Bellen, aber nicht beißen
In Wahlkampfzeiten wirft die SPD sich gerne ihr volksnahes rotes Mäntelchen über. Die aufrechten SozialdemokratInnen an der Basis möchten schließlich am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone nicht den Kopf für das hinhalten, was ihre Parteigranden zu verant- worten haben. Um dieses Kunststück zu verwirklichen, zaubert die Parteispitze stets ein oder zwei eingängige zentrale Wahlkampfthemen aus dem Hut. Natürlich weiß man im Willy-Brandt-Haus bereits im Voraus, dass man diese Themen entweder „dank“ des Koalitionspartners oder aus Sachzwängen nicht umsetzen kann - und auch nicht will. Sich von sich selbst und der eigenen Politik zu distanzieren ist natürlich eine hohe Kunst - umso mehr, wenn es zur Regel wird. „Wir werden an den Wahlversprechen gemessen - das ist unfair“, befand daher auch der SPD-Vordenker Franz Müntefering, als man ihm nach den letzten Wahlen die Diskrepanz zwischen Wahlkampf und Koalitionsvertrag vorhielt. Natürlich ist es unfair, der SPD vorzuwerfen, dass sie mit dem Slogan „2% Merkelsteuer verhindern“ auf Wählerfang ging und kurz darauf – zusammen mit Merkel – die Mehrwertsteuer um 3% erhöhte. Müntefering wollte schließlich nur die „2% Merkelsteuer“ verhindern – von etwas anderem war nie die Rede. Warum ist Volk auch immer so unfair zu der SPD?
Frei nach Goethe könnte man die moderne SPD als Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, und Böses schafft, bezeichnen – zumindest bezogen auf die Position an der Basis. Nun hat die Parteispitze gerade die Kernthemen des kommenden Wahlkampfes vorgestellt. Neben dem Thema “einheitlicher Mindestlohn von 7,50 Euro” wird dieses Mal von den Sozen zum „Kampf gegen die Reichen“ geblasen. Doch in den Speckgürteln der westdeutschen Großstädte und auf den noblen Landsitzen in der Provinz muss man sich keine Sorgen machen – Hunde, die bellen, beißen nicht.
Das Thema „Mindestlohn“ lässt sich schnell als Wahlkampfköder
der SPD entlarven. Wenn die „Mehr-
heitssozialisten“ wirklich einen flächendeckenden
Mindestlohn haben wollten, so müssten sie lediglich einen Gesetzesentwurf
im Bundestag einbringen. Auch wenn es gerne verschwiegen wird – im aktuellen
Bundestag gäbe es eine Mitte-Links-Mehrheit, die den flächendeckenden
Mindestlohn sofort beschließen könnte, wenn die SPD dies nur
wollen würde. Sie will es nicht und es ist auch nicht anzunehmen,
dass sie dies nach den Bundestagswahlen wollen wird, zumal es rechnerisch
unwahrscheinlich ist, dass die SPD in einer anderen Rolle als die der Juniorpartnerin
der CDU/CSU auf der Regierungsbank Platz nehmen könnte. Die SPD gefällt
sich nun einmal in der Rolle einer Oppositionspartei, vor allem im Wahlkampf.
Manchmal scheint sie gar nicht zu merken, dass sie in der Regierung ist.
Wenn die SPD-Wahlkämpfer in den Fußgängerzonen
zu rotgewandeten Robin Hoods mutieren, die den Reichen etwas nehmen und
den Armen etwas geben wollen, so ist dies nicht viel mehr als ein schlechter
Scherz. In den 70er Jahren betrug der Spitzensteuersatz noch 56%. Selbst
sechzehn Jahre Kohl haben diesen Wert „nur“ auf 53% schmelzen lassen. Die
Champagnerkorken in den Besserverdienerstuben der Republik knallten
erst, als die SPD wieder an die Macht kam. Unter der Ägide der Sozialdemokraten
sank der Wert um stolze 11% auf aktuell 42%. Von der letzen Runde der kontinuierlichen
„Wohlhabenden-
speisung“ wurden lediglich die sogenannten Reichen ausgenommen,
deren Spitzensteuersatz bei 45% verharren musste. Dieser Sondersteuersatz
soll nun nach den Vorstellungen der SPD um 2,5 Prozentpunkte erhöht
werden. „Reich“ ist nach Definition der SPD ein Single mit über 125.000
Euro und ein Ehepaar mit über 250..000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen.
Was von der großen Koalition dem Volk euphemistisch als „Reichensteuer“
verkauft wurde, hat mit der Besteuerung der Reichen allerdings recht wenig
zu tun – denn jeder weiß, Hunde, die bellen, beißen nicht.
Von der „Reichensteuer“ sind nämlich nur Personen
betroffen, die für ihr Gehalt wirklich arbeiten – oder solche, die
vorgeben, dies zu tun. Der SPD-Finanzminister Steinbrück ließ
sich nämlich mit der sogenannten Abgeltungssteuer ein Werkzeug einfallen,
mit dem ausgerechnet die Besteuerung auf Gewinne aus Kapital-
einkünften, Dividenden und Spekulationsgewinnen
massiv gesenkt wurde. Seit diesem Jahr muss für diese Einkünfte
nur noch ein Pauschalsteuersatz von 25% entrichtet werden. Ein Spekulant,
der Gewinne in Millionenhöhe macht, ist daher von der „Reichensteuer“
ebenso wenig betroffen wie die deutsche Milliardärsriege, die ihre
Einkünfte vor allem aus Dividendenzahlungen erzielt.
