mannen die Zukunft ihres Bundeslandes. Bei ihren Kollegen in Hamburg sieht es keinesfalls besser aus, nur das es dort keinen „Whistleblower“ wie Marnette gibt. Der Hamburger SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Neumann fordert dort bereits einen Untersuchungsausschuss und verlangt den Rücktritt des Hamburger Finanzsenators Freytag. Dort gehört  die SPD – anders als bei uns - nun einmal zur Opposition. In Kiel verlangen die GRÜNEN ebenfalls einen  Untersuchungs- ausschuss, die Entlassung Wiegards und sofortige Neuwahlen, wobei sie – angesichts ihrer Regierungsbeteiligung vor 2005 – durchaus damit rechnen müssen, dass auch die eigenen Leichen ausgegraben werden könnten.

Natürlich muss Freytag zurücktreten – aber nicht nur er. Ole von Beust, Peter Harry Carstensen und Rainer Wiegard sind ebenfalls aufgefordert, ihren Hut zu nehmen. In besseren Zeiten, mit besseren Politikern, sind bessere Leute schon wegen wesentlich geringerer Fehler zurückgetreten. Für parteipolitisches Geplänkel eignet sich dieses Thema allerdings nicht – die Vorgängerregierungen unter SPD-Führung sind für den riskanten Kurs der HSH Nordbank ebenso verantwortlich und der FDP konnte die „Freiheit“ der Spekulanten gar nicht weit genug gehen. Im Norden haben wir es nicht nur mit dem Versagen einiger Politiker oder Parteien zu tun, sondern mit einem Versagen des gesamten politischen Systems – damit allerdings sind Hamburg und Schleswig-Holstein nicht allein.

csk