Die SPD verschenkte in den letzen Jahren also nicht nur Steuereinkünfte in zweistelliger Milliardenhöhe in Form der Senkung des Spitzensteuersatzes, sie legte auch noch einmal einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr oben drauf, indem sie die Steuern auf die „typischen Reicheneinkünfte“ um zusätzlich 17% senkte. Das war aber noch nicht genug! Um die geringer besteuerten Dvidenden- zahlungen auch richtig sprudeln zu lassen, wurde den Kapitalgesellschaften zudem eine Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 40% auf 25% gegönnt – auch dieses Geschenk hatte ein Volumen im zweistelligen Milliardenbereich. Wenn man diese großzügigen Geschenke für die Reichen des Landes als Sahnetorte bezeichnen will, so scheute sich die SPD natürlich nicht, diese Torte auch noch mit einer schmackhaften Kirsche zu garnieren – sehr zur Freude des Geldadels schaffte man die Erbschaftssteuer für Betriebsvermögen ab.
„Geld für Geschenke in der Größenordnung von 25 bis 30 Milliarden Euro, von denen Besserverdienende überproportional profitieren, gibt es nicht - auch die Alchimisten von CSU und den Liberalen können keines zaubern“, so sagte es Peer Steinbrück letzte Woche. Wo der Finanzminister Recht hat, hat er Recht – das Geld für Geschenke in hoher zweistelliger Milliardenhöhe, von denen beinahe aus- schließlich Reiche profitierten, haben die Alchimisten der SPD bereits verteilt. Verglichen mit diesen Geschenken sind die zu erwartenden Mehreinnahmen durch die Erhöhung der „Reichensteuer“ in Höhe von einer Milliarde Euro lediglich Peanuts. Die SPD übt sich einmal mehr in reiner Symbolpolitik. Informationen der BILD, nach denen der große Angriff auf die Reichen dieses Landes nur für drei Jahre befristet sein soll, verstärken diesen Eindruck zusätzlich.
Die SPD hat während ihrer elfjährigen Regierungszeit
nahezu alles Erdenkliche getan, um die Reichen des Landes von ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung zu entbinden – wenn sie nun einen Wahlkampf
„gegen die Reichen“ führen will, so ist dies unfreiwillig komisch.
Galionsfigur in diesem absurden Wahlkampf-
scheingefecht ist – wen wundert es – die Jean d´Arc
der selbsternannten SPD- Linken, Andrea Nahles. Es gehe darum, jene an
den staatlichen Rettungsgeldern für das Finanzsystem zu beteiligen,
„die von den Spekulationsgewinnen profitiert und ihr Vermögen vergrößert
haben“. Das klingt natürlich kämpferisch und toll, nur – Hunde,
die bellen, beißen nicht – diejenigen, von denen Frau Nahles spricht,
sind dank der Einführung der Abgeltungssteuer von der geforderten
Erhöhung der „Reichensteuer“ gar nicht betroffen. Ausgerechnet die
Spekulanten profitieren ja vom Steuerrabatt und müssen weder 45 noch
gar 47,5% „Reichensteuer“, sondern nur 25% Abgeltungssteuer an den Staat
abführen.
Es bleibt somit der „Steuerbonus“ von 300 Euro für GeringverdienerInnen, ein – für die SPD – schon fast revolutionärer Vorschlag. Die Gefahr, dass Herr Steinbrück, sollte er denn Finanzminister bleiben, dieses Geld tatsächlich einplanen muss, ist indes gering. Durch- setzbar wäre dieser Bonus nur mit Unterstützung der LINKEN, und mit der will die SPD bekanntlich nicht. Pofalla und Niebel haben vor lauter Empörung schon laut aufgeheult und mit den GRÜNEN allein reicht es nicht. Daher wird diese Forderung sang- und klanglos im Orkus der Koalitionsverhandlungen verschwinden und kann getrost unter „Wahlkampfgetöse“ abgelegt werden.
Die Zeche für die Finanzkrise werden so einmal mehr „der kleine Mann und die kleine Frau“ bezahlen müssen, egal welche Lügen ihnen von der Politik aufgetischt werden. Die gemeinen SteuerzahlerInnen sollten nicht glauben, dass die Politik ernsthaft erwägt, die „Reichen“ zur Kasse zu bitten. Wenn die SPD dies wirklich vorhätte, würde sie – neben Korrekturen an ihren Steuergeschenken – dort hinschauen, wo wirklich etwas zu holen wäre. Der private Vermögensbestand in Deutschland beträgt 5 Billionen Euro, zwei Drittel davon liegen in der Hand von nur 10% der Bevölkerung. Würde man Vermögen von mehr als einer halben Million Euro mit nur einem einzigen Prozent besteuern, so würde dies die Staatskassen mit jährlich 20 Milliarden Euro fluten. Der Ökonom Thomas Piketty von der Paris School of Economics geht sogar noch weiter – in einer Debatte im Economist schlägt er eine spezielle Einkommenssteuer in Höhe von 80% ab dem Grenzeinkommen von einer Million Euro pro Jahr auf alle Einkommen vor. Die Debatte über die Begrenzung von Managergehältern wäre damit auch vom Tisch. All dies steht natürlich nicht im Wahlprogramm der SPD und wird wohl auch nie darin stehen